Deutsche Redaktion

"Unerwarteter Rollenwechsel. Tusk baut eine Mauer an der Grenze, Kaczyński will in der EU bleiben"

13.05.2024 14:10
Vor den EU-Wahlen vollziehen sowohl Regierungschef Tusk als auch Oppositionsführer Kaczyński bemerkenswerte politische Kehrtwenden. Ob ihnen die Wähler das abnehmen? Außerdem: Die demographischen Trends sind landesweit besorgniserregend, doch auf lokaler Ebene könnte es noch weitaus schlimmer aussehen. Und: Der amerikanische Historiker sowjetischer Herkunft, Juri Felschtinski, kritisiert Rufe nach Verhandlungen mit Russland als extrem blauäugig. Die Einzelheiten in der Presseschau.
Siedlce, 12.05.2024. Wahlkampf fr das Europische Parlament. Der Vorsitzende der Partei Recht und Gerechtigkeit, Jarosław Kaczyński, spricht bei einem Treffen mit Einwohnern im OSiR in Siedlce, 12 v.m. (aldg) PAPMarcin Obara
Siedlce, 12.05.2024. Wahlkampf für das Europäische Parlament. Der Vorsitzende der Partei "Recht und Gerechtigkeit", Jarosław Kaczyński, spricht bei einem Treffen mit Einwohnern im OSiR in Siedlce, 12 v.m. (aldg) PAP/Marcin ObaraPAP/Marcin Obara

Rzeczpospolita: Unerwarteter Rollenwechsel. Tusk baut eine Mauer an der Grenze, Kaczyński will in der EU bleiben

Der Marsch polnischer Bauern gegen den Green Deal am Freitag habe die oppositionelle Recht und Gerechtigkeit (PiS) in eine sehr schwierige Position gestellt. Was eigentlich eine Welle der öffentlichen Unterstützung bringen sollte, sei plötzlich zu einer Belastung geworden, schreibt Michał Szułdrzyński in seinem Kommentar in der aktuellen Ausgabe der Rzeczpospolita. Wie wir lesen, seien auf dem Marsch Forderungen nach einem Austritt aus der Europäischen Union aufgetaucht. Die regierende Bürgerplattform (PO) habe sofort Anti-EU-Transparente und ein skandalöses Symbol der russischen Streitkräfte inmitten der Protestierenden für einen Werbespot ausgenutzt. Darin habe sie den ehemaligen Regierungschef Mateusz Morawiecki bei einer rechten Pro-Trump- und Pro-Putin- Veranstaltung in Budapest gezeigt und den Verrat des nach Belarus übergelaufenen Richters Tomasz Szmydt in Verbindung mit Slogans auf der Bauerndemonstration gebracht. Das Narrativ sei klar, schreibt Szułdrzyński. Die Opposition flirte mit Russland, nur die Regierenden könnten die polnische Sicherheit innerhalb der EU garantieren.

Die Antwort war die Rede des PiS-Vorsitzenden Jaroslaw Kaczynski am Samstag in Großpolen. Geht es nach dem Autor, habe dieser darin eine politische Kehrtwende vollzogen. Er rief konservative Wähler auf, an den Wahlen zum Europäischen Parlament teilzunehmen, damit Polen in der EU bleibe und diese von innen verändere. Eines der Hauptziele dieser Präsenz sei es, Polens Souveränität zu verteidigen und den europäischen Green Deal zu ändern, der die heimische Landwirtschaft in die Armut treiben werde. Die Schwäche von Kaczynskis Strategie liege jedoch in der Annahme, dass sich die Wähler an gar nichts erinnern, fährt der Autor fort. Den Green Deal habe die Europäische Kommission schließlich während der PiS-Regierung im Jahr 2019 vorgeschlagen. Damals habe Kaczyńskis Gruppierung argumentiert, dies sei eine große Chance für die polnische Landwirtschaft.

Aber auch Donald Tusk habe am Wochenende eine Kehrtwende gemacht, heißt es weiter. Er habe die polnisch-belarussische Grenze besucht, um die dort gebaute Barriere zu besichtigen und sich mit dem über die polnische Sicherheit wachenden Grenzschutz und Militär zu treffen. Er habe angekündigt, die Grenze noch weiter zu verstärken. Wie er versicherte, stehe der polnische Staat voll und ganz hinter den uniformierten Männern und Frauen an der Grenze, die sich gegen den vorrückenden hybriden Krieg" wehren. Wie der Autor betont, habe der Premierminister zu 100 Prozent Recht. Die Grenze müsse verteidigt werden. Die Schwäche von Tusks aktueller Strategie sei jedoch wie bei seinem Erzrivalen Kaczyński die Annahme, dass die Wähler sich an nichts erinnern. Wie Szułdrzyński schreibt, habe Tusks Partei schließlich am Anfang der Grenzkrise den Grenzschutz und das Militär scharf kritisiert. Prominente Anhänger der Bürgerplattform hatten die Grenzbeamten als Hunde", hirnlose Maschinen" und Mörder" bezeichnet. Als die PiS im Herbst 2021 den Bau der Grenzbarriere angekündigt habe, habe die Partei des damalige Oppositionsführers Donald Tusk dagegen gestimmt.

Szułdrzyński zufolge habe ein Politiker zwar das Recht, seine Meinung zu ändern. Das Problem sei nur, dass Tusk im Herbst 2021 bereits sehr wohl gewusst habe, dass Polen einem hybriden Krieg an seiner Ostgrenze ausgesetzt sei. Damals sei Tusk jedoch Oppositionsführer gewesen und die Grenzmauer sei von der damaligen Regierung gebaut worden. Genauso habe Kaczynski damals als Vorsitzender der Regierungspartei sehr wohl gewusst, was der ausgehandelte Green Deal gewesen sei. Damals sei er aber ein Erfolg gewesen, heute könne man ihn zum Hauptfeind erklären. Beide Politiker hätten heute somit ihre Rollen gewechselt. Fazit: Politiker dürfen natürlich ihre Meinung ändern. Die Frage sei nur, ob ihre Wähler das glaubwürdig finden werden, so Michał Szułdrzyński in der Rzeczpospolita. 

Forsal.pl:„Großes Aussterben

Die demografischen Probleme Polens seien ein zunehmend emotionales Thema, schreibt indes das Wirtschaftsportal Forsal. Während die Daten auf nationaler Ebene zeigen, dass der negative Trend anhält, könnte die Situation auf regionaler Ebene noch viel schlimmer aussehen. Es gebe Orte in Polen, die in einem alarmierenden Tempo aussterben, lesen wir.

Das große Aussterben sei ein Begriff, den man hauptsächlich mit prähistorischen Zeiten verbinde. Allerdings habe es in der europäischen Geschichte bereits Perioden gegeben, in denen die menschliche Bevölkerung dramatisch zurückgegangen sei. So sei es nach dem Untergang des Römischen Reiches oder während der Epidemie des Schwarzen Todes gewesen. Allen Anzeichen nach hätten wir es heute mit einem weiteren Entvölkerungsprozess zu tun, so das Online-Blatt. Seine Hauptursache seien kulturelle Veränderungen, die die Geburtenrate auf dem alten Kontinent drastisch reduzieren. Unter den von diesem ungünstigen Trend am stärksten betroffen Ländern befinde sich auch Polen. Auch hier würde die Bevölkerung sehr schnell älter werden. Die Geburtenrate in Polen gehe gleichzeitig von Jahr zu Jahr weiter zurück. Gegenwärtig würden fast zweimal weniger Kinder zur Welt kommen als das Land für den Ersatz der scheidenden Generation benötige, lesen wir.

In 30 polnischen Gemeinden seien demnach im Jahr 2023 weniger als 10 Kinder geboren. Diese Situation werde sich auf den Zustand der Wirtschaft auswirken, so Forsal. Die Kosten für die Aufrechterhaltung des Gesundheits- und Rentensystems würden steigen. Der Arbeitsmarkt werde unter einem chronischen Mangel an neuen Arbeitskräften leiden. Obwohl die Situation in Polen schwierig sein werde, könnte der technologische Fortschritt und die damit verbundene Automatisierung Polen teilweise helfen, sich an die Veränderungen anzupassen. Die Kosten dafür werden jedoch in verschiedenen Regionen unterschiedlich hoch sein. Während Großstädte in der Lage sein sollten, mit den Veränderungen fertig zu werden, könnten viele aussterbende Gemeinden in Schwierigkeiten geraten, heißt es auf Forsal.

niezależna: Verhandlungen mit Russland nur nach seiner Niederlage möglich

Nicht nur westliche Politiker, sondern auch der Papst sprechen von Zeit zu Zeit von Verhandlungen mit Russland, um den Krieg in der Ukraine zu beenden. Das nationalkonservative Nachrichtenportal niezalezna, hat dazu den amerikanischen Historiker sowjetischer Herkunft, Juri Felschtinski, befragt. Wie dieser erinnert, befinde sich der Krieg ab dem Beginn der regulären Invasion der russischen Armee in der Ukraine am 24. Februar 2022 bereits im dritten Jahr. Vielen Beobachtern und Kommentatoren scheine es, als sei die militärische Auseinandersetzung zwischen dem Kreml und Kiew in eine Sackgasse geraten. Als würden beide Seiten jetzt einen Stellungskrieg führen. Viele im Westen würden den Ausweg aus dieser Situation nur durch Verhandlungen sehen. Wie Felschtinski erklärt, würden Verhandlungen jedoch immer eine Art von Kompromiss und die Bereitschaft voraussetzen, sich an die Bedingungen dieses Kompromisses zu halten.

Russland aber habe den Plan angenommen, die Ukraine vollständig zu besetzen, die Ukraine als Staat und die Ukrainer als Nation zu zerstören, sagt der Historiker und zitiert dabei den ehemaligen russischen Ministerpräsidenten Dmitri Medwedew, der oftmals genau damit gedroht habe. In einer solchen Situation hätten die Ukrainer keine Wahl oder Ausweg, lesen wir. Sie müssen entweder ihre Zerstörung akzeptieren oder Widerstand leisten. Verhandlungen mit Russland seien unmöglich. Russland sei noch nicht bereit für sie. Zunächst müsse Moskau eine Niederlage erleiden, die mit der Niederlage Deutschlands oder Japans im Jahr 1945 vergleichbar wäre. Nur danach werde es möglich sein, Verhandlungen mit Russland aufzunehmen und sich auf etwas zu einigen. Davor könne davon nicht die Rede sein, so Juri Felschtinski im Gespräch mit niezalezna.pl.

Autor: Piotr Siemiński

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