Rzeczpospolita: Wird Polen die Ukraine wegen Wolhynien nicht in die EU lassen?
Wird Polen die Ukraine wegen Wolhynien nicht in die EU lassen? Dieser Frage geht in einer Analyse für die konservativ-liberale Rzeczpospolita der Publizist Jerzy Haszczyński nach. Wie der Autor erinnert, habe die Ukraine einen neuen Außenminister. Der vorherige habe mit einer Äußerung über Wolhynien für Empörung in Polen gesorgt, aber er sei nicht deswegen von seinem Posten zurückgetreten. Geht es nach Haszczyński, habe er nur gesagt, was die ukrainischen Eliten denken.
Kuleba, erinnert der Autor, habe bei einer öffentlichen Veranstaltung in Warschau das Massaker von Wolhynien – bei dem ukrainische Nationalisten im Jahr 1943 zehntausende polnische Zivilisten ermordet hatten – mit der Nachkriegsaktion „Weichsel“ verglichen, bei der Tausende Ukrainer aus Polen vertrieben worden seien. Zudem habe Kuleba die betroffenen Gebiete als „ukrainisch“ bezeichnet.
Diese Haltung, lesen wir, stimme wohl mit der Ansicht der Eliten überein, da es unter ukrainischen Intellektuellen nur wenige gebe, die bereit seien, das Wolhynien-Massaker als Völkermord anzuerkennen, der es zweifellos gewesen sei. Dies sei auch die offizielle Haltung Polens seit mehr als zwei Jahrzehnten gewesen. „Kein Ziel und kein Wert, selbst so edel wie die Freiheit und Souveränität einer Nation, kann Völkermord, das Massakrieren von Zivilisten, Gewalt und Vergewaltigungen, das Verursachen grausamer Leiden bei Mitmenschen rechtfertigen. (...) Sowohl wir als auch ihr – wir sollten die hellen Seiten der Geschichte von den dunklen unterscheiden“, habe Präsident Aleksander Kwaśniewski im Jahr 2003 in Poryck (heute das ukrainische Pawliwka) gesagt. Neben ihm habe damals der Präsident der Ukraine, Leonid Kutschma, gestanden.
Es habe die Hoffnung bestanden, dass der große Krieg, der seit zweieinhalb Jahren tobe, die ukrainische Elite zum Umdenken bewegen würde. Doch das sei nicht geschehen. Die Kriegsverbrechen, die von Russen in der Ukraine begangen würden, würden oft als Völkermord bezeichnet. Doch wie könne man den blutigsten russischen Angriff auf Zivilisten oder die Morde in Butscha bei Kiew als Völkermord bezeichnen und gleichzeitig vermeiden, das Massaker von Wolhynien so zu nennen, bei dem ukrainische Nationalisten in einer einzigen Nacht 10.000 Polen, meist Nachbarn, ermordet hätten, fragt Haszczyński.
Die Spezialität wichtiger Ukrainer, fährt Haszczyński fort, sei es, Wolhynien in einen breiteren Kontext der ukrainisch-polnischen Beziehungen einzubetten oder dazu aufzurufen, „nicht in der Geschichte zu wühlen“. Kuleba habe es auf dem Campus so formuliert: Man solle sich nicht „diese schlechten Dinge vorwerfen, die die Polen den Ukrainern und die Ukrainer den Polen angetan haben“ (in genau dieser Reihenfolge).
Polnische Politiker hätten auf Kulebas Äußerungen scharf reagiert. Vizepremier und Verteidigungsminister Władysław Kosiniak-Kamysz habe deutlich gemacht dass Polen die Ukraine nur dann bei einem EU-Beitritt unterstützen wird, wenn die Ukraine die „kulturell-politischen“ Standards erfülle, zu denen auch der Umgang mit historischen Ereignissen wie Wolhynien gehöre. Premierminister Donald Tusk äußerte ebenfalls, dass die Ukraine „den polnischen Erwartungen gerecht werden muss, was die (historische) Wahrheit betrifft“. Diese Aussagen erinnern laut Haszczyński an das Jahr 2010, als polnische Abgeordnete im Europäischen Parlament in einer Resolution die posthume Ehrung von Stepan Bandera – einem Führer der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN), die mit den Nazis kollaborierte – kritisierten.
Viele Jahre seien vergangen, und wir stünden immer noch am gleichen Punkt. Der Unterschied bestehe darin, dass ein großer Krieg tobe, in dem Polen die Ukraine stark unterstütze, und andererseits die Frage des EU-Beitritts der Ukraine eine reale Herausforderung sei, was 2010 nicht der Fall gewesen sei, auch wenn Polen dies nicht unbedingt zur Kenntnis nehmen wollte.
Könne man sich vorstellen, dass Polen jetzt die Verantwortung übernehme, den EU-Beitritt der Ukraine aus historischen Gründen zu blockieren? Er gebe zu, das falle ihm schwer. Aber ohne ein Umdenken in Kiew könne kein Szenario ausgeschlossen werden, so Jerzy Haszczyński in der Rzeczpospolita.
Rzeczpospolita: Vielleicht hat Russland eine zu kurze Decke
Warum hat die ukrainische Armee die Oblast Kursk angegriffen, was hat sie erreicht und was kommt als Nächstes? Militärs und Experten sind sich uneinig über die Bewertung der Operation Kiews, schreibt, ebenfalls in der Rzeczpospolita, der Publizist Andrzej Łomanowski. Tatsächlich, so der Autor, seien die militärischen Gewinne der Operation fraglich. Die russischen Streitkräfte in Kursk würden die ukrainischen Einheiten zahlenmäßig dramatisch übersteigen. In der Oblast Kursk würden sich bereits 30.000–60.000 russische Soldaten befinden, denen 7.000–12.000 Ukrainer gegenüberstehen. Der Kreml erwarte, das Gebiet bis Jahresende zurückerobern zu können. General Syrskyi argumentiere zwar, dass der Angriff einen geplanten russischen Vorstoß aus der Region auf die Ukraine verhindert habe. Łomanowski äußert jedoch Zweifel daran, da es in Kursk nicht genügend russische Truppen gegeben habe, um das Gebiet ausreichend zu verteidigen, von einem Angriff ganz zu schweigen.
Ein weiteres Argument Kiews für die Operation, lesen wir weiter, sei der Abzug russischer Truppen aus dem Donbass, um die Verteidiger von Pokrowsk zu entlasten. Auch dieser Plan sei jedoch gescheitert, da der Kreml seine Truppen in dieser Region nicht abgezogen habe und die Offensive gegen Pokrowsk den gesamten Monat angedauert habe. Aus diesen Gründen habe die Offensive in Kursk scharfe Kritik von westlichen Analysten ausgelöst, darunter auch vom australischen Militäranalysten Mick Ryan, der sie als „Fehlschlag“ bezeichnet habe.
Und dennoch habe die Operation auch zu überraschenden Gewinnen geführt. Denn nun beginne der russische Angriff doch zu stocken, möglicherweise aufgrund fehlender Reserven, die anstatt nach Pokrowsk in die Region Kursk geschickt worden seien. Sollte diese Vermutung wahr sein, würde es bedeuten, dass Russland eine „sehr kurze Decke“ habe – es würden strategische Reserven fehlen, und ein starker Schlag auf dem Schlachtfeld würde im Kreml große Unruhe verursachen.
Ein weiterer Erfolg der ukrainischen Offensive sei die Stärkung der Moral der ukrainischen Truppen, die nach langer Defensive nun einen offensiven Erfolg feiern konnten. Schließlich, was vielleicht noch wichtiger sei, habe sich auch die Stimmung auf der anderen Seite der Front geändert. Seit Mitte August verzeichne der Kreml, laut russischen soziologischen Zentren (die alle dem Kreml oder seiner Zensur unterliegen) einen langsamen Rückgang der Popularität Putins und der Zufriedenheit mit der Politik der Regierung. Laut dem Soziologen Igor Ejdman habe es bereits früher Schwankungen in der öffentlichen Meinung gegeben, etwa während des Prigoschin-Putsches oder der Mobilisierung im Herbst 2022. Dieses Mal, so Łomanowski, verhindere die ukrainische Offensive jedoch eine erneute Verbesserung der Stimmung.
Der Kreml habe zwar in Reaktion auf die Offensive massiv Vergeltung geübt und beispiellose Luftangriffe auf ukrainische Städte durchgeführt, darunter auch Angriffe auf zivile Ziele in Lwiw. Wladimir Putin habe die Kämpfe in der Oblast Kursk zudem öffentlich heruntergespielt und als „Ereignisse“ bezeichnet. Dennoch habe der ukrainische Angriff den Kreml gezwungen, erneut über Verhandlungen zu sprechen. Putin habe einen Monat nach Beginn der Offensive erklärt, Russland habe „niemals Verhandlungen abgelehnt“, eine Aussage, die auch von Außenminister Sergej Lawrow wiederholt worden sei. Es sei nur eine Vermutung, aber vielleicht sei es der Popularitätsverlust, der Putin zu dieser Rhetorik gezwungen habe. Schließlich, so Łomanowski, verfüge der Kreml zweifellos über weitaus realistischere Umfrageergebnisse zur öffentlichen Stimmung als die veröffentlichten.
Ukrainische Experten seien jedenfalls der Ansicht, dass der Angriff auf die Oblast Kursk den Kreml an den Verhandlungstisch bringen sollten. Falls dies das Ziel gewesen sei, sei es gelungen. Kiew habe bisher nicht auf Putins Vorschläge reagiert. Trotzdem könne man die These wagen, dass sich die militärisch gescheiterte Operation in der Oblast Kursk politisch als großer Erfolg erwiesen hat, so Andrzej Łomanowski in der Rzeczpospolita.
Dziennik/Gazeta Prawna: Die Regierung verschärft den Kurs in Bezug auf die „Neorichter“
Die Regierung verschärft ihren Kurs in Bezug auf die sogenannten “Neorichter” schreibt in der aktuellen Ausgabe das Wirtschaftsblatt Dziennik/Gazeta Prawna. Wie das Blatt erinnert, habe Justizminister Adam Bodnar nach einem Treffen mit juristischen Kreisen neue Vorschläge zum Umgang mit denjenigen vorgestellt, die unter dem nicht verfassungsgemäßen Landesjustizrat (KRS) ernannt oder befördert worden seien.
Demnach sollen die „Neorichter“ in drei Gruppen unterteilt werden. Die erste Gruppe, etwa 500 Personen, seien diejenigen, die aktiv an der Demontage der richterlichen Unabhängigkeit beteiligt gewesen seien und von diesen Maßnahmen politisch, persönlich oder finanziell profitiert haben. Sie sollen ihre Positionen verlieren und Disziplinarverfahren unterzogen werden.
Zur zweiten Gruppe würden etwa 950 Richter, deren „einzige Sünde“ darin bestehe, dass sie sich der Beurteilung durch den KRS unterzogen haben. Sie würden ebenfalls auf ihre vorherigen Posten zurückkehren, würden jedoch von automatischen Disziplinarverfahren verschont, falls sie eine freiwillige Erklärung über ihre Rückkehr abgeben.
Die größte Gruppe, bestehend aus etwa 1.600 Richtern, seien diejenigen, die nicht direkt an Wettbewerben des Landesjustizrats teilgenommen, aber trotzdem ihre Zustimmung für den Eintritt in den Beruf gebraucht hätten. Für diese Richter seien keine Strafen vorgesehen, da ihr Status als verfassungsgemäß anerkannt werde.
Wie das Blatt betont, würden die Vorschläge jedoch auf Kritik stoßen. Enttäuscht von dem, was die Regierung vorgeschlagen habe, sei etwa der Anwalt Prof. Maciej Gutowski. „Ich hatte gehofft, dass wir in Richtung eines Wiederaufbaus unbefleckter Institutionen gehen würden. Stattdessen hat sich herausgestellt, dass weniger die Institutionen als vielmehr der Revanchismus gegenüber den Neorichtern von Interesse ist“, so Gutowski gegenüber dem Blatt.
Krzysztof Izdebski, Experte des “forumIdei” der Stefan-Batory-Stiftung, der ebenfalls an dem Treffen am Freitag teilgenommen habe, gebe ebenfalls zu, dass er eine gewisse Unzufriedenheit verspürt. „Es wurde keine Vision für die Reform des Justizwesens oder Pläne zur Stärkung der Institutionen vorgestellt“, so Izdebski im Gespräch mit Dziennik/Gazeta Prawna.
Autor: Adam de Nisau