Rzeczpospolita: Die große Welle der Polarisierung
Soziale Medien sind während des Hochwassers zu einer unverzichtbaren Informationsquelle über die Ereignisse in den überschwemmten Gebieten geworden. Das Phänomen hat jedoch auch seine Schattenseiten, schreibt in seiner Stellungnahme für die konservativ-liberale Rzeczpospolita der Publizist Michał Szułdrzyński.
Aus Daten des Analysekollektivs Res Futura, so der Autor, gehe hervor, dass das Thema Hochwasser zwischen dem 13. und 19. September rund 750.000 Erwähnungen in sozialen Medien und im Internet mit einer Gesamtreichweite von 1,2 Milliarden generiert hat. Dies bedeute, dass Nutzer durchschnittlich alle 67 Minuten mit dem Thema konfrontiert wurden. Zum Vergleich: Während der russischen Invasion in der Ukraine im Februar 2022 seien 976.000 Erwähnungen mit einer Reichweite von 2,8 Milliarden registriert worden, erinnert Szułdrzyński.
Das Problem: Einerseits werde in diesen Posts nicht selten gezielte Desinformation verbreitet, die die Gesellschaft spalten soll. Andererseits würden Analysen zeigen, dass etwa 55 Prozent aller Interaktionen — Likes, Kommentare, Weiterleitungen — politischen Charakter hatten und Angriffe auf die Regierung beziehungsweise die Opposition darstellten. Das bedeute, dass mehr als die Hälfte des Materials im Internet nicht der Hilfe für die Opfer oder dem Wiederaufbau der überschwemmten Gebiete gewidmet ist, sondern der brutalen Politik.
“Zum ersten Mal ist in Polen während einer Naturkatastrophe das Phänomen des Astroturfings beobachtet worden — die künstliche Erzeugung eines Anscheins von Basisunterstützung für verschiedene Seiten des politischen Konflikts”, warnt Michał Fedorowicz von Res Futura. Das bedeute, dass die Seiten des politischen Konflikts, oder jemand anders, die Flut für die Vertiefung der Polarisierung nutzen. Und so würden, statt in extremen Situationen zusammenzustehen, Sympathisanten der einen Seite alles auf Donald Tusk schieben, während die Anhänger der anderen Seite die PiS für alles verantwortlich machen. Die gesamte Tragödie, die menschlichen Schicksale, die enormen Verluste und Herausforderungen für die lokalen Gemeinschaften aber auch den ganzen Staat, würden lediglich als Vorwand dienen, um die Polarisierung in der Gesellschaft zu verstärken. "Nichts Gutes wird daraus resultieren", mahnt Michał Szułdrzyński in der Rzeczpospolita.
Dziennik Gazeta Prawna: Einladung zur Eskalation
Zbigniew Parafianowicz analysiert im Wirtschaftsblatt Dziennik Gazeta Prawna die zunehmenden Spannungen zwischen Polen und der Ukraine. Die Ukrainer, so der Autor, hätten gehofft, dass die Regierung unter Donald Tusk einen versöhnlicheren Kurs gegenüber Kiew einschlagen würde. Doch in Fragen wie Landwirtschaft, Dienstleistungen und historischer Aufarbeitung hätten sie stattdessen eine verstärkte Fortsetzung der bisherigen Politik erlebt. Nun plane die Ukraine selbst eine Verschärfung der Politik gegenüber Polen.
Auslöser der jüngsten Verstimmung, lesen wir, sei eine Äußerung von Polens Außenminister Radosław Sikorski über die Zukunft der Krim auf einem geschlossenen Panel des YES-Forums in Kiew. Sikorski soll vorgeschlagen haben, die Krim unter UN-Verwaltung zu stellen und ein Referendum abzuhalten. Diese Aussage habe insbesondere bei den Krimtataren für Empörung gesorgt, die sie als "inakzeptabel und zynisch" bezeichneten. Wie jedoch Gesprächspartner auf polnischer Seite überzeugen, sei das entsprechende Panel für Medien geschlossen gewesen und sollte dem freien Meinungsaustausch dienen. Niemand sollte Sikorski seine Aussage daher übel nehmen. Die Weiterleitung der Äußerung an die Medien werde als gezielte Handlung der Ukrainer in böser Absicht interpretiert.
Der Vorfall am Flughafen Krakau mit dem ukrainischen Boxweltmeister Oleksandr Usyk habe die Situation weiter verschärft. Obwohl Usyk selbst die Wogen zu glätten versucht habe, habe das Umfeld von Präsident Wolodymyr Selenskyj mit Forderungen nach offiziellen Erklärungen seitens der polnischen Behörden reagiert. Noch in der gleichen Nacht habe der Leiter der Präsidialkanzlei, Andrij Jermak, polnische Vertreter mit Vorwürfen angerufen. Am Tag darauf sei Außenminister Andrij Sybiha beauftragt worden, eine Protestnote zu verfassen und Erklärungen von Polen zu fordern. .
"Wir interpretieren dies als Einladung zur Fortsetzung des Streits", sagt eine anonyme Quelle aus der polnischen Regierung. Es bestehe die Sorge, dass Selenskyj Polen als Sündenbock für Probleme in den Beziehungen zur EU nutzen könnte. "Die kommenden Monate werden nicht einfach sein. Gespräche über einen Waffenstillstand stehen bevor, zudem droht ein harter Winter ohne Strom. Die Amerikaner haben Wahlen und ihre eigenen Probleme. Selenskyj wird ein Ersatzthema finden müssen. Ich befürchte, dass dies Polen sein wird", zitiert Parafianowicz seine Quelle aus Regierungskreisen.
Rzeczpospolita: Draghis technokratisches Königreich
In seiner Kolumne in der Rzeczpospolita äußert der Politologe und Philosoph Marek A. Cichocki indes grundlegende Kritik an dem von Mario Draghi vorgelegten Bericht über notwendige Reformen der EU. In Polen, so der Autor, habe die Tatsache für Empörung gesorgt, dass unter den zahlreichen Beratern des Dokuments niemand aus Polen oder Mittel- und Osteuropa vertreten sei. Dies zeige, dass Draghi diese Region nicht als wichtige Quelle für Informationen oder Inspiration zur globalen Wettbewerbsfähigkeit Europas betrachte.
Ihm, so Cichocki, mache das Dokument jedoch aus einem anderen Grund Sorgen. Um zu sehen, wie dramatisch sich Europa in den letzten 20 Jahren verändert habe, lohne es sich, an ein anderes Dokument zu erinnern, dass 2005 ebenfalls im Auftrag der EU-Kommission entstanden sei. Der Bericht, den damals Bronisław Geremek und Kurt Biedenkopf verfasst hätten habe sich mit der spirituellen und kulturellen Dimension Europas beschäftigt. Kurz gesagt, mit den Werten Europas.
Ein Vergleich beider Texte zeige die Skala der Veränderungen. Denn man könne über die Diagnose Draghis streiten. Eines stehe jedoch außer Zweifel: Draghis Bericht sei ein "Loblied auf das technokratische Denken über Europa".
Die Wahrnehmung der Welt in Kategorien der Geopolitik, also der materiellen militärischen Macht und das vollständig technokratischen Verständnis der Politik sowie des gesellschaftlichen Lebens seien untrennbar miteinander verbunden. Und eben diese zwei Krankheiten hätten den europäischen Geist derzeit vor allem befallen: Die Anbetung der Macht und der Glaube an die wundersame Kraft technokratischer Herrschaft. "Für die europäische Identität und den Geist sind dies äußerst gefährliche Krankheiten, da sie den modernen Europäer lehren, dass die einzigen Motive, die seines Handelns und seiner Mobilisierung wert sind, Angst und Notwendigkeit sind, nicht aber die ihm teuren Werte", schreibt Cichocki.
Was machen wir jedoch, wenn der Mensch seine Stärke für globale Konkurrenz und Innovation hauptsächlich aus seinem Geist schöpfe, fragt Marek Cichocki in der Rzeczpospolita.
Autor: Adam de Nisau