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Armenien und Aserbaidschan: Eine Chance auf dauerhaften Frieden?

31.08.2025 08:42
Der jahrzehntelange Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um Bergkarabach galt lange als unlösbar. Mehrfach flammten Kriege auf, Waffenstillstände hielten nur begrenzt, Vermittlungsversuche blieben erfolglos. Heute jedoch scheint eine Lösung so greifbar wie nie zuvor. Was hat sich verändert – und welche Chancen bestehen für einen dauerhaften Frieden im Südkaukasus? EIn Kommentar von Wojciech Górecki – Analyst am Zentrum für Osteuropastudien (OSW).
Am 8. August 2025 unterzeichneten Premierminister Nikol Paschinjan und Prsident Ilham Alijew in Washington gemeinsam mit US-Prsident Donald Trump eine Erklrung, in der sie ihren Friedenswillen bekrftigten.
Am 8. August 2025 unterzeichneten Premierminister Nikol Paschinjan und Präsident Ilham Alijew in Washington gemeinsam mit US-Präsident Donald Trump eine Erklärung, in der sie ihren Friedenswillen bekräftigten. twitter

Der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um Bergkarabach zählt zu den ältesten Auseinandersetzungen im postsowjetischen Raum. Er brach Ende der 1980er Jahre aus, als die Sowjetunion noch bestand, Moskau jedoch nicht mehr in der Lage war, die durch Gorbatschows Reformpolitik verstärkten nationalen Bewegungen unter Kontrolle zu halten. Die Wurzeln reichen jedoch weit zurück.

Bereits im 19. Jahrhundert führte die zunehmende Zuwanderung christlicher Armenier aus Persien und dem Osmanischen Reich in den Südkaukasus zu Spannungen mit der muslimisch-aserbaidschanischen Bevölkerung. Die zaristische Verwaltung förderte die Armenier zusätzlich, was die Konfliktlinien weiter vertiefte. Nach dem Ersten Weltkrieg kam es zu Kämpfen um Bergkarabach, das trotz armenischer Bevölkerungsmehrheit 1921 von den Bolschewiki der Sowjetrepublik Aserbaidschan zugeordnet wurde. Offiziell erhielt es den Status eines autonomen Gebiets, doch die Entscheidung folgte nicht zuletzt der Strategie, durch innere Gegensätze Kontrolle zu sichern.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion eskalierte der Streit in einen offenen Krieg, der 1994 mit einem Waffenstillstand endete. Armenische Truppen, unterstützt von Russland, kontrollierten danach nahezu ganz Bergkarabach und angrenzende Regionen. In diesem Gebiet entstand eine selbsternannte, international nicht anerkannte „Republik Bergkarabach“. Über mehr als zwei Jahrzehnte blieb die Lage weitgehend eingefroren. Erst 2020 kam es erneut zu einer größeren Auseinandersetzung. In einem sechswöchigen Krieg eroberte Aserbaidschan mit türkischer Unterstützung weite Teile des Gebiets zurück, darunter die strategisch bedeutende Stadt Schuscha. Russland vermittelte einen erneuten Waffenstillstand und entsandte Friedenstruppen.

Im Herbst 2023 folgte schließlich eine militärische Offensive, mit der Aserbaidschan die Kontrolle über das gesamte Territorium übernahm. Fast die gesamte armenische Bevölkerung verließ die Region, russische Kräfte wurden bald abgezogen. Damit verschwand der eigentliche Kern des Karabach-Konflikts. Dennoch blieb die grundlegende Frage ungelöst: Wie sollen Armenien und Aserbaidschan künftig miteinander umgehen? Beide Länder haben bis heute keine diplomatischen Beziehungen aufgenommen, und ihre Grenze ist seit mehr als dreißig Jahren geschlossen.

Ein Frieden würde beiden Seiten Vorteile bringen. Armenien könnte seine politische und wirtschaftliche Isolation überwinden und in regionale Infrastrukturprojekte eingebunden werden. Aserbaidschan wiederum erhielte eine direkte Verbindung zu seiner Exklave Nachitschewan. Lange Zeit fehlte es jedoch an Vertrauen sowie an einem glaubwürdigen Vermittler. Russland, das früher als Hauptakteur in dieser Rolle fungierte, hat in beiden Hauptstädten deutlich an Einfluss verloren.

Im Jahr 2025 kam Bewegung in den festgefahrenen Prozess. Im März gaben Eriwan und Baku bekannt, sich auf den Text eines Friedensvertrags geeinigt zu haben. Am 8. August unterzeichneten Premierminister Nikol Paschinjan und Präsident Ilham Alijew in Washington gemeinsam mit US-Präsident Donald Trump eine Erklärung, in der sie ihren Friedenswillen bekräftigten. Die Außenminister beider Länder initialisierten gleichzeitig das ausgehandelte Abkommen. Damit ist ein wichtiger Schritt getan, auch wenn zentrale Streitpunkte bestehen bleiben. Aserbaidschan fordert von Armenien eine Änderung der Verfassung, deren Präambel auf die Unabhängigkeitserklärung verweist und Bergkarabach erwähnt – aus Sicht Bakus ein Zeichen territorialer Ansprüche. Eriwan zeigt sich grundsätzlich gesprächsbereit, weist aber auf die zeitaufwendigen Verfahren einer Verfassungsänderung hin. Positiv ist, dass seit Monaten keine militärischen Zwischenfälle mehr gemeldet wurden. Auch in der Transitfrage nach Nachitschewan zeichnet sich eine Lösung ab. Straße und Eisenbahn sollen im Rahmen des Projekts „Trump Route for International Peace and Prosperity“ betrieben werden, dessen Modalitäten Armenien in Zusammenarbeit mit den USA festlegen will.

Trotz bestehender Unsicherheiten ist die Perspektive eines dauerhaften Friedens heute realistischer als je zuvor. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten besteht die Chance, dass Armenien und Aserbaidschan ihre Beziehungen normalisieren – mit Auswirkungen, die auch für die gesamte Region, einschließlich der armenisch-türkischen Beziehungen, von Bedeutung wären.


Autor: Wojciech Górecki – Analyst am Zentrum für Osteuropastudien