Dziennik Gazeta Prawna: "Der Präsident hat mich ins Team Putin gesteckt"
In einem Interview mit der wirtschaftsliberalen Tageszeitung Dziennik Gazeta Prawna äußert sich der Chef der Polnischen Volkspartei (PSL), Vizepremier und Verteidigungsminister, Władysław Kosiniak-Kamysz, zu aktuellen Entwicklungen in der Ukraine-Politik.
Geht es nach Kosiniak-Kamysz, könne die sich verschlechternde Situation an der Front die USA dazu bewegen, der Ukraine den Einsatz von westlichen Marschflugkörpern tief im Inneren Russlands zu erlauben. Solche Entscheidungen müssten jedoch auf Allianzebene getroffen werden. Indes bestehe die Rolle Polens angesichts der aktuellen Lage im Nahen Osten darin, dafür zu sorgen, dass die Ukraine nicht von der internationalen Agenda verschwindet.
Ein Szenario, in dem die Ukraine Mitglied der NATO werden oder Sicherheitsgarantien nach Artikel 5 erhalten könnte, wenn sie im Gegenzug die von Russland besetzten Gebiete aufgibt, hält der Politiker für unrealistisch. Er glaube nicht, dass die ukrainische Gesellschaft einen solchen Plan akzeptiert. Zudem wäre er auch nicht im Interesse Polens.
In Bezug auf den Streit zwischen Polen und der Ukraine zu Wolhynien, erklärt der PSL-Vorsitzende, dass seine Partei die Idee entwickelt habe, die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine an die Frage der Exhumierungen und des vollständigen Gedenkens an die Opfer des Wolhynien-Massakers zu knüpfen. Wie Kosiniak-Kamysz erinnert, habe Staatspräsident Duda ihn aufgrund dieses Vorschlags "ins Team Wladimir Putins" gesteckt.
Für Kosiniak-Kamysz ist die Aufarbeitung des Wolhynien-Massakers indes eine zentrale, aber noch unbewältigte Aufgabe. Ohne Exhumierungen, Gedenken und das Verständnis der Ukrainer für die polnischen Forderungen werde diese Wunde in den beiderseitigen Beziehungen nicht heilen. Die humanitäre und militärische Hilfe für die Ukraine, so Kosiniak-Kamysz, stehe außer Frage und liege im vitalen Interesse Polens. Der EU-Beitritt dagegen sei ein Prozess der Entwicklung der Ukraine, der an Bedingungen wie Rechtsstaatlichkeit, Korruptionsbekämpfung und die Anerkennung historischer Wahrheiten geknüpft sein müsse. Duda selbst habe, wie der Politiker erinnert, anlässlich des Jahrestags des Massakers in einem Getreidefeld in der Ukraine gekniet und einen Kranz niedergelegt - ein Bild, das in klarem Widerspruch zur aktuellen Haltung des Staatsoberhaupts stehe. Er hoffe aber, den Präsidenten bei nächster Gelegenheit von seinem Standpunkt überzeugen zu können.
Wie Kosiniak-Kamysz hervorhebt, sei die Dankbarkeit der Ukraine gegenüber Polen schnell verblasst. "Polen ist in der Sympathie der Ukrainer von Platz eins oder zwei auf Platz zehn gefallen, hinter Ungarn", so Kosiniak-Kamysz. Dies zeige, dass Dankbarkeit ein sehr kurzfristiges Phänomen sei, und dass Polen eine härtere Linie verfolgen müsse, um seine Ziele zu erreichen, so Władysław Kosiniak-Kamysz im Gespräch mit Dziennik/Gazeta Prawna.
Gazeta Wyborcza: Chronik einer schwierigen Versöhnung
In den polnisch-ukrainischen Beziehungen jagt eine Krise die nächste, obwohl beide Länder gemeinsame strategische Interessen haben und vom russischen Imperialismus bedroht sind. Wie kann dieser Teufelskreis durchbrochen werden, fragt in einem Artikel für die linksliberale Tageszeitung Gazeta Wyborcza der Historiker Bartosz Konieczka.
Das schwierige Erbe der Vergangenheit, so der Autor, müsse mit Sensibilität und Verantwortungsbewusstsein angegangen werden. Es wäre zudem sinnvoll, einige gegenseitige Gesten der Versöhnung zu wagen.
Auf ukrainischer Seite, lesen wir, wäre etwa eine vollständige Offenheit gegenüber den polnischen Bitten um professionelle Exhumierungen der ermordeten Polen wünschenswert. Auf polnischer Seite sollte indes man die ukrainischen Gedenkstätten in Polen restaurieren, einschließlich der Wiederherstellung der ursprünglichen Form der legalen Tafel am Grab in Monasterz, sowie deren 24-Stunden-Überwachung gewährleisten, um Vandalismus und Sabotage zu verhindern.
Die polnische Seite könnte sich auch um die Wiederbeschaffung verlorener Dokumente aus der Zeit der Volksrepublik Polen bemühen, die die anti-ukrainische Aktion des 16. Bezirks (Okręg XVI Lublin) der Nationalen Streitkräfte (NSZ) mit dem Codenamen "Hinter dem Bug" betreffen, im Rahmen derer unter anderem die Zerstörung des ukrainischen Dorfes Wierzchowiny am 6. Juni 1945 stattfand. Der Besitz von Beweisen dafür, dass von polnischer Seite zumindest ein Versuch unternommen wurde, auch nur eine kleine Region von ukrainischer Bevölkerung zu "säubern", spekuliert der Autor, würde sicherlich die Widerstände der ukrainischen Seite verringern, sich zu den Verbrechen der UPA zu bekennen und ihrer Opfer zu gedenken.
Zudem sei es auch nicht möglich, wie es die vorherige Regierung versucht habe, das Streben nach einer würdigen Erinnerung an die polnischen Opfer des Massakers von Wolhynien und Galizien mit der gleichzeitigen Glorifizierung jener antikommunistischer Partisanen zu verbinden, die Verbrechen an der Zivilbevölkerung begangen haben, insbesondere wenn sie ihre Opfer nach ethnischen Kriterien auswählten. Darunter seien solche Soldaten, wie Mieczysław Pazderski "Szary", Józef Zadzierski "Wołyniak" oder Romuald Rajs "Bury".
Die Temperatur der polnisch-ukrainischen historischen Streitigkeiten, appelliert Konieczka, müsse gesenkt werden. Solange jedoch im Institut für Nationales Gedenken (IPN) nach dem Abgang der PiS-Regierung keine großen personellen und strukturellen Veränderungen stattfinden, sei dies kaum vorstellbar. Einzelne polnische und ukrainische Historiker, argumentiert der Autor, können nicht nur durch Ansichten, sondern auch durch persönliche Antipathien gespalten sein. Daher sollten wissenschaftliche Debatten nicht in die Staatspolitik übertragen werden.
Während die Forderung nach Exhumierungen der von der UPA ermordeten Polen fest vertreten werden sollte, sollte man der Ukraine gleichzeitig den Weg zu westlichen Strukturen wie der NATO und der Europäischen Union nicht versperren. Angesichts der Tatsache, dass die Interpretationen der Historiker sich immer unterscheiden werden, sollten wir ein würdiges Gedenken an die Opfer auf beiden Seiten des Konflikts von 1943–1947 als grundlegende Bedingung für eine polnisch-ukrainische Einigung anerkennen.
Daher sollte man die Positionen in Fragen des Gedenkens und der Beisetzungen schrittweise einander annähern, indem man die guten Absichten der Partner erkennt und aufhören, die Probleme zur Gewinnung extremer Wählerschaften zu eskalieren. Leider zeige die traurige Erfahrung jedoch, dass die Politik allzu oft nur den Umfragewerten untergeordnet sei, so Bartosz Konieczka in der Gazeta Wyborcza.
Autor: Adam de Nisau