Deutsche Redaktion

Exposé: Normalität und Entwicklung oder patriotische Floskeln und Widersprüche

20.11.2019 13:39
Führendes Thema in der Presse ist heute das gestrige Exposé von Premierminister Mateusz Morawiecki. 
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Gazeta Polska Codziennie: Normalität und Entwicklung

Normalität. Das sei, wie die regierungsnahe Tageszeitung Gazeta Polska auf ihrer Titelseite betont, das Schlüsselwort in der anderthalbstündigen Rede des Premierministers gewesen. In seinem Auftritt habe der Regierungschef die wichtigsten Herausforderungen adressiert, die Polen in den kommenden Jahren erwarten. Darüber hinaus habe Morawiecki die Opposition zu parteiübergreifender Kooperation aufgerufen und eine Änderung der Verfassung vorgeschlagen, um den polnischen Bürgern die Auszahlung ihrer im Rahmen staatlicher Programme gesammelten Mittel im Rentenalter zu garantieren, so Gazeta Polska Codziennie. 

 

Dziennik/Gazeta Prawna: Normalität Plus

Auch das Wirtschaftsblatt Dziennik/Gazeta Prawna betont in seinem Leitartikel, dass das Wort Normalität in dem Auftritt 38 Mal gefallen sei. Anders, als bei Donald Tusk, der zu Beginn seiner zweiten Amtszeit einige revolutionäre Ideen vorgeschlagen hatte, habe das Exposé Morawieckis keine fundamental neuen Vorschläge enthalten. Der Regierungschef habe stärker die Elemente akzentuiert, die in der Wahlkampagne Sympathie geweckt hätten. Vor allem den Begriff "polnischer Wohlfahrtsstaat", der Konnotationen mit materieller Sicherheit wecken sollte. Gleichzeitig habe die PiS auch versucht, das zu korrigieren, was sie in der Kampagne Stimmen gekostet habe. Daher habe man in dem Auftritt des Regierungschefs auch so viel über kleine und mittlere Unternehmen und über die Idee einer parlamentarischen Deregulierungskommission hören können. Wenn der Auftritt als Ankündigung der kommenden Kadenz zu verstehen sei, dann scheine die PiS in dieser Amtszeit den Weg der Mitte zu wählen. Nun werde vieles von der Einigkeit im Regierungslager abhängen, so Dziennik Gazeta Prawna. 


Rzeczpospolita: Exposé für die Zeit der Präsidentschaftskampagne

Andrzej Stec und Michał Szułdrzyński machen in ihrem Kommentar darauf aufmerksam, dass die Gemäßigtkeit der Antrittsrede vor allem mit der bevorstehenden Präsidentschaftskampagne zusammenhänge. Schließlich könne nur derjenige Präsident werden, der nicht nur ein Angebot für eine Gesellschaftsgruppe vorstelle, sondern der die Mehrheit der Wähler für sich gewinnen könne. Und dies sei ohne die Stimmen der Mitte und sogar der Linken nicht zu erreichen. Was in dem Expose vor allem gefehlt habe, so die Autoren, sei unter anderem die Zukunft der Verteidigungspolitik und der Armee. In Bezug auf die Energie, deren Kosten bald radikal steigen werden, habe sich der Premierminister nur auf Allgemeinplätze beschränkt. Auch die Frage der in Franken aufgenommenen Kredite, die viele Banken beschäftige, oder die Abschaffung von Barrieren bei der Anstellung von Ausländern seien nicht angesprochen worden. Und noch eines: den von Morawiecki angekündigten Wohlfahrtsstaat werde es ohne eine radikale Anhebung der Qualität von öffentlichen Dienstleistungen nicht geben. Und das bahne sich in naher Zukunft eher nicht an, so Szułdrzyński und Stec in der Rzeczpospolita. 

 

Gazeta Wyborcza: Patriotische Floskeln und Widersprüche

Und Witold Gadomski von der linksliberalen Gazeta Wyborcza macht darauf aufmerksam, dass der Regierungschef in seiner Antrittsrede viele für die Regierungspartei unbequemen Tatsachen verschwiegen habe. So habe Morawiecki etwa den Bericht der Beratungsfirma Conway Analytics zitiert, laut dem Polen europaweit das fünftattraktivste Land für ausländische Investoren sei. Vom Competitiveness Report und dem Ranking Doing Business, in dem Polen entsprechend den 37. und 40. Platz einnehmen und davon, dass Polen im zweiteren vom 33. Platz zurückgefallen sei, sei aber nicht die Rede gewesen. 

Auch die die Verkleinerung der Zahl von Polen, die sich auf Emigration befinden, um 100 Tausend Personen habe Morawiecki als Verdienst seiner Regierung dargestellt. Und vergessen zu erwähnen, dass dieser Rückgang vor allem eine Folge des Brexits sei.

Der Regierungschef habe mit der Rekordzahl von gebauten Wohnungen geprahlt. Nur seien diese vor allem von privaten Investoren gebaut worden und häufig als Absicherung vor der erwarteten hohen Inflation erworben worden.

Morawiecki, lesen wir weiter, halte sogar die Bereiche für Erfolge, die offensichtliche Niederlagen seien, wie das Gesundheitssystem und das Bildungswesen. Viele der Thesen in der Antrittsrede seien zwar richtig, nur würden leider die Taten der Regierenden ihnen widersprechen, wie etwa im Bildungsbereich, wo der Premierminister dafür argumentiere, Kreativität in Jugendlichen und Kindern zu wecken, die Änderungen unter der Regierung PiS aber in die umgekehrte Richtung führen würden. Derzeit würden Schulen eher versuchen,  Absolventen zu produzieren, die von der besonderen Position Polens in der Welt überzeugt seien, der polnischen Geschichte gegenüber kritiklos eingestellt seien, anderen Religionen, Rassen sowie Sitten dafür mit Misstrauen begegnen, so Witold Gadomski in der Gazeta Wyborcza. 

 

Autor: Adam de Nisau