Deutsche Redaktion

Netanjahu wichtiger als Churchill?

27.05.2024 11:26
Die Art und Weise, wie die USA beabsichtigen, den Premierminister des verbündeten Israels vor dem Internationalen Strafgerichtshof zu verteidigen, wirft Fragen zu ihrem Umgang mit den verkündeten Werten auf, schreibt der Publizist der konservativ-liberalen Rzeczpospolita, Jerzy Haszczyński. Was haben wir aus drei Jahren Krieg über das heutige Russland gelernt? Und: Versucht der Premierminister unbequeme Wahrheiten über den Migrationspakt vor den EU-Wahlen unter den Teppich zu kehren? Die Einzelheiten in der Presseschau.
Prokurator MTK Karim Khan wniósł w poniedziałek o nakaz aresztowania premiera Izraela Benjamina Netanjahu i ministra obrony tego kraju Joawa Gallanta oraz trzech przywódców Hamasu - Jahji Sinwara, Mohammeda Deifa i Ismaila Hanije
Prokurator MTK Karim Khan wniósł w poniedziałek o nakaz aresztowania premiera Izraela Benjamina Netanjahu i ministra obrony tego kraju Joawa Gallanta oraz trzech przywódców Hamasu - Jahji Sinwara, Mohammeda Deifa i Ismaila HanijeShutterstock.com/photocosmos1

Rzeczpospolita: Netanjahu wichtiger als Churchill

Die Art und Weise, wie die USA beabsichtigen, den Premierminister des verbündeten Israels vor dem Internationalen Strafgerichtshof zu verteidigen, wirft Fragen zu ihrem Umgang mit den verkündeten Werten auf, schreibt der Publizist der konservativ-liberalen Rzeczpospolita, Jerzy Haszczyński. Der Antrag des Anklägers Karim Khan auf Erlass eines Haftbefehls, so der Autor, habe zwar nicht nur in den USA Kritik hervorgerufen, da in ihm ein ähnlicher Vorwurf - die Verantwortung für Kriegsverbrechen - gegen Politiker eines demokratischen Staates, Israel (neben Netanjahu auch Verteidigungsminister Joaw Galant), auf einer Stufe mit drei Hamas-Führern, Terroristen, erhoben worden sei. Das sei in der Tat empörend. Aber, so Haszczyński weiter, das bedeute nicht, dass der IStGH eine Gruppe politisierter Juristen sei, die verantwortungslos die schwersten Anschuldigungen erheben. Was wäre vom Respekt vor dem Völkerrecht übrig, wenn wir den Richtern des Gerichts die Möglichkeit nehmen würden, zu beurteilen, ob die Israelis unter der Führung von Netanjahu Kriegsverbrechen im Gazastreifen begehen? 

Dies sei auch anderen westlichen Staaten bewusst, einschließlich Deutschland, das die Verteidigung der Sicherheit Israels als seine Staatsräson anerkenne und trotzdem angekündigt habe, Netanjahu im Falle eines Haftbefehls bei einer Landung in Deutschland festzunehmen. Aus Respekt vor dem Gesetz. Die USA, die sich oft als Verfechter der Rechtsstaatlichkeit darstellen, seien jedoch einen völlig anderen Weg gegangen – sie würden versuchen, das Gericht einzuschüchtern. Staatsanwalt Khan und den Richtern, die seinen Antrag unterstützen würden, drohe die Aufnahme auf die schwarze Liste, was unter anderem ein Einreiseverbot in die USA bedeuten würde.

Und das sei nicht das Ende der amerikanischen Unterstützung für Benjamin Netanjahu, der dank der Unterstützung extremistischer Nationalisten und Rassisten an der Macht bleibe. Vieles deute darauf hin, dass der Premierminister Israels bald nach Washington eingeladen werde, um vor den vereinigten Kammern des Kongresses zu sprechen. Der hohe Einsatz der Präsidentschaftswahlen in den USA, zu denen weniger als ein halbes Jahr verbleibe, führe dazu, dass auch Biden und sein Umfeld demonstrativ die Rolle des Völkerrechts in Frage stellen. Dies erleichtere sicherlich nicht die Bildung eines breiten Lagers demokratischer, freier und rechtsstaatlicher Staaten durch Amerika, das China, Russland und deren Verbündeten entgegentreten könnte. Es würde auch nicht helfen, einen so umstrittenen Politiker wie Netanjahu zum wichtigsten ausländischen Führer in der Geschichte der USA zu machen. Denn es wäre Netanjahus vierter Auftritt vor den vereinigten Kammern des Kongresses. Winston Churchill, der herausragende britische Premierminister aus einer entscheidenden Zeit, habe dort dreimal gesprochen. Viermal - noch niemand. Netanjahu würde sich als wichtiger erweisen als Churchill, so Jerzy Haszczyński in der Rzeczpospolita. 

Was sagt uns das neue Bild von Russland?

Das Bild Russlands, das aus dem Krieg gegen die Ukraine hervorgehe, sei so erschütternd, dass man befürchten könnte, der Westen werde wieder einmal lieber so tun, als sähe er dieses Bild nicht, schreibt ebenfalls in der Rzeczpospolita der Politologe und Philosoph Marek Cichocki. Wie der Autor erinnert, dauere der Krieg in der Ukraine nun schon das dritte Jahr an und sei leider längst Teil des alltäglichen Lebens geworden. Dabei sei er, neben dem Krieg im Nahen Osten, das brutalste, blutigste und grausamste Ereignis des 21. Jahrhunderts. Wir alle sollten uns aber die Frage stellen, ob dieser  schreckliche Ausbruch von Gewalt eine Art „Retrospektive“ der Grausamkeiten des 20. Jahrhunderts, ein schreckliches Nachspiel der Geschichte sei, oder eher ein Vorzeichen einer noch schlimmeren Zukunft? Und die damit verbundene Frage, was dieser Krieg uns über das heutige Russland sage. In den letzten zwei Jahren habe es bereits eine vollständige Überprüfung aller Vorstellungen und Ansichten über Russland gegeben, die Westeuropa, oder weiter gefasst der Westen insgesamt, nicht nur seit dem Ende des Kalten Krieges, sondern schon viel länger gehegt habe. Wir in Polen, so Cichocki, hätten immer unsere eigene, separate Meinung zu diesem Thema gehabt, die in Europa oft mit Distanz oder sogar mit offener Missbilligung betrachtet worden sei. Auch wenn wir heute vielleicht eine gewisse Genugtuung verspürten, dass wir in dieser Angelegenheit immer näher an der Wahrheit gewesen seien, ändere dies nichts an der Tatsache, dass das Hervortreten eines völlig neuen Russlands durch diesen Krieg uns direkt betreffe. Und dieses Bild Russlands sei so erschütternd, dass man befürchten könnte, der Westen werde wieder einmal lieber so tun, als sähe er dieses Bild nicht. Es gehe hier nicht um das neue putinsche Herrschaftssystem, das im Kreml geschaffen worden sei, sondern um etwas viel Ernsteres. Der aktuelle Krieg zeige, dass das, was wir als russische Gesellschaft bezeichnen würden, in überwiegender Mehrheit nicht nur das Töten anderer unterstütze, sondern auch den Sinn ihrer Existenz darin finde, für eine völlig undefinierbare Vorstellung von russischer Größe und Einzigartigkeit getötet zu werden. In einer hervorragenden Studie zu diesem Thema, „Putinismus verstehen. Die Obsession der Macht“, beschreibe die französische Forscherin Françoise Thom dieses Phänomen des modernen Russlands, das auf einer allgegenwärtigen sozialen und politischen Apologie der Gewalt aufgebaut sei. Dieses Bild sei schrecklich, aber es sei besser, die Augen nicht davor zu verschließen, so Marek Cichocki in der Rzeczpospolita. 

Gazeta Polska Codziennie: Es steht fest, dass wir Migranten aufnehmen werden

Die nationalkonservative Gazeta Polska Codziennie setzt in ihrem heutigen Aufmacher wieder auf das Thema Migration und wirft Premierminister Tusk vor, in Bezug auf die Auswirkungen des Migrationspakts auf Polen gelogen zu haben. Anlass dafür ist eine neuerliche Aussage des französischen Premierministers Gabriel Attal, der betonte, dass  illegale Migranten, von denen jährlich mehrere Millionen nach Europa kämen, in erster Linie in Länder geschickt würden, die sich bisher geweigert haben, sie aufzunehmen, nämlich vor allem nach Polen und Ungarn. Damit, so das Blatt, habe er frühere Berichte der „Gazeta Polska Codziennie“ bestätigt und gleichzeitig Donald Tusk entlarvt, der beteuert habe, dass unser Land nicht an der Zwangsverteilung teilnehmen werde. 

Anfang Januar dieses Jahres, nur wenige Tage nach der Aufhebung der Blockade an den  Arbeiten am Migrationspakt in Brüssel durch die Regierung von Donald Tusk, habe die „Gazeta Polska Codziennie“, wie das Blatt in dem Artikel erinnert, informiert, dass im Europäischen Parlament über einen sogenannten Ausgleichsmechanismus diskutiert werde. Dieser sehe vor, dass Länder, die sich bisher geweigert hatten, an der Verteilung illegaler Migranten teilzunehmen, in den kommenden Jahren gezwungen werden, eine wesentlich größere Anzahl aufzunehmen als beispielsweise Deutschland, Frankreich oder Italien. Wenn sie dem nicht zustimmen, würden gigantische Geldstrafen verhängt. Sollte die Europäische Kommission jedoch eine Migrationskrise erklären (die übrigens seit mehreren Jahren andauere), werde die Möglichkeit, sich aus diesem Mechanismus freizukaufen, aufgehoben, und die Aufnahme von Menschen von außerhalb Europas werde die einzige Option sein, die den Mitgliedstaaten bleibe. 

Nun habe der französische Premierminister Gabriel Attal, dessen Partei zur Renew-Gruppe im Europaparlament gehöre, derselben Gruppe, der auch Polen 2050 von Szymon Hołownia angehöre, habe in einer Fernsehdiskussion direkt gesagt, dass „es gelungen sei, die osteuropäischen Länder zur Unterzeichnung eines Dokuments zu zwingen, wonach sie entweder Migranten aufnehmen oder zahlen müssten“. Attal habe auch betont, dass die Migranten nicht in französische Dörfer geschickt würden, sondern in Länder, die sich heute weigerten, Asylbewerber aufzunehmen, also unter anderem nach Polen. Das bedeute, dass entgegen den Ankündigungen von Donald Tusk und gemäß den Informationen der „Codzienna“ Polen die größte Anzahl von Menschen von außerhalb Europas aufnehmen werde. 

Geht es nach dem EU-Abgeordneten der PiS, Witold Waszczykowski, habe der französische Premierminister einfach die Pläne der liberal-linken politischen Kräfte in Europa verraten, zu denen auch die PO und ihre Mitarbeiter gehören. Die Situation sei einfach: Entweder Polen nehme so viele Migranten auf, wie Brüssel wolle, oder es würden gigantische Geldstrafen verhängt. In außergewöhnlichen Situationen werde man nicht zwischen Zahlen und Aufnehmen wählen können. Tusk habe dies bis zu den Europawahlen verbergen wollen. “Zu behaupten, dass wir von der Teilnahme an diesem Mechanismus befreit werden, ist schlichtweg unwahr. Uns wird die größte Anzahl illegaler Migranten zugewiesen”, sagt Waszczykowski im Gespräch mit dem Blatt.

Und Jacek Saryusz-Wolski, ebenfalls Europaabgeordneter der PiS, fügt hinzu, dass die Aufnahme von über einer Million Flüchtlingen aus der Ukraine zu unserem Nachteil wirken könnte, da eines der Kriterien für die Zuweisung von Migrantenquoten die sogenannte Aufnahmefähigkeit sei. “Wenn ein Land einmal gut mit der Aufnahme einer so großen Anzahl von Menschen außerhalb der EU zurechtgekommen ist, dann sollte es das auch ein zweites Mal tun können”, so Jacek Saryusz-Wolski gegenüber der „GPC“.

Autor: Adam de Nisau


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