Rzeczpospolita: Zeit für Polens Initiative
Die Wahlen in Frankreich könnten sich als ein wichtiger Faktor für die Veränderung der Sicherheitsarchitektur in Europa erweisen, schreibt Marek A. Cichocki am Montag in der Rzeczpospolita. Ihm nach sollte Polen zusammen mit den baltischen und skandinavischen Staaten aber auch Tschechien, der Slowakei und Rumänien so bald wie möglich in der EU einen Vorschlag für eine neue Sicherheitspolitik für Europa ausarbeiten. Einbezogen sollten auch willige Balkanstaaten. Es gehe vor allem darum, heißt es, den Moment zu nutzen und die Initiative zu ergreifen.
Der russische Einmarsch in der Ukraine habe nämlich alle strategischen Schwachstellen Europas offengelegt. Es bleibe zweifelhaft, ob die EU ohne Amerikas Engagement heute in der Lage gewesen wäre, sich zu mobilisieren. Die Haltung gegenüber Russland habe einmal mehr alte und starke innere Widersprüche in der Sicherheitspolitik offengelegt. Darum sollte Polen die nächsten drei Jahre - die Zeit bis zu den amerikanischen Präsidentschaftswahlen - nutzen, um die Beziehungen Europas zu Moskau so weit wie möglich zu schwächen und das transatlantische Bündnis zu stärken. Und dies, so der Autor, sei eine Gelegenheit, die Sicherheitsarchitektur in Europa zu Gunsten unserer Region umzugestalten.
Die Wahlen in Frankreich, heißt es weiter, könnten sich als ein wichtiger Faktor für diesen Wandel erweisen, egal wie sie ausgehen, glaubt Cichocki. Falls Emmanuel Macron sie schließlich gewinne, werde er seine zweite Amtszeit, dem Autor nach, nutzen wollen, um Europa weiter in Richtung einer strategischen Souveränität zu lenken. Heute, heißt es weiter, sei diese Idee von ihm jedoch durch die aktuellen Ereignisse völlig diskreditiert und sogar noch deutlicher antiamerikanisch und pro-russisch geworden. Es sei kein Zufall, bemerkt Cichocki, dass die französische Idee einer strategischen Souveränität für Europa in den letzten Wochen von Putins Verbündeten Dmitri Medwedew gelobt wurde.
Mit Le Pens Sieg wäre die Situation noch komplizierter. Sie habe angekündigt, dass sie Frankreich nicht mehr aus der EU herausführen wolle, sondern bereits einen Austritt aus der NATO und einen Bruch der militärischen Zusammenarbeit mit Deutschland anstrebe. Letzteres, lesen wir in der Tageszeitung, könnte jedoch dazu beitragen, Deutschland wieder tief in die Strukturen des atlantischen Bündnisses einzubinden. Berlin könnte gezwungen werden, mehr Verantwortung für die neue Sicherheitspolitik in Europa zu übernehmen, ohne die Last der anti-atlantischen Haltung Frankreichs. Auf diese Weise, schreibt Cichocki am Schluss, könnte Berlin nach zwei Jahrzehnten absurder Politik endlich seine sicherheitspolitische Schuld gegenüber Polens regionalem Umfeld und Europa insgesamt wieder begleichen.
Rzeczpospolita: EU würde Polexit überleben, aber nicht einen Frexit
Jędrzej Bielecki schreibt unterdessen ebenfalls in der Rzeczpospolita zu den Wahlen in Frankreich, dass der Westen die erste Welle des Populismus irgendwie überlebt habe. Aber werde er überleben, lautet die Frage, falls Marine Le Pen die französischen Präsidentschaftswahlen gewinne? Der Sieg von Emmanuel Macron im Jahr 2017 sei eine Quelle der Hoffnung für die westliche Welt gewesen, die damals von der ersten Welle des Populismus getroffen worden sei. Einige Monate zuvor, erinnert Bielecki, seien die Briten aus der Europäischen Union ausgetreten. Die Amerikaner hätten das Schicksal ihres Landes, dem Blatt nach, einem unberechenbaren Donald Trump anvertraut. Polen hätten begonnen sich an den ständigen Konflikt mit Brüssel zu gewöhnen. Trotz alle dem, heißt es, habe der Westen diese Torturen irgendwie überlebt.
Es gebe mindestens drei Gründe, lesen wir des Weiteren, warum die EU jetzt aber nach Le Pens eventuellen Sieg nicht überstehen könnte. Die Europäische Union habe den Brexit überlebt, sie würde auch den Austritt Polens oder Spaniens überleben, glaubt der Autor. Aber ein Frexit, fährt Bielecki fort, würde ihr Ende bedeuten. Die Union sei nämlich auf der Versöhnung der beiden größten europäischen Länder aufgebaut worden: Frankreich und Deutschland. Der Frexit würde auch den Tod des Binnenmarktes bedeuten, der die Grundlage der Union und des wirtschaftlichen Erfolgs Polens bleibe. Außerdem, heißt es, fänden die Wahlen in Frankreich zu einer Zeit statt, in der der schwerste Konflikt in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg ausgetragen werde. Eine Niederlage Macrons würde nicht nur das Ende der neuen Sanktionen bedeuten, die Brüssel gegen Russland verhängt habe, sondern auch Putin ermutigen, über die Ukraine hinaus anzugreifen, überzeugt der Autor.
Schließlich wäre ein Sieg von Le Pen, so die Tageszeitung, ein noch nie dagewesener Schlag gegen die Werte, aus denen sich der Westen zusammensetzte. Die Große Französische Revolution von 1789, lesen wir, habe neben den Vereinigten Staaten und Großbritannien die universelle Botschaft der Menschenrechte und der Demokratie gebracht. Wenn also somit selbst in Frankreich Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit in Frage gestellt würden, was würde dann die autoritären und korrupten Regime Chinas und Russlands davon abhalten, ihre Weltanschauung überall dort auszuweiten, wo dies möglich sei?
Dziennik: Das Ende der "moralischen Supermacht"
Andrzej Krajewski schreibt indes für das Online-Tagesblatt "Dziennik" über den "moralischen Untergang" Deutschlands. Zu Anfang lesen wir, dass die Grundlage der in Berlin zu Beginn des 21. Jahrhunderts beschlossenen Strategie für die wirtschaftliche Entwicklung, die Energiewende und die Zukunftspläne eine enge Zusammenarbeit mit Russland gewesen sei. Die deutsche Regierung habe dabei natürlich gewusst, dass Putin dort schrittweise Demokratie und Meinungsfreiheit abschaffe. Gelegentlich habe er auch die Ermordung unbequemer Dissidenten und bewaffnete Pazifizierungen oder Invasionen in Nachbarländern angeordnet. Doch Wladimir Putin mordete, wütete und unterdrückte in Gebieten, die als Russlands Einflussbereich galten. Gegebenenfalls befahl er dazu die Liquidierung derjenigen, die ihm in den Westen entkommen seien. Gegenüber Berlin aber, so Krajewski, habe er sich stets wie ein zuverlässiger Geschäftsmann verhalten, der offen für neue Vorschläge war.
Dem Autor nach haben sich die Deutschen dieses Jahrzehnt wie folgt vorgestellt. Die deutsche Wirtschaft sauge mit Volldampf billige russische Rohstoffe ein und profitiere gleichzeitig vom Turbolader-Effekt, die der Euro-Wechselkurs und der offene Markt in der gesamten EU in den letzten zwei Jahrzehnten mit sich gebracht haben. Durch den Ausbau der heimischen Technologie und der Energiewende würde Berlin seinen Status als Exportmacht bewahren. Dadurch könnte es mit den USA und China konkurrieren, die um ein Vielfaches größer seien. Dies würde nicht nur den Wohlstand für die nächste Generation von Deutschen garantieren, sondern auch die Position eines zunehmend dominanten Staates in der Europäischen Union sichern. Es sei schwer, gibt der Autor zu, diese Strategie nicht als hervorragend zu bezeichnen. Ihr einziger Schwachpunkt halt sei immer Wladimir Putin gewesen. Anstatt zu kooperieren und zu verhandeln, um den Einflussbereich Russlands zu erweitern, fährt der Autor fort, sei er einfach in die Ukraine einmarschiert und habe die Grundlagen auf denen Deutschland saß, weggebombt.
Solange Putin als Partner Berlins angesehen werden konnte, hätten "die Hektoliter an Heuchelei, die aus den Worten deutscher Politiker sprudelten, leicht mit kostenlosen Erklärungen und billigen Gesten überdeckt werden" können. Doch am 24. Februar, heißt es, habe der russische Präsident die Deutschen einen der wichtigsten Grundbausteine beraubt, auf denen die Außenpolitik Berlins beruht habe. Nämlich das seit den Tagen Konrad Adenauers aufgebaute Image einer "moralischen Macht". Eines Staates, der in der Lage sei, seine nationalsozialistischen Verbrechen zu bewältigen und Wahrheit und humanistische Werte über alles andere zu stellen. Diese Haltung sollte sich durchsetzen, so der Autor, falls Eigeninteressen überwiegen sollten. Mit einem Tritt Putins gegen den Tisch, schreibt Krajewski abschließend, sehe das einst hervorragende Image Deutschlands auf der internationalen Szene heute aber aus wie die ukrainische Stadt Mariupol unter russischer Belagerung. Sie verteidige sich zwar immer noch, lautet sein Fazit in Dziennik, aber es sei keine Stadt mehr, sondern ein Trümmerhaufen.
Piotr Siemiński