Rzeczpospolita: Respekt statt Missachtung
Er wolle nur, dass das demokratische Deutschland sich etwas Mühe gibt, damit diese handvoll, denn mittlerweile nur noch 40 Tausend immer noch lebende Menschen, einen Beweis elementaren Respekts erhalten, statt nebliger Versicherungen, dass jemand über sie denkt, schreibt in seiner Stellungnahme zum Thema der Chefredakteur der konservativ-liberalen Rzeczpospolita, Bogusław Chrabota.
“Zum Beispiel ist die Unterstützung älterer Menschen und Überlebender für uns sehr wichtig, und in diesem Bereich werden wir tätig sein“ – habe der Bundeskanzler Olaf Scholz in Warschau gesagt, erinnert Chrabota. Wie? Wann? Auf welchen Wegen? Darüber habe er kein Wort verloren, obwohl er sehr wohl wisse, wie heiß und wichtig das Thema der deutschen Reparationen an der Weichsel sei.
Sogar die deutsche Presse habe ihn wegen vager Versprechen kritisiert, und wir sollten hinzufügen: Kann man sich eine bessere Zeit und einen besseren Ort vorstellen, um einen konkreten Vorschlag für die Opfer deutscher Verbrechen zu unterbreiten, als das im Krieg verwüstete Warschau und zwar am Tag der lang erwarteten, erneuerten ersten Regierungskonsultationen seit Jahren? Kurz gesagt, nach Meinung vieler Interessierter habe Olaf Scholz das Thema ignoriert.
Das sei kompromittierend; mehr noch, es sei ein schwerwiegender Fehler, so Chrabota. Die “Rzeczpospolita” habe sich nicht jahrelang für die Normalisierung der Beziehungen zwischen Warschau und Berlin eingesetzt, damit Deutschland nun glauben könne, dass mit dem Machtwechsel in Polen schwierige Themen der Abrechnung für Kriegsverbrechen der Vergangenheit angehören.
Nein, so der Autor, sie würden nicht der Vergangenheit angehören. Und zwar nicht nur solange, wie die wenigen noch lebenden Opfer der Väter und Großväter von Scholz' und seinen Kollegen aus der Bundesrepublik leben. Von Tag zu Tag würden es immer weniger sein, und Scholz sollte verstehen, dass aus ihrer Perspektive die deutsche Langsamkeit bedeutet, dass das Problem von der Biologie gelöst werden solle und nicht von Experten in Berlin.
Wie schwierig diese Angelegenheiten seien, so der Autor, zeige zum Beispiel der Fall seines 90-jährigen Vaters, eines Kindes polnischer Eltern, geboren in Borysów an der Beresina. Als 10-Jähriger sei er mit seiner Mutter und Schwester zur Zwangsarbeit ins preußische Treuburg verschleppt worden. Nach dem Krieg sei er in die Sowjetunion zurückgekehrt, um schließlich mit seinem Vater im Zuge der Repatriierung nach Polen zu gelangen. Aus jener Zeit habe er schwere Traumata und schmerzhafte Narben behalten, die sich – je älter er werde – immer häufiger öffnen würden. Als er sich vor Jahren um eine finanzielle Entschädigung bei der Stiftung für Polnisch-Deutsche Versöhnung beworben habe, habe man von ihm Dokumente verlangt, eine Art Bescheinigung vom örtlichen Arbeitsamt oder andere Papiere. Natürlich habe er nichts gehabt. Worüber hätte ein 10-jähriges Kind, das von den totalitären Mächten in einem tödlichen Kampf zerrieben wurde, verfügen können?
Er habe nur eine Erklärung abgeben können, aber das habe den Beamten nur ein Lächeln entlockt. “Wenn das Papier mit dem Nazi-Raben fehlt, entwertet das den individuellen Charakter der Geschichte, Herr Olaf Scholz?”, fragt Chrabota.
Über die immer noch lebenden Opfer des Nazi-Regimes könne man unterschiedlich denken - mit einem harablassenden Lächeln oder mit falschem Mitgefühl. Leider könne Ihr Mangel an Sensibilität in Warschau genau als Ausdruck des Letzteren angesehen werden. Das wäre eine fatale Lektion für Polen und Deutschland für die Zukunft, so Bogusław Chrabota in der Rzeczpospolita.
Rzeczpospolita: Donald Tusk macht sich für die PiS angreifbar
Doch auch Polens Regierungschef wird in der Rzeczpospolita für sein Auftreten bei den Regierungskonsultationen kritisiert. Wie der Publizist Artur Bartkiewicz betont, habe sich Tusk durch seine fehlende Assertivität gegenüber Scholz für die nationalkonservative PiS angreifbar gemacht.
Manchmal, so der Autor, müsse man in der Politik die Formel aussprechen “Außerdem bin ich der Meinung, dass Kartagina zerstört werden sollte”, auch wenn man sich bewusst ist, dass einem die Kräfte und Mittel für einen solchen Schritt fehlen. Stattdessen habe Tusk bei der Pressekonferenz nach den Konsultationen gesagt, dass “die Frage der Reparationen formal und juristisch abgeschlossen ist” und Scholz Argumente für diese These habe. Es habe jedoch der Satz gefehlt, dass Polen seinerseits Argumente für die entgegengesetzte These hat. Oder, dass es bei diesem Thema keine Einigkeit zwischen Berlin und Warschau gibt. Oder, dass Polen eine Entschädigung für die Schäden zusteht und wir das immer unterstreichen werden. Da dieser Satz gefehlt habe, sei der unangenehme Eindruck entstanden, dass Polens Premierminister in der delikaten Frage der Reparationen - wie man auch in zahlreichen Kommentaren im Netz lesen könne - die deutsche Perspektive angenommen habe. Das könne sich für Tusk als politisch kostspielig erweisen. Natürlich habe der Regierungschef Recht, wenn er unser Denken über die deutsch-polnischen Beziehungen in die Zukunft lenken wolle. Dennoch, die verbale Unterstützung der deutschen Argumente werde denjenigen Munition geben, die Tusk die Realisierung deutscher Interessen vorwerfen. Und auch der deutsch-polnischen Versöhnung werde der Versuch, die Traumata des II. Weltkriegs zu übertünchen nicht dienlich sein, so Artur Bartkiewicz in der Rzeczpospolita.
Dziennik/Gazeta Prawna/Gazeta Wyborcza/Rzeczpospolita: “Tötet nicht die polnischen Medien”
Doch das dominierende Thema der heutigen Zeitungsausgaben ist die Zukunft der Medien in Polen. Die größten Zeitungen landesweit, darunter die Rzeczpospolita, Dziennik/Gazeta Prawna und Gazeta Wyborcza machen ihre heutigen Ausgaben mit dem in großen Lettern geschriebenen Appell “Politiker, tötet nicht die polnischen Medien” und einem gemeinsamen Brief polnischer Verleger, Redaktionen und Journalisten an die Politiker auf. Anlass dafür ist eine Änderung des Urheberrechtsgesetzes, die der Sejm vor kurzem an den Senat weitergeleitet hatte. Der Vorwurf der Verleger: Bei der Novelle, die eigentlich polnisches Recht an EU-Recht anpassen soll, seien kritische Kommentare der Branche außen vor gelassen worden, was Tech-Giganten, wie Google oder Meta, die Inhalte der Medien kostenlos nutzen und ihre Profite anschließend ins Ausland schicken eine unverhältnismäßig starke Position bei Verhandlungen mit Vertretern der polnischen Medien gibt.
Wie die Autoren des Briefs betonen, seien unabhängige Medien ein unabdingbares Element des demokratischen Systems. “Durch ihre schnelle Entwicklung”, lesen wir in dem Brief, hätten die Tech-Giganten aber “den Löwenanteil der Werbemittel übernommen, die bisher die polnischen Medien finanziert haben. Unbestraft und kostenlos nutzen sie die von uns erstellten Inhalte und leiten die Gewinne ins Ausland weiter”, betonen die Autoren.
Um zu überleben, würden die polnischen Medien die Unterstützung des demokratischen Staates brauchen. Desjenigen, den sie immer mit derselben Leidenschaft verteidigen würden. Leider würde der Staat in dieser Rolle aber erneut versagen. “Bei der Verabschiedung der Vorschriften zum Urheberrecht in der digitalen Welt”, so die Verfasser, “wurden unsere Forderungen völlig ignoriert. Dabei haben wir nicht viel verlangt", lesen wir.
Die Unwilligkeit der Regierenden, sich mit diesem Problem auseinanderzusetzen, zeuge von Verantwortungslosigkeit und Kurzsichtigkeit. Heute sei es noch nicht zu spät. “Wir appellieren an die Regierung, an Abgeordnete und Senatoren aller politischen Richtungen, unsere Argumente anzuhören und das schädliche Gesetz zu verbessern.
Die völlige Übergabe dieser Bereiche an globale Technologieunternehmen würde uns nicht nur als Gesellschaft erheblich verarmen, sondern könnte auch die Demokratie, wie wir sie kennen, gefährden. Das darf nicht zugelassen werden. Politiker – tun Sie etwas nicht nur für ausländische Technologie-Riesen, sondern auch für Polen und die Polinnen und Polen!”, so die Verfasser des Briefs, der unter anderem in der Gazeta Wyborcza, der Rzeczpospolita und Dziennik/Gazeta Prawna erschienen ist.
Autor: Adam de Nisau