Rzeczpospolita: Warum lässt die Ukraine Exhumierungen in Wolhynien zu?
Die Tageszeitung Rzeczpospolita erinnert an das Treffen zwischen Außenminister Radosław Sikorski und dem ukrainischen Außenminister Andrij Sybiha am Dienstag. Beide hatten mitgeteilt, dass der Exhumierung der Opfer des Wolhynien-Massakers nun „keine Hindernisse“ mehr im Wege stünden.
Wie wir lesen, habe Polens Spitzendiplomat die Ukrainer in dieser Frage seit vielen Monaten unter Druck gesetzt. Seiner Meinung nach sollte Kiew die Opfer des Wolhynien-Massakers nicht schlechter behandeln als Wehrmachtssoldaten. Bei deren Exhumierung habe Kiew nämlich nicht gezögert, heißt es. Möglicherweise habe die Ukraine eine solche Entscheidung schon früher getroffen, so das Blatt, aber ihre Bekanntgabe während der Präsidentschaftsvorwahlen im Lager der Regierungspartei könnte an der Weichsel zweideutig erscheinen. Die Vereinbarung mit den Ukrainern werde nun angesichts des bevorstehenden Präsidentschaftswahlkampfes in Polen als Erfolg für das gesamte Regierungslager verkauft. Habe Kiew damit beschlossen, Premierminister Donald Tusk zu unterstützen? Nicht unbedingt, meint Ruslan Schoschin in seinem Kommentar für die Zeitung.
Nach Ansicht des Autors wollen die ukrainischen Entscheidungsträger eher ein „giftiges“ Thema zwischen beiden Ländern beseitigen, noch bevor der Präsidentschaftswahlkampf in Polen ernsthaft beginnt. Sie wüssten sehr wohl, dass die russische Propagandamaschine kein besseres Thema habe, um Polen und Ukrainer zu spalten. Zudem würden einige polnische Politiker die weitere Integration der Ukraine in die EU von der Exhumierung der Opfer des Wolhynien-Massakers abhängig machen, lesen wir. In Kiew versuche man also, dem drohenden politischen Sturm in Warschau, der jeden Wahlkampf begleite, schon im Vorfeld zu entkommen, schreibt Schoschin.
Die Unterstützung der Kandidatur des Chefs des Instituts für Nationales Gedenken (IPN), Karol Nawrocki, durch die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) habe auch Medien am Dnjepr aufgeschreckt, heißt es weiter. Auf den Seiten ukrainischer Zeitungen könne man oft lesen, dass Nawrocki sich gegen die „Geschichtsverfälschung der Ukrainer“ positioniere. Andere seien der Meinung, die Exhumierungen seien zum Wohl der Ukraine. Sie seien eine Investition in die Unterstützung für das Land, die sich vielleicht sogar noch in diesem Winter auszahlen könnte. Haben diese Meinungen die Behörden in Kiew dazu veranlasst, einen seit Jahren andauernden Streit zu beenden? Das werde man in naher Zukunft herausfinden. Die politische Entscheidung sei getroffen worden. Jetzt sei es Zeit für konkrete Handlungen, lautet Ruslan Schoschins Fazit in der Rzeczpospolita.
Wprost: Merkel schwelgt in Erinnerungen und bereut weiterhin nichts
Die Veröffentlichung der Memoiren von Angela Merkel war diese Woche auch in Polen ein häufiges Thema. Wie Jakub Mielnik für die Wochenzeitung Wprost schreibt, leugne die ehemalige Bundeskanzlerin in ihrem Buch alles. Und zwar bis zum Schluss. Sie bereue keine der Fehler, die sie während ihrer 16-jährigen Regierungszeit gemacht habe, und die Putin den Weg zum Krieg gegen Europa geebnet hätten, lesen wir. Stattdessen gebe sie gerne die zahlreichen Demütigungen zu, die ihr Russlands Diktator angetan habe. Nach Ansicht des Autors zeuge dies unbewusst davon, dass Generationen von Deutschen in der ehemaligen DDR mit der Überzeugung aufgewachsen seien, die Russen seien von Natur aus überlegen und unanfechtbar.
Als Titel einer polnischen Ausgabe von Angela Merkels Memoiren mit dem Titel „Freiheit" schlägt der Autor daher seinen eigenen Titel vor: „Über Angela, die sich der Wahrheit nicht beugt". Mielnik zufolge zeugen die 700 Seiten des Buches von der Freiheit der ehemaligen Bundeskanzlerin von jeglicher Besinnung und Gewissensbissen. Wie es weiter heißt, sei Merkel wie keine andere in Europa an der Reaktivierung des russischen Imperialismus beteiligt gewesen. Sie habe Putin den Weg zum Krieg geebnet. Heute aber versuche sie, der ganzen Welt einzureden: „Nein, das war nicht ich.“
Nicht sie, sondern die Sozialisten der Koalition hätten die Bundeswehr finanziell kastriert. Nicht sie habe eine gemeinsame und selbstbewusste europäische Position gegenüber Russland torpediert, sondern die Amerikaner, die so die internen Streitigkeiten in der EU ausnutzen wollten. Auch habe nicht sie, sondern der gierige Markt das unselige Nord Stream 2-Projekt durchgesetzt. Gleichzeitig gebe Merkel zu, dass das Projekt Deutschland als ein Schlüsselelement seiner Ostpolitik gedient habe. Alle, die den sturen Beteuerungen Berlins geglaubt hätten, es habe sich nicht um ein staatliches, sondern um ein rein privates Projekt gehandelt, sollten dies mit einem dicken, grellen Marker unterstreichen, so Mielnik.
Am Schluss heißt es in Wprost, Merkel leugne sogar ihre Schuld an den tragischen politischen Folgen der Migrantenkrise für Deutschland. Ihr zufolge seien die Deutschen selbst schuld. Sie hätten es nämlich versäumt, die von ihr eingeladenen Neuankömmlinge zu integrieren.
Dziennik: Polen wird von politischen Dinosauriern regiert
In einem Interview mit Dziennik teilt Professor Antoni Dudek seine Überlegungen zu den Auswirkungen der letzten 30 Jahre Geschichte auf das heutige Polen. Dies ist auch das Thema seines neuesten Buches. Wie er sagt, sei die heutige Politik und Gesellschaft Polens stark von den Ereignissen geprägt, die Anfang der 1990er Jahre den Startschuss für die Dritte Republik gegeben haben. Allen voran die politischen und ideologischen Spaltungen zwischen postkommunistischen und postsolidarischen Fraktionen. Der heutige Konflikt zwischen der Bürgerplattform (PO) und der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) spiegele dies immer noch wider. Dudek weist auf die Kontinuität der Probleme hin: von Streitigkeiten über Religion in Schulen und das Recht auf Abtreibung bis hin zu geopolitischen Fragen wie den Beziehungen zu Russland.
Geht es nach dem Historiker, sei eines der größten Probleme im heutigen Polen die Unfähigkeit der Politiker, eine sachliche Debatte zu führen. Die heutige politische Szene basiere allein auf Anschuldigungen. Jeder versuche, seinen politischen Gegner in den Boden zu stampfen. Statt einer Diskussion über Steuer- oder Bildungsreformen bekämen die Polen ein Konzert gegenseitiger Vorwürfe, heißt es. Das Paradoxe dabei, so Dudek, sei, dass Politiker eine aggressive Politik treiben, weil die Wähler dies von ihnen erwarten. Eine zweiköpfige Exekutive, in der der Präsident und die Regierung oft im Streit liegen, weil sie verfeindeten Parteien angehören, führe zudem zu einer Lähmung der Beschlussfassung.
Dudeks Ansicht nach sei ein Wandel auf der politischen Szene unvermeidlich, aber es werde noch Zeit brauchen. Solange die polnische Politik von „Dinosauriern“ – Jarosław Kaczyński und Donald Tusk – dominiert werde, sei es schwierig, eine ernsthafte Debatte zu führen. Wie der Professor und Historiker abschließend vorhersagt, könnte die Erschöpfung der Öffentlichkeit über Stammeskonflikte den Weg für neue Führungspersönlichkeiten ebnen. Nur so könne ein wirklicher Wandel erfolgen.
Autor: Piotr Siemiński