Deutsche Redaktion

Prof. Weber: Deutsche unterstützten Zweiten Weltkrieg mit überwältigender Mehrheit bis zum Ende

24.05.2023 07:07
Auch wenn die Deutschen den Nationalsozialismus oder Hitler nicht uneingeschränkt unterstützten, so standen sie mit überwältigender Mehrheit hinter dem Krieg, meint Prof. Thomas Weber von der Universität in Aberdeen. 
Prof. Thomas Weber
Prof. Thomas WeberPrivat

Um das Ausmaß der deutschen Zustimmung zu messen, müsse man die Unterstützung für den Nationalsozialismus, für Hitler und für die Kriegsführung beachten. „Es gab viele Deutsche, die den Nationalsozialismus ein bisschen bizarr fanden, aber Hitler war großartig. Andere sagten: Wir sind nicht mit ganzem Herzen für den Nationalsozialismus oder Hitler, aber wir unterstützen trotzdem den Krieg", sagt der Historiker in einem Interview mit der polnischen Presseagentur PAP. Webers Meinung nach war die Unterstützung für den Krieg unter den drei Fällen am größten, insbesondere gegen Ende des Zweiten Weltkriegs.

„Wenn wir die zweite Hälfte des Krieges betrachten, wie erklären wir dann die anhaltende Beteiligung so vieler Deutscher am Krieg? (...) Wie ist es zu erklären, dass das letzte Jahr des Krieges das blutigste war? Bei den Kämpfen im letzten Jahr starben so viele Menschen wie in allen Jahren zuvor auf dem europäischen Kriegsschauplatz. Hätten die Deutschen den Krieg nur widerwillig geführt, hätten sie zu diesem Zeitpunkt sicherlich einfach kapituliert, anstatt weiter zu sterben".

„Seltsame" Worte von Scholz zum Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs

Dem Experten zufolge sei die Unterstützung der Bevölkerung für den Krieg erst während des Krieges entstanden. „Als die ersten Kriegszüge aus deutscher Sicht gut verliefen, begannen die Menschen, die Kriegsanstrengungen zu unterstützen, und die Nazis begannen, den Krieg auf zweierlei Weise zu verkaufen. Ihren festen Anhängern gegenüber - als nationalsozialistischer Krieg, als fast europäischer Krieg gegen die Bedrohung durch das internationale Judentum, in einer eschatologisch-apokalyptischen Weise, dass nur, wenn dieser Krieg gewonnen würde, Europa gerettet und erlöst werden könnte".

„Denjenigen, die keine ideologischen Anhänger des Dritten Reiches waren, stellten sie den Krieg, vor allem als er nicht mehr so gut lief, auf traditionelle Weise als einen nationalen Überlebenskrieg dar. Obwohl Deutschland eindeutig der Aggressor war, gelang es ihnen, ihn als einen Verteidigungskrieg darzustellen, in dem Deutschland einfach einen Präventivangriff durchführen musste", betont Weber. Es sei somit falsch, die Unterstützung für die Nazis nur an der Zahl der NSDAP-Mitglieder zu messen, räumt der Historiker ein.

Angesichts der universellen Unterstützung der Deutschen für den Nationalsozialismus oder den Krieg mögen die Worte von Bundeskanzler Olaf Scholz zum Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs, wonach "am 8. Mai 1945 Deutschland und die Welt vom Nationalsozialismus befreit wurden", seltsam klingen, so Weber weiter.

Bis in die 1980er Jahre habe man das Kriegsende in Deutschland als Niederlage empfunden. Erst mit der Rede von Bundespräsident Richard von Weizsäcker im Jahr 1985 begann sich das zu ändern. Er habe die Niederlage als die Befreiung Deutschlands von der Diktatur bezeichnet.

Kein Versuch, den Krieg aus einer polnischen Perspektive zu betrachten

Deutschland würde deutlich keine Anstrengungen unternehmen, den Krieg aus polnischer Sicht zu betrachten, fährt Weber fort.

„Ich denke, eines der Probleme ist, dass die Deutschen nie wirklich darüber nachgedacht haben, wie sich der Krieg auf Polen ausgewirkt hat oder wie er sich auf die heutigen Generationen von Polen auswirkt. Sie sagen die ganze Zeit, dass wir aus der Vergangenheit lernen und sicherstellen müssen, dass so etwas nie wieder passiert, und dass wir deshalb nie gegen Russland vorgehen können und so weiter. Aber es gibt kein ähnliches Denken in Bezug auf Polen oder die Ukraine", betont der Historiker in einem Gespräch mit PAP. 


PAP/ps