Der FT zufolge kämen westliche und zunehmend auch ukrainische Beamte zu dem Schluss, dass Russland zwar de facto, nicht aber de jure die Kontrolle über alle oder einen Teil der derzeit besetzten Gebiete der Ukraine behalten könnte. Dies könnte die Grundlage für Verhandlungen im Gegenzug für Sicherheitsgarantien für die Ukraine sein.
Wie die Zeitung betont, würden weder Kiew noch seine Verbündeten Russlands Souveränität über ein Fünftel des ukrainischen Territoriums anerkennen. Dies würde weitere Aggressionen des Kremls provozieren und die internationale Rechtsordnung ernsthaft untergraben. Deshalb werde stillschweigend akzeptiert, dass diese Gebiete in Zukunft auf diplomatischem Wege zurückgewonnen werden könnten. Zitierten westlichen Diplomaten zufolge könnte die Abtretung von Gebieten zur Erlangung der NATO-Mitgliedschaft die einzige Möglichkeit für die Ukraine sein.
Voraussichtlich werde der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in Washington seinen Standpunkt zugunsten einer beschleunigten NATO-Mitgliedschaft bekräftigen. Wie die FT anmerkte, seien die USA jedoch dagegen, über die vereinbarte Position des Bündnisses hinauszugehen. Demnach liege „die Zukunft der Ukraine in der NATO", ihr Beitritt sei auf einem "unumkehrbaren Weg" und sie werde zum Beitritt eingeladen, „wenn die Verbündeten zustimmen und die Bedingungen erfüllt sind". Die USA befürchten, dass ein Angebot von Verteidigungsgarantien gemäß Artikel 5 des Washingtoner Vertrags vor Kriegsende die USA und die NATO in den Konflikt hineinziehen würde.
Die FT zitiert auch die Ansicht des ehemaligen NATO-Generalsekretärs Jens Stoltenbergs zu diesem Thema. Wie dieser erinnere, würden zum Beispiel Sicherheitsgarantien der USA für Japan nicht die Kurilen umfassen. Vier dieser Inseln wurden 1945 von der Sowjetunion besetzt und werden von Japan bis heute beansprucht. Er nannte auch das Beispiel Deutschlands, das 1955 in die NATO aufgenommen wurde. Obwohl es geteilt war, umfassten die Sicherheitsgarantien des Bündnisses den westlichen Teil des Landes.
„Wenn der Wille da ist, gibt es Möglichkeiten, eine Lösung zu finden. Aber es muss eine Linie geben, die definiert, wo Artikel 5 gilt, und die Ukraine muss das gesamte Gebiet bis zu dieser Grenze kontrollieren“, sagte Stoltenberg.
Der FT zufolge werde das westdeutsche Modell für die Ukraine in außenpolitischen Kreisen schon seit mehr als 18 Monaten diskutiert. Dafür seien unter anderem der ehemalige stellvertretende US-Außenminister für Europa, Dan Fried, der ehemalige US-Botschafter bei der NATO und Sondergesandte von Donald Trump für die Ukraine, Kurt Volker, und Stoltenbergs Vorgänger, Anders Fogh Rasmussen, der Politikwissenschaftler Ivan Krastew sowie der tschechische Präsident Petr Pawel.
PAP/ps