Maia Sandu erhielt 55,33 Prozent der Stimmen, während ihr Gegner Alexandr Stoianoglo 44,67 Prozent erzielte. Das bedeutet einen Vorsprung von 10 Prozentpunkten. Dies ist zwar kein geringer Wert, doch sollte man berücksichtigen, dass die amtierende Präsidentin hauptsächlich im Zentrum Moldaus, insbesondere in Chișinău, Unterstützung genießt. Der entscheidende Faktor für ihren Sieg war jedoch die große moldauische Diaspora, die überwiegend im Westen lebt. Beim Referendum vor zwei Wochen sprach sich auch eine knappe Mehrheit von 50,35 Prozent für die europäische Integration aus. Auch hier spielten die Moldauer, die in EU-Ländern, den USA und Kanada leben, eine zentrale Rolle. Welche Schlüsse lassen sich daraus ziehen?
Meiner Meinung nach sollte die europäische Integration nicht mehr mit bestimmten Politikern verknüpft werden. In Moldau etwa besuchten EU-Führer häufig das Land, um ihre Unterstützung für die amtierende Präsidentin und ihre prowestliche Politik auszudrücken. Doch Maia Sandus Plan, die Präsidentschaftswahlen mit dem Europareferendum zu verbinden, erwies sich als völlig fehlgeschlagen. Die große Ablehnung gegenüber der amtierenden Staatschefin minderte die Unterstützung für die prowestliche Orientierung im Referendum. Die Moldauer verbinden etwa die steigenden Gas- und Strompreise direkt mit Maia Sandu, was durch die Assoziationskette „Preiserhöhung – Präsidentin – europäische Integration“ dieser Letzteren sicher schadete.
Zweitens sollte die EU ihre Informationspolitik in Ländern wie Moldau oder Georgien anpassen und ihre Maßnahmen stärker bekanntmachen. Paradoxerweise gehört Gagauzien, wo die EU beispielsweise beträchtliche Mittel für die Infrastruktur bereitstellt, zu den prorussischsten Regionen Moldaus. Diese Unterstützung spiegelt sich jedoch nicht in den Wahlpräferenzen wider. Gagauzien orientiert sich auch stark am Export in die EU, wählt jedoch weiterhin hartnäckig prorussische Politiker. Viele moldauische Experten verweisen hier auf den Einfluss russischer Medien, die von den Gagauzen gerne gesehen werden. Die Russen nutzen den historischen Kontext geschickt aus, indem sie sich als ewige Verteidiger der orthodoxen Gagauzen darstellen.
Ein weiterer Schluss: Brüssel hat bisher keine Antwort auf die absurden russischen Propagandamärchen wie das Konzept der „Gayropa“ gefunden – die Vorstellung, dass nach einem EU-Beitritt in jeder moldauischen Stadt Pride-Paraden stattfinden würden und alle Männer homosexuell werden. Diese Ideen finden nach wie vor besonders in orthodoxen Kreisen Anklang und werden von Geistlichen in den Kirchen wiederholt. Die EU betont, dass sie sich für den Schutz aller Minderheitenrechte einsetzt, darunter etwa der nationalen Minderheiten, doch Moskau setzt die Erzählung gezielt durch, dass es nur um eine einzige Minderheit ginge, die sexuelle. Dabei wird verdrängt, dass die Rechte der Gagauzen in der EU besser geschützt wären als in Russland.
Ein dritter Schluss aus den Wahlen ist: Russland ist keineswegs so schwach, wie der Westen glaubt. Seit Februar 2022 gab es viele Analysen, die davon ausgingen, dass Russland sich ausschließlich auf den Krieg in der Ukraine konzentriere und keine Kapazitäten für Aktivitäten in Ländern wie Moldau oder Georgien habe. Doch der Aufbau eines Netzwerks zur Stimmenkauf (zwischen 130.000 und 300.000 Stimmen), die Propaganda, die sich von Fernsehen auf Telegram verlagerte, und der Transport von Wählern aus Russland zu Konsulaten in Istanbul, Baku oder Minsk sprechen eher vom Gegenteil. Niemand glaubt, dass Ilan Șor, der moldauische Oligarch, der sich in Moskau aufhält und dort politische Aktionen in Moldau organisiert, dies alleine getan hat. Man erkennt hier die Hand des Kremls, der laut westlichen Analysen eigentlich mit dem Krieg in der Ukraine beschäftigt sein sollte.
Anstatt ernsthafter Reflexion herrscht im Westen jedoch Begeisterung darüber, dass Maia Sandu die Präsidentschaftswahl gewonnen und die Moldauer sich für die europäische Integration ausgesprochen haben. Das Problem ist, dass Moldau nächstes Jahr im Sommer erneut Wahlen bevorstehen. Moskau ist mit Sicherheit darauf vorbereitet, doch die Frage ist, ob wir – der Westen – es auch sind.
Piotr Pogorzelski, Redakteur und stellvertretender Chefredakteur des Auslandsdienstes des Polnischen Rundfunks.