Das am Mittwoch im Westen Kasachstans abgestürzte Passagierflugzeug vom Typ Embraer-190 wurde möglicherweise von einem russischen Luftabwehrsystem beschossen, das ukrainische Drohnenangriffe auf Grosny abgewehrt hat, berichtete der in Russland verbotene oppositionelle Fernsehsender Nastojaschtschje Wremja. Die Maschine war auf dem Flug von Baku in Aserbaidschan in die tschetschenische Hauptstadt Grosny. Sie stürzte am Mittwochmorgen in der Nähe der Stadt Aktau an der Küste des Kaspischen Meeres in Kasachstan ab. 38 der 67 Menschen an Bord wurden dabei getötet.
Am Mittwochabend wurde zunächst berichtet, das Flugzeug sei wegen dichten Nebels über Grosny zu einem Ersatzflughafen in der russischen Hauptstadt Dagestan, Machatschkala, umgeleitet worden. Unterwegs sei die Maschine wahrscheinlich mit einem Vogelschwarm kollidiert, wodurch das Steuerungssystem ausgefallen sei. Weil man für den Flug nach Machatschkala angeblich ein Gebirge hätte überfliegen müssen, wurde die Maschine nach Aktau am gegenüberliegenden Ufer des Kaspischen Meeres umgeleitet. Bei der versuchten Notlandung zerfiel das Flugzeug und ging in Flammen auf.
„Einschusslöcher"
In dem von Nastojaschtschje Wremja veröffentlichten Material ist jedoch zu erkennen, dass der hintere, nicht verbrannte Teil des Flugzeugs durchlöchert ist. Die Löcher ähneln Einschusslöchern. Der Kriegsanalytiker Jan Matwejew behauptet in demselben Material, dass die russische Flugabwehr beim Anflug auf Grosny ukrainische Drohnenangriffe mit Boden-Luft-Raketen vom Typ Pancyr-S1 abgewehrt habe. Mindestens eine Drohne sei abgeschossen worden. Ihr Absturz habe einen Brand in einem Einkaufszentrum verursacht.
Von Schrapnell getroffen
„Die Schrapnellspuren an der Seite des Flugzeugs deuten nicht darauf hin, dass es direkt von einer Pancyr-S1 getroffen wurde, sie sind zu klein. Es ist wahrscheinlicher, dass eine solche Rakete in einiger Entfernung vom Flugzeug einschlug und (dass das Flugzeug) von Schrapnellen zerfetzt wurde, wodurch es die Steuerung verlor“, schätzte Matwejew ein. Sowohl Nastojaschtschje Wremja als auch der Baza-Kanal auf Telegramm haben außerdem Aufnahmen Überlebender des Absturzes aus dem Inneren des Flugzeugs veröffentlicht. Demnach sollen einige Passagiere bereits vor dem Absturz geblutet haben.
Laut Matwejew „könnte dies das Ergebnis von Schrapnellen sein, die das Flugzeug durchdrungen haben“. Überlebende Passagiere sollen von zwei Explosionen berichtet haben, die sie „im hinteren Teil des Flugzeugs oder vielleicht dahinter" gehört haben, fügte er hinzu.
Flugzeug wird aus Tschetschenien umgeleitet
„Seltsam ist auch, dass der Besatzung des Flugzeugs sowohl in Grosny (angeblich wegen Nebels) als auch in Machatschkala (in Dagesten - Anm. d. Red.) die Landung verweigert wurde und sie nach Aktau umgeleitet wurde (...)“, so die Einschätzung des vom Fernsehsender zitierten Experten. Vorerst könne der Abschuss des Flugzeugs nicht zu 100 Prozent bestätigt werden, aber „es ist unwahrscheinlich, dass die These vom Verlust der Steuerung durch die Kollision des Flugzeugs mit einem Vogelschwarm haltbar ist“, betonte er.
Die kasachische Sektion von Radio Svoboda berichtete am Donnerstagmorgen, dass der Blogger Azamat Sarsenbayev festgenommen und zu 10 Tagen Haft verurteilt wurde. Er habe die Absturzstelle mit einer Drohne gefilmt. Der Grund für die Festnahme sei Ungehorsam gegenüber polizeilichen Anordnungen gewesen. Sarsenbajew habe behauptet, er habe die Absturzstelle im Auftrag von BBC und Reuters gefilmt.
Viele Tote
Nach Angaben von Azerbaijan Airlines befanden sich 67 Personen an Bord, darunter fünf Besatzungsmitglieder. Davon waren 42 aserbaidschanische Staatsangehörige, 16 kamen aus Russland, sechs aus Kasachstan und drei aus Kirgisistan. Bei dem Flugzeugabsturz kamen 38 Menschen ums Leben, sagte der stellvertretende kasachische Ministerpräsident Kanat Bozumbajew. 29 Menschen, darunter drei Kinder, wurden in Krankenhäuser gebracht. 11 Opfer befinden sich in einem ernsten Zustand. Unter den Opfern sind 15 Bürger Aserbaidschans, 9 Bürger Russlands und 2 Bürger Kirgisistans.
Die Staatsbürgerschaft von drei weiteren Personen werde derzeit ermittelt, so Meduza. Aserbaidschan hat den 26. Dezember zu einem Trauertag erklärt. Die entsprechende Anordnung wurde vom Präsidenten des Landes, Ilham Alijew, erlassen. Aufgrund des Flugzeugabsturzes hat der Präsident seinen Besuch in Russland abgebrochen, wo er an einem Gipfel der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten teilnahm, und ist nach Baku zurückgekehrt.
PAP/Svoboda//Meduza/ps