Deutsche Redaktion

Die Inszenierte Wahlfarce: Lukaschenko zwischen Angst und Kontrolle

14.01.2025 20:45
Das interessanteste „Nebenereignis“ im Januar in Belarus wird zweifellos die sorgfältig inszenierte Farce mit dem Arbeitstitel „Wahlen“ sein. Und zwar nicht wegen des Ergebnisses – dieses steht bereits fest: Lukaschenko kann schließlich nicht schlechter abschneiden als sein Moskauer Protektor, weshalb er wohl nicht weniger als 80 Prozent der gefälschten „Unterstützung“ erhalten wird. Einige unabhängige belarussische Analysten meinen sogar, dass ihm diesmal „90 Prozent gemalt“ werden könnten. Aus Belarus berichtet für den Polnischen Rundfunk, Jan Krzysztof Michalak.
Der belarussische Diktator Aleksandr Lukaschenko
Der belarussische Diktator Aleksandr LukaschenkoSiarhei Liudkevich/Shutterstock

Interessant ist jedoch die Auswahl der sogenannten Gegenkandidaten, also der Sparringspartner des zunehmend außer Atem geratenen Diktators von Minsk. Diesmal sind es ein ehemaliger Polizist, der auf einem Wahlplakat eine obszöne Geste gegenüber der durchlöcherten EU-Flagge zeigt, die Tochter eines örtlichen Halb-Oligarchen, die zudem als kompromittierte Oppositionelle bekannt ist, der Vorsitzende der Kommunisten, der offen die Wiedererrichtung von Stalin-Denkmälern fordert, und schließlich ein Beamter, der die ideologische Fakultät der Akademie für Verwaltung absolvierte und eine Mini-Partei leitet.

Hier zeigt sich die wirksame Bemühung des derzeitigen Leiters der zentralen belarussischen Wahlkommission, bis vor Kurzem noch Vorsitzender der Kommunistischen Partei von Belarus, denn ihm wurde vermutlich die Auswahl der Gegenkandidaten anvertraut.

Belarussen im Ausland dürfen nicht wählen

Ein zusätzlicher Akzent bei den kommenden „Wahlen“ ist das völlige Fehlen einer Möglichkeit, außerhalb von Belarus zu wählen. Dies wurde mit angeblich ernsthaften Gefahren für die Wahlkommissionen in EU-Staaten begründet, insbesondere in Polen. Dort leben derzeit mehrere Hunderttausend Belarussen, die nach den letzten Präsidentschaftswahlen, die von Fälschungen, Protesten und – infolgedessen – massiven Repressionen gegen Regimegegner im Jahr 2020 geprägt waren, vor Repressionen fliehen mussten. Statt Auslandswahlkommissionen schlugen die Lukaschenko-Behörden den Migranten vor, ins Land zu reisen und dort zu wählen. In jeder Kreisstadt soll ein Wahllokal für sie eingerichtet werden.

Einer der Sparringskandidaten Lukaschenkos, ein ehemaliger Polizist, ging in seiner Rhetorik noch weiter: „Kommt her – sitzt ab, was zu zahlen ist, und lebt danach hier in Ruhe“, sagte er. Und er lag damit nicht falsch, denn allein in der Weihnachtszeit wurden mindestens acht belarussische Staatsbürger wegen politischer Vorwürfe in Gefängnisse des Regimes gebracht, nachdem sie nach mehrjährigem Exil ins Land zurückgekehrt waren. Einige wurden direkt an der Grenze in Handschellen gelegt, andere erst an ihren Wohnorten festgenommen.

Die Atmosphäre bei den Wahlveranstaltungen der Kandidaten in Minsk ähnelt einem Trauermahl. Sie bestehen hauptsächlich aus bezahlten oder durch ihre Arbeit gezwungenen Teilnehmern. Und selbst diese – man sieht es in ihren Augen – verstehen vollkommen, dass es keine echten Wahlen gibt. Das gesamte Spektakel dient der erneuten Legitimierung des Diktators, der das Land ununterbrochen seit 1994 regiert.

„Auf den schwarzen Schwan

Dieses Jahr tauchten an den Feiertagstischen gewöhnlicher Belarussen zwei neue Trinksprüche auf: „Auf die Gesundheit der Ausgewanderten“ und „Auf den schwarzen Schwan (eine unerwartete Wendung), der dieses Jahr nach Belarus kommen könnte.“ Zum zweiten Trinkspruch fügte man manchmal hinzu: „Lasst uns trinken, ohne die Gläser zu stoßen, sonst geht es nicht in Erfüllung.“

Ein Freund von mir aus Minsk ergänzte dies mit einer Anekdote aus seinem Familienleben: „Mein Großvater schaltete jeden Morgen das Radio ein, weil er als Erster erfahren wollte, dass das Monster gestorben ist. Mein Vater schaltete jeden Morgen den Fernseher ein, um so schnell wie möglich zu erfahren, dass das Monster nicht mehr lebt. Und ich schalte jeden Morgen das Internet ein, weil ich dasselbe als Erster erfahren möchte. Ein starker Anreiz für den technologischen Fortschritt in unserem Land, nicht wahr?“

In den öffentlichen Verkehrsmitteln belarussischer Städte sind die einst beliebten politischen Diskussionen fast völlig verstummt. Für die weiß-rot-weiße Nationalsymbolik kommt man automatisch ins Gefängnis, selbst wenn es sich nur um diese Farben in der Kleidung handelt. In staatlichen Unternehmen führt das KGB Razzien durch, um stichprobenartig die Smartphones der Mitarbeiter zu überprüfen. Gesucht werden Abonnements von „extremistischen Medien“, also sämtlichen unabhängigen belarussischen und ukrainischen Seiten. Deshalb tragen viele Menschen zwei Telefone – eines „zum Vorzeigen“, das andere für den persönlichen Gebrauch. Doch auch das hilft nicht viel. Das Lukaschenko-Regime vertraut niemandem vollständig. Menschen werden massenhaft entlassen, wenn sie auch nur geringfügig an Protesten nach den gefälschten Wahlen teilgenommen haben, ohne Möglichkeit, eine andere Arbeit zu finden. Dabei könnte man denken, dass der Repressionsapparat in Belarus in den fünf Jahren seit den damaligen Ereignissen alles zerstört hat, was noch ein wenig lebendig war.

Wovor hat der Diktator Angst?

Es stellt sich also die Frage, warum sich die Macht in einer fast steril-politischen Leichenhalle dennoch vor etwas fürchtet? Unabhängige, hauptsächlich im Exil lebende Kommentatoren nennen mehrere Gründe. Erstens, das System hat Angst, dass seine Beamten das tatsächliche Ausmaß der Emigration erkennen könnten – und aus Belarus ist mindestens eine mittelgroße Kreisstadt abgewandert. Deshalb lässt man keine ausländischen Kommissionen zu. Die Botschaften könnten plötzlich in ihren Räumlichkeiten Hunderttausende Landsleute mit klaren Meinungen über Lukaschenkos Herrschaft sehen. Außerdem könnte jemand dort auf die Idee kommen, Exit Polls durchzuführen und die Ergebnisse zu veröffentlichen – das wäre ein zusätzliches Problem. Ein Teil der systemtreuen Bürger könnte sich ebenfalls die Frage stellen, was wäre, wenn „der Alte mit dem zitternden Kopf plötzlich sterben würde.“ Müssten auch sie für das, was sie seit Jahren getan haben, rechtlich zur Verantwortung gezogen werden?

In den letzten Jahren fielen nicht nur in unserer Region Diktaturen, die sich über 90 Prozent Zustimmung zuschrieben. Manchmal verlief dies unter recht blutigen Umständen.

Aus meiner Sicht liegt die Hauptintrige der belarussischen Wahlfarce in diesem Jahr darin, ob der alternde und schwächer werdende Lukaschenko in die gleichen Fallen tritt. Bis jetzt deutet alles darauf hin. Es wäre jedoch besser, wenn die Belarussen einem blutigen Szenario entgehen könnten, denn sie sind ruhige, friedliche und fleißige Menschen, die endlich ein normales Leben in einem freien Land verdienen. Und trotzdem – oder gerade deshalb – denke ich, dass es sich lohnt, die Neujahrstoasts in Belarus nicht nur auf einen, sondern auf zwei schwarze Schwäne zu erheben – einen für Minsk und einen für Moskau.


Aus Belarus für den Polnischen Rundfunk – Jan Krzysztof Michalak