Der Grund, warum Polen diese Forderungen überhaupt stellen könne, habe Deutschland selbst geschaffen. "Bei den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen 1990 wurde die Frage der Reparationen bewusst nicht angesprochen", meint Ackermann in einem Interview mit der Märkischen Oderzeitung.
"Ein Schlüsselelement des deutschen, rechtlichen Arguments ist, dass es statt einer Friedenskonferenz 'Zwei-plus-Vier'-Verhandlungen mit den Alliierten gab. Das Problem ist, dass die wichtigen Parteien nicht am Tisch gesessen haben. Darunter auch Polen", so der Historiker.
1990 habe es für Michail Gorbatschow auch nur ein kurzes Zeitfenster gegeben, um Vereinbarungen über die deutsche Wiedervereinigung zu treffen. "Die Bundesrepublik hat daher seinerzeit alles getan, um die offenen Forderungen Polens, Griechenlands und vieler anderer deutsch besetzter Länder nicht zu thematisieren. Polen hingegen war vor allem daran interessiert, die Grenzfrage, die die Bundesrepublik bis dahin offen gelassen hatte, 1990 völkerrechtlich zu regeln".
Ablehnung einer Friedenskonferenz
Ackermann weist darauf hin, dass ein wichtiges Element der deutschen Außenpolitik die Verhinderung einer Friedenskonferenz gewesen sei. "In diesem Sinne war deutsche Politik immer nationalistisch, da es ihr gelang, den eigenen Nutzen zu maximieren und die Kosten zu minimieren". Von deutscher Seite werde häufig auf das Abkommen mit der Volksrepublik Polen von 1953 verwiesen, um deutlich zu machen, dass Polen auf Reparationen verzichtet habe. Warschau habe dies allerdings gegenüber der DDR, nicht gegenüber Deutschland getan, heißt es in der Zeitung.
"Als Historiker bin ich der Meinung, dass diese Art der Argumentation kritisch gesehen werden sollte".
"Einerseits bezweifelt die polnische Seite zu Recht, ob diese Entscheidung freiwillig getroffen wurde, da Polen ein Satellitenstaat der Sowjetunion war und durch den Zweiten Weltkrieg erzwungen wurde. Andererseits ist es ein sehr selektiver Umgang mit der Rechtsstellung der DDR. Schließlich haben andere von der DDR eingegangene Verpflichtungen diesen Stellenwert heute nicht mehr“, erklärt der Historiker.
„Deutschland hat Zahlungen für die Opfer des Holocaust und für ehemalige KZ-Häftlinge veranlasst – darunter waren über drei Millionen polnische Staatsbürger. Auch polnische Zwangsarbeiter erhielten symbolische Beträge“.
Die Nachkommen derer, die bei vielen Massenexekutionen und unglaublichen Sachschäden, wie in Warschau, ums Leben kamen, „dies wurde nie als offene Rechnung angesehen, auch nicht symbolisch. Würden deutsche Entscheidungsträger dieses Ausmaß wirklich irgendwann voll anerkennen, dann würden sie darüber nachdenken, in welcher Form wir es als Staat und Gesellschaft aufwerten sollten. Aus dieser Verantwortung ist gegenüber Israel eine wichtige Vereinbarung erwachsen, und gegenüber Polen – nicht“, stellt der Historiker in der Zeitung fest. Die Situation hat sich geändert Die Qualität der bisherigen Zusammenarbeit zwischen Polen und
Deutschland "bestand darin, dass die polnische Seite bereit war, ihre Maximalforderungen aufzugeben und der deutschen Argumentation zu folgen. (...) Heute versucht Kaczyński, aus einer Position der Stärke heraus zu handeln. Die deutsche Seite kann damit nicht umgehen, weil sie es gewohnt ist, dass die osteuropäischen Partner nach ihren Regeln spielen. Daher stehen die Zukunft der Europäischen Union und ihre Spielregeln jetzt indirekt auf dem Spiel", glaubt Felix Ackermann.
Seiner Meinung nach "ist das, was Polen jetzt tut, auch eine indirekte Antwort im Streit um die Rechtsstaatlichkeit und den Kampf um ein neues Machtgleichgewicht in der EU". Dem Historiker zufolge wolle die PiS mit ihren Reparationsforderungen eine weitere EU-Integration verhindern, wie sie kürzlich von Olaf Scholz vorgeschlagen worden sei, heißt es in der Märkischen Oderzeitung.
PAP/ps