Lob für Deeskalation, Kritik für fehlende Logik - das ist der Tenor der Kommentare von Politikern der Regierungskoalition zur gestrigen Entscheidung des Staatspräsidenten, ein weiteres Begnadigungsverfahren für die festgesetzten PiS-Politiker Kamiński und Wąsik einzuleiten. Andrzej Duda hatte nach einem Treffen mit den Ehefrauen der beiden Politiker erklärt, die beiden erneut begnadigen zu wollen.
Sejmmarschall: “Guter Schritt in Richtung Deeskalation”
Sejmmarschall Szymon Hołownia bezeichnete die Entscheidung in einem Interview für den Fernsehsender TVN 24 als guten Schritt in Richtung Deeskalation. Gleichzeitig äußerte er Bedenken über den Modus der Begnadigung, die der Staatspräsident gewählt hat. Der hatte eine Verfügung zur Einleitung eines Begnadigungsverfahrens erlassen und die Dokumente an den Generalstaatsanwalt gesendet. "Die Entscheidung des Präsidenten, den regulären Kodex-Prozess zu wählen, bedeutet, dass das Verfahren bis zu einem halben Jahr dauern kann", so Hołownia. Eine direkte präsidentielle Begnadigung hätte einen schnelleren Weg zur Freiheit für Kamiński und Wąsik geboten, die sogar gestern schon auf freiem Fuß sein können. Wenn dem Staatspräsidenten wirklich die Gesundheit und das Wohlbefinden der beiden Politiker am Herzen liegen würde, hätte er einen “schnelleren und effektiveren” Weg wählen können. Duda habe gewissermaßen einen Schlüssel in der Hand gehabt, der die Zellen von Kamiński und Wąsik öffnen würde, aber entschieden, diesen auf das Regal abzulegen, so Hołownia.
Wie der Sejmmarschall zudem betonte, habe der Staatspräsident mit seiner Entscheidung das letzte Urteil des Amtsgerichts in Warschau akzeptiert. Und damit auch die Tatsache, dass beide nicht mehr Abgeordnete sind.
Ex-Präsident Komorowski weist Bezeichnung “politische Gefangene” als inadäquat zurück
Der ehemalige Staatspräsident Bronisław Komorowski erinnerte in einem Interview mit dem 1. Programm von Polskie Radio, dass das rechtskräftige Urteil gegen Kamiński und Wąsik bereits im Dezember 2023 gefällt worden sei. Er, so Komorowski, könne bis heute nicht verstehen, wieso Duda so lange gezögert habe. Geht es nach dem Politiker der Bürgerplattform, habe Duda damit wohl seine Begnadigungs-Entscheidung von 2015 verteidigen wollen. Die gestrige Ankündigung habe geholfen, die Emotionen rund um die Kundgebung der Recht und Gerechtigkeit PiS in Warschau zu dämpfen. PiS-Chef Kaczyński habe während des Marsches den Eindruck erweckt, dass ihn die Entscheidung von Duda überrascht hat. Schließlich hat Komorowski die Bezeichnung der beiden PiS-Politiker als “politischer Gefangener” als inadäquat zurückgewiesen. Beide hätten eher gegen den eigenen Staat und für ihre Partei gekämpft.
Ministerin der Präsidialkanzlei: “Beide sind weiterhin Abgeordnete”
Die Ministerin in der Präsidialkanzlei, Małgorzata Paprocka, erklärte indes im Gespräch mit dem nationalkonservativen TV-Sender TV Republika, dass Präsident Andrzej Duda weiterhin der Auffassung ist, dass die im Jahr 2015 gewährte Begnadigung nach wie vor Bestand hat. Paprocka betonte gleichzeitig einen deutlichen Wandel der Umstände: "Mariusz Kamiński und Maciej Wąsik sind Abgeordnete. Man kann aber nicht von der faktischen Situation abstrahieren, mit der wir es heute zu tun haben: ihre Festnahme und Überstellung in ein Gefängnis und nun mit ihrer Überführung in zwei unterschiedliche Gefängnisse", so die Ministerin.
Paprocka erinnerte auch daran, dass Präsident Duda ein formelles Schreiben an den Generalstaatsanwalt Adam Bodnar gerichtet hat, in dem er das Verfahren zur Begnadigung ankündigte und auf die schnelle Anwendung von Artikel 568 KPK drängte, welcher dem Generalstaatsanwalt die Möglichkeit gibt, die Strafverbüßung zu unterbrechen.
"Präsident Duda glaubt fest daran, dass Kamiński und Wąsik Menschen von unantastbarem Charakter sind. Es ist unvorstellbar, dass zwei Abgeordnete und Minister, die sich dem Kampf gegen Korruption verschrieben haben, jetzt ihre Strafe absitzen", fügte die Ministerin hinzu.
Ex-Premier Morawiecki: “Beide sollten im Sejm sitzen”
"Sobald Kamiński und Wąsik das Gefängnis verlassen, haben sie als Abgeordnete das Recht, im Unterhaus des Parlaments Platz zu nehmen und abzustimmen. Ich beabsichtige natürlich, sie in den Sejm einzuführen", kündigte auch Ex-Premier Mateusz Morawiecki im Gespräch mit Radio Zet an.
Auf die Frage, wie er reagieren würde, wenn sie von der Marschallgarde konfrontiert würden, sagte Morawiecki: "Wir werden nicht gegen die Marschallgarde kämpfen. Wir werden die Dokumente vorzeigen, die beweisen, dass wir im Recht sind und erwarten, dass das Gesetz so umgesetzt wird, dass die Herren, die heute zu Unrecht ihrer Freiheit beraubt und von Marschall Hołownia ihres Mandats entledigt wurden, ihr Mandat ausüben können."
Morawiecki zog auch Parallelen zu den Protesten gegen die Kommunisten: "Wir standen den Reihen der ZOMO gegenüber. Hatten wir eine Chance gegen sie? Physisch nicht, aber moralisch hatten wir eine große Chance, und letztendlich haben wir gesiegt."
Morawiecki betonte, dass Kamiński und Wąsik "politische Gefangene sind und als solche heute Gegenstand der politischen Debatte sein sollten". Ihr Aufenthalt im Gefängnis sei laut dem PiS-Abgeordneten "eine Art politischer Vergeltung, da solche Spiele die Tatsache ersetzen sollen, dass Tusk und sein Team keine konkreten Versprechen umsetzen."
PiS beruft sich auf umstrittene Begnadigung von 2015
Die PiS-Politiker Mariusz Kamiński und Maciej Wąsik waren im Dezember, wegen ihrer Rolle in der sogenannten Bodenaffäre, rechtskräftig zu zwei Jahren Haft verurteilt worden. Beide bestritten das Urteil und beriefen sich auf die 2015 erteilte Begnadigung. Zahlreiche Verfassungsexperten bezeichneten diese wiederum als nicht verfassungskonform, da sie noch vor einem rechtskräftigen Urteil gefallen war, eine Ansicht, die ebenfalls der Oberste Gerichtshof in einem neuerlichen Urteil bekräftigte. Kamiński und Wąsik sind am Dienstagabend im Präsidentenpalast festgenommen und am Donnerstag in verschiedene Gefängnisse verlegt worden.
IAR/PAP/TVN24/Radio Zet/adn