Marek Hłasko war ein literarischer Rebell, der in den Nachkriegsjahren sowohl das polnische als auch westdeutsche Lesepublikum begeisterte. Zeitungsredakteure in den USA verglichen ihn mit Ernest Hemingway und John Steinbeck. Doch er war vor allem ein polnisches ʺOriginalʺ, das zum Symbol einer ganzen Generation wurde.
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Als im letzten Jahr die Schauspielerin Sonja Ziemann im Alter von 94 Jahren verstarb, hat nicht nur die deutsche Medienlandschaft Notiz davon genommen. In Polen kannte man sie aus dem Film ʺÓsmy dzień tygodniaʺ von Aleksander Ford. Der Autor der literarischen Vorlage war ein gewisser Marek Hłasko, der in den Fünfzigern zu den jungen Shootingstars der polnischen Kulturszene gehörte. Am Filmset verdrehte der rebellische Schriftsteller der gebürtigen Brandenburgerin den Kopf. Hłasko gehörte einer Generation an, die vom Krieg und der kommunistischen Ödnis gezeichnet war. Er war ein zeittypisches Beispiel für das aufkommende ʺTauwetterʺ und wurde daher von den Machthabern im Politbüro entweder gefürchtet oder gemieden.
Die dunkelsten Vororte Warschaus sowie trostlose Kleinstädte waren seine Lehr- und Wanderjahre. Bevor sich Hłasko dank eines Stipendiums ganz der Literatur widmen konnte, war er Kellner, Straßenhändler und Kraftfahrer. In seinen ersten Erzählungen entblößt er sich als ein zorniger Skeptiker. Doch er ist weder zynisch noch lebensmüde, weder misanthropisch noch nihilistisch - im Gegenteil: Hłasko und seine Protagonisten sehnen sich nach einem Leben, das sie verpasst zu haben glauben. Solange sie noch lieben und träumen können - wie der Autor selbst mal zugab - glauben sie an den Sinn des Lebens. Manche werfen mir Nihilismus vor, doch das ist Blödsinn. Ich schreibe doch einfach nur über Menschen, die sich zwar aufrichtig lieben, aber ihr gemeinsames Glück nicht ausleben können. Das ist die große Tragödie. Ich bin kein Zyniker, sondern versuche lediglich, die Wahrheit über unsere Lebensumstände wiederzugeben. Ich kann nichts dafür, dass die Wahrheit so ist und nicht andersʺ - sagte Hłasko 1958 in einem Interview mit dem Polnischen Rundfunk. ʺHłasko war ein Idealist, ein Romantiker, er glaubte an die Liebe. Für die Liebe aber bleibt in der kommunistischen Gegenwart kein Raum, seine Romanhelden scheitern an der rohen und feindlichen Umwelt, brechen zusammen. Im Grunde genommen war Marek Hłasko ein gutmütiger Menschʺ - meint seine Biographin Barbara Stanisławczyk.
Die dunkelsten Vororte Warschaus sowie trostlose Kleinstädte waren Hłaskos Lehr- und Wanderjahre.
Der junge Autor war der kläglichen Verhältnisse in der Volksrepublik überdrüssig. In den Zeitungen las er, dass die Menschen im neuen polnischen Staat glücklich wären, obwohl allenthalben Korruption, Opportunismus und Verlogenheit vorherrschten. Hłasko empörte sich gegen die Vernichtung der menschlichen Würde, befreite seine eigene Prosa von den Fesseln des sozialistischen Realismus. Viele anspielungsreiche Passagen sind noch politisch unbestimmt, lassen jedoch schon erahnen, wo das Land hinsteuert.
Werden in den frühen Novellen Hłaskos die politischen Umstände allenfalls angedeutet, finden sie in der Erzählung ʺÓsmy dzień tygodniaʺ bereits ausdrückliche Erwähnung. Der Hauptfigur des streng durchkomponierten Romans ʺCmentarzeʺ wird wiederum eine grausam beschleunigte Erziehung zuteil. ʺWenn ich nicht die erhabene Gewissheit hätte, dass die Partei mich führt und ein sinnvolles Leben ermöglicht, wäre ich eine armselige Gestalt. Und ich soll mich gegen die Partei auflehnen, nur weil du als Einzelner mich darum bittest?ʺ - fragt einer seiner Protagonisten seinen eigenen Vater.
Es ist interessant, einen Blick auf die Fähigkeiten des Autors zu werfen. Der damals erst 24-jährige Hłasko bestach durch frühvollendete Formbeherrschung und ein erstaunliches Erzähltalent. Hinter der scheinbar nüchternen Darstellung des Banalen verbergen sich bedeutungsvolle Symbole. Unverblümte erotische und brutale Szenen vermischen sich mit lyrischen Tönen und menschlichem Mitgefühl. Dem zerstörten Warschau weiß Hłasko poetische Dimensionen abzugewinnen. Meisterhaft ist auch die Anwendung von Metaphern. In der Erzählung ʺPętlaʺ verwandelt sich der Handlungsort in eine Traumlandschaft, vor deren Hintergrund die seelischen Abgründe des Protagonisten Kuba geschildert werden, der in der gleichnamigen Verfilmung grandios von Gustaw Holoubek verkörpert wird. In der konsequenten Verbindung von grausamer Realität und zarter Poetik erinnert Hłasko mitunter an amerikanische Epiker wie Hemingway, Faulkner oder Steinbeck, deren Bücher allerdings den sprachlichen Reichtum eines polnischen Originals vermissen lassen. ʺMarek Hłasko war ein geborener Drehbuchschreiber. Er liebte es Dialoge zu verfassen, was vermutlich an seiner Liebe zum US-amerikanischen Kino lagʺ - sagte einst der oscarprämierte Regisseur Andrzej Wajda.
Langsam verschärfte sich die Konfrontation zwischen unabhängigen Schriftstellern und einem Regime, das trotz des einsetzenden Tauwetters weiterhin die Freiheit vieler Polen abwürgte. Marek Hłasko bezweifelte, dass ausgerechnet er zur Rolle eines ʺIngenieurs der Seeleʺ berufen sei - sagt auch sein Cousin Andrzej Czyżewski. ʺEr fühlte sich nicht mehr wohl in seiner Heimat, wobei seine Ausreise sicherlich keine Flucht war. Er war nicht der erste Rebell, den die Parteifunktionäre bereitwillig ziehen ließen. Im Ausland war er für sie weniger gefährlich. Es war eine gezielte Provokationʺ.
Im Frühjahr 1958 hat Hłasko Polen verlassen und bemühte sich in der Bundesrepublik um politisches Asyl. Der Auslandsaufenthalt vertiefte aber seine Schaffenskrise, statt sie zu verringern. Wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg war es für polnische Intellektuelle nach wie vor ein Wagnis, sich in dem Land niederzulassen, das die eigene Heimat mit Furcht und Schrecken überzogen hatte. Das westdeutsche Wirtschaftswunder kam Hłasko in der Tat merkwürdig vor. Dort, wo jüngst der totale Krieg angezettelt wurde, schien er rasch vergangen zu sein, während er in den polnischen Köpfen immer noch sehr präsent war. Trotz der von ihm verhassten kommunistischen Regierung in Warschau wollte er wieder zurück, so die bekannte Dichterin und dessen langjährige Freundin Agnieszka Osiecka berichtete.ʺEr bemühte sich um eine Rückkehr nach Polen, bat mich und andere Freunde darum, bei Władysław Gomułka die dafür erforderliche Erlaubnis zu beantragenʺ.
Die berühmte Autorin zahlreicher Lieder, Agnieszka Osiecka, war Marek Hłaskos sehr gute Freundin.
Diese Überlegungen waren angesichts der damaligen Situation Hłaskos in West-Berlin etwas überraschend, denn eigentlich standen die Vorzeichen zu Beginn der sechziger Jahre nicht schlecht. Die Ehe mit Sonja Ziemann sowie die einträglichen Honorare für die Übersetzungen seiner Werke bescherten ihm privates und materielles Glück. Selbst die deutschsprachige Presse reagierte begeistert auf den Neuankömmling aus Warschau. ʺEs gibt nur wenige junge Schriftsteller in Europa, die über ein so urwüchsiges und einzigartiges Talent verfügenʺ - schrieb im Jahr 1961 die Hamburger Tageszeitung ʺDie Weltʺ. Und dennoch war er später in Deutschland höchst unzufrieden. Warum? ʺMarek Hłasko war ein Meister der literarischen Reportage, bei dem eine düstere Strasse in Warschau oder Tel Aviv mehr schöpferisches Potenzial freisetzte, als ein elegantes Wohnviertel in Wiesbaden. Mir sagte er einmal, die deutsche Landschaft sei eher etwas für Schlosser als für Schriftstellerʺ - erinnerte sich Czyżewski. Nachdem die Beziehung mit Sonja Ziemann in Brüche ging und die zunehmenden gesundheitlichen Beschwerden Hłasko aus der Bahn zu werfen drohten, holte ihn sein Landsmann Roman Polański in die USA. In Hollywood suchte der Starregisseur einen neuen Drehbuchautor. Gemeinsam mit dem Jazzmusiker Krzysztof Komeda schmiedete Polański große Pläne, die aber offensichtlich an der Unzuverlässigkeit Hłaskos scheiterten. Der polnische Autor versuchte später sein Glück in Israel, wo u.a. die großartige Erzählung ʺDrugie zabicie psaʺ entstand.
Hłasko kam allerdings noch einmal nach Deutschland wieder. Im Juni 1969 unterschrieb er einen lukrativen Fünfjahresvertrag beim Mainzer Fernsehsender ZDF, für den er eine Dokumentarserie über Israel vorbereiten sollte. Der Aufenthalt im unweit gelegenen Wiesbaden sollte nur wenige Tage dauern, Hłasko hatte schon den Rückflug nach Jerusalem gebucht. Doch es kam anders. Am 14. Juni 1969 wurde ihm ein Cocktail aus Tabletten und Alkohol zum Verhängnis. Der zu dieser Zeit an Schlaflosigkeit leidende Hłasko wurde nur 35 Jahre alt. Er verstarb in einem Land, in dem er eigentlich nie leben wollte, das ihn aber auch zugleich im Westen berühmt machte und wo trotz seiner Krisen einige vortreffliche Prosastücke entstanden. ʺIn zehn Jahren wird Marek Hłasko entweder einer der größten Schriftsteller Europas oder bereits tot seinʺ - sagte 1961 sein deutscher Verleger Joseph Casper Witsch kann man sagen, dass sich beide Prophezeiungen erfüllt haben.
Wojciech Osiński