Deutsche Redaktion

Der reiche Westen Europas bekommt zu viel aus dem Osten

12.12.2019 12:15
Im Mittelpunkt der Haushaltsdebatte der EU steht ein schwerwiegender Irrtum, meint die rumänische Europaabgeordnete Clotilde Armand.
Presseschau aus Polen
Presseschau aus PolenPixabay.com/ССO/

Eines der größten Online-Portale Polens, Onet.pl, beruft sich auf ein Interview mit einem Mitglied des Haushaltsausschusses des Europäischen Parlaments. Die rumänische Europaabgeordnete Clotilde Armand erklärte darin, dass im Mittelpunkt der Haushaltsdebatte der EU ein schwerwiegender Irrtum stehe. Eine schöne Geschichte, die sich die reichen westeuropäischen Länder erzählen: Im Westen seien nur großzügige Seelen, die ihren ärmeren östlichen Nachbarn aus der Not helfen. Armand nach, male Westeuropa diese Länder auch gerne als undankbare Hilfsempfänger und verweise auf die euroskeptische Rhetorik von Staatsanführern wie dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán oder des polnischen Parteianführers Jarosław Kaczyński. Aber das größere makroökonomische Bild erzähle eine ganz andere Geschichte.

Entgegen der Meinung fließe das meiste Geld in Europa von Ost nach West und nicht umgekehrt. Als osteuropäische Länder der EU beitraten, wurde eine Einigung erzielt. Ost-Regierungen beseitigten Handelsbarrieren, damit westliche Unternehmen Zugang zu einem riesigen Markt von Verbrauchern erhalten. Im Gegenzug versprachen westliche Regierungen, EU-Gelder nach Osten zu transferieren, damit der ehemalige Sowjetblock die Infrastruktur aufbauen könne, die er dringend benötigte.

Die "Kohäsionspolitik" der EU half dem Osten mit dem Rest des Clubs Schritt zu halten. Die größten "Gewinner" dieser Entwicklung, überzeugt die EU-Haushaltsexpertin, waren jedoch die westeuropäischen Länder, von denen einige jetzt ihre Portemonnaies schließen und darauf bestehen, dass sie der EU nicht "wesentlich mehr zahlen können, als sie zurückerhalten".

In Wirklichkeit aber, erklärt Armand, sei das Geld, das westliche Länder über den EU-Haushalt nach Osteuropa senden, im Vergleich zu den Gewinnen, die westliche Unternehmen aus Investitionen im Osten erzielen, verblasst. Der Wohlstandsfluss von Ost nach West zeige sich auch in der Abwanderung von Fachkräften aus der Region. Ein hoher Preis, so Armands Fazit, der in den Excel-Tabellen des Haushaltsausschusses nicht aufgeführt werde.



Wprost: Polnische Regierungen bevorzugen ausländische Investoren

Die Wochenzeitung Wprost beruft sich indes auf ein Interview mit Michał Sołowow, dem reichsten Polen, der glaubt, dass das Land nach 30 Jahren immer noch zu wenig polnische Unternehmen und zu wenig Wohlstand habe. Der polnische Milliardär schätzt, dass Polen seit 1989 der ausländischen Konkurrenz ausgesetzt war und keine Zeit hatte, ein eigenes Geschäft wie das französische oder das deutsche aufzubauen. Deshalb, überzeugt Sołowow, gebe es heute in der Nähe von Paris keine deutschen Mediamarkt-Märkte und keine französischen Carrefour-Supermärkte im Zentrum Berlins. In Polen indes, haben beide Geschäfte ihre Filialen.

Polen hatte, dem Milliardär nach, keine Zeit, um eigenes Kapital oder Business-Erfahrungen zu sammeln und den Inlandsmarkt zu erobern. Stattdessen kämpfte das Land sofort mit ausländischer Konkurrenz, die Polen mit sehr großem Kapital überrannte. Diese Unternehmen waren sogar bereit in Polen Geld zu verlieren, nur um unseren Markt zu gewinnen. Sołowow zufolge, brauchen polnische Unternehmer heute in erster Linie gleiche Wettbewerbsbedingungen. Seit der Wende bevorzugen aber alle polnische Regierungen, ganz unabhängig von der Partei, ständig ausländische Investoren.

Sołowow weist im weiteren darauf hin, dass Polen heute z.B. auch keine eigene große Baufirma hat, und dass Politiker jeder nachfolgenden Regierungspartei dieses Geschäft bekämpft haben. Der polnische Immobilienmarkt werde auch von ausländischen Firmen dominiert. Laut dem Milliardär sei der Endeffekt der letzten 30 Jahre, dass Polen als Gesellschaft nicht genug Kapital angesammelt habe. Und das werde sich in Zukunft zeigen, weil die wichtigsten Geschäftsentscheidungen nicht hier in Polen, sondern künftig woanders getroffen werden, meint der polnische Milliardär Michał Sołowow.


Piotr Siemiński