Deutsche Redaktion

Was will Kaczyński mit dem "Knebelgesetz" erreichen?

16.12.2019 13:27
Dafür, um sich nicht bewusst zu sein, dass das Gesetz das polnische Gerichtssystem ins Chaos stürzen kann, sei Kaczyński zu erfahren, urteilt ein Publizist der Rzeczpospolita. Was will der PiS-Chef mit der Novelle also erreichen? Und welche Änderungen will die Regierungspartei im Schatten des aktuellen Konflikts einführen? Mehr unter anderem dazu in der Presseschau.
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Das von der Recht und Gerechtigkeit vorgeschlagene sogenannte “Knebelgesetz”, das regierungskritische Richter disziplinieren soll, bleibt weiterhin ein heißes Thema in der Presse. 

 

Rzeczpospolita: Was will Kaczyński mit dem "Knebelgesetz" erreichen?

Dafür, um sich nicht bewusst zu sein, dass das Gesetz das polnische Gerichtssystem ins Chaos stürzen kann, sei Kaczyński zu erfahren, urteilt in der heutigen Ausgabe der konservativen Rzeczpospolita der Publizist Bogusław Chrabota. Was wolle der PiS-Chef mit der Novelle also erreichen? Er, so der Autor, sehe mindestens drei mögliche Antworten. Die erste sei eine Krise der persönlichen Autorität des PiS-Chefs. Als Geisel des Koalitionspartners Solidarna Polska von Justizminister Zbigniew Ziobro, habe sich Kaczyński vielleicht einfach der von Ziobro forcierten Lösung beugen müssen. Vielleicht, so der Publizist, sei aber genau das Gegenteil der Fall. Vor dem Hintergrund der Krise in der Koalition wolle Kaczyński vielleicht einfach mit der Kursverschärfung eine Konsolidierung des Regierungslagers erreichen. Und das letzte Szenario? Der Vorschlag von gezielt übertriebenen Lösungen könnte auch darauf ausgerichtet sein, um sich dann aus ihnen zurückzuziehen und ein paar weniger spektakuläre Vorschläge einzuführen, die die Ziele der Regierungspartei auf andere Weise realisieren. 

Aus der heutigen Perspektive sei schwer zu beurteilen, welche dieser Versionen der Wahrheit am nächsten liege. Sicher sei nur, dass Staatspräsident Andrzej Duda in seiner Kampagne um die Wiederwahl nur ein Veto gegen das Projekt helfen würde. Denn dessen Einführung würde nur zu noch größerer Anarchie im Gerichtswesen führen und den Gegenkandidaten Treibstoff für ihre Kampagne liefern, so Bogusław Chrabota in der Rzeczpospolita. 

 

Dziennik/Gazeta Prawna: Auch die Unabhängigkeit des Obersten Administrationsgerichts gefährdet

Indes will die Regierungspartei offenbar auch die Unabhängigkeit des letzten der drei wichtigsten Gerichte im Staat beschneiden, berichtet in seinem heutigen Aufmacher das Wirtschaftsblatt Dziennik/Gazeta Prawna. Nach den geplanten Änderungen, so das Blatt, würde der Staatspräsident und nicht wie bisher die Generalversammlung der Richter des Obersten Administrationsgerichts über die interne Struktur des Gerichts entscheiden. Ein ähnliches Manöver, erinnert die Zeitung, habe die PiS schon einmal, vor ein paar Monaten im Obersten Gerichtshof durchgeführt. Infolgedessen konnten in die Institution effektiv die vom aktuellen, umstrittenen Nationalen Richterrat gewählten Richter eingeschleust werden. Man könne also annehmen, dass die neue Betriebsordnung des Obersten Administrationsgerichts ähnliche Lösungen enthalten werde. Damit würden die Vorsitzenden der Kammern des Administrationsgerichts das Recht verlieren, die Sitzungstermine und die Zusammensetzung der Spruchkörper zu bestimmen. “Bis dato hat die PiS effektiv mit dem Verfassungsgericht, den ordentlichen Gerichten und dem Obersten Gerichtshof abgerechnet. Vielleicht ist nun das Oberste Administrationsgericht an der Reihe”, so die Chefin der Richterorganisation “Themis” Beata Morawiec. Bisher, beobachtet das Blatt, habe man von den neuen Vorschlägen in Bezug auf das Administrationsgericht nicht viel gehört, da sich die Diskussion seit Donnerstag auf dem Gesetz konzentriert, dass regierungskritische Richter disziplinieren soll, lesen wir in Dziennik/Gazeta Prawna. 



Rzeczpospolita: Wie man in zehn Stunden eine Zivilisation ändert

Auch der Klimagipfel der EU von letzter Woche beschäftigt heute die Kommentatoren der Rzeczpospolita. Wie der Politologe Marek Cichocki beobachtet, haben die Politiker während des Gipfels gezeigt, dass man eine ganze Zivilisation in zehn Stunden auf neue Gleise lenken könne. Die ganzheitliche Klimapolitik der EU, so Cichocki, werde völlig neue Entwicklungsbedingungen für die Wirtschaft und die europäischen Gesellschaften schaffen, Investitionen in bestimmte Technologien und Branchen lenken, neue Standards ökonomischer und sozialer Entscheidungen etablieren und dabei die Wettbewerbsbedingungen von Grund auf ändern. Damit beginne für Polen aufs Neue die Bataille darum, den Anschluss an den Westen und den Kern der EU nicht zu verlieren. Daher sollten sich die polnischen Konservativen, statt sich über eine gewisse schwedische Teenagerin lustig zu machen, wirklich an die Arbeit an einem Entwicklungsmodell machen, das Klima, Energie, Wirtschaft und Gesellschaft in einer langfristigen Strategie verbindet. Mit einer solchen Strategie werde Polen in Europa glaubwürdiger sein und auf mehr Verständnis zählen können. Vor allem werde das Land aber wieder selbst die eigene Zukunft bestimmen, so Marek Cichocki in der Rzeczpospolita. 

 

Gazeta Wyborcza: Die Hungerrenten des Staatspräsidenten

Staatspräsident Andrzej Duda will Wähler mit dem Versprechen von Renten für jeden Bürger nach 35 Jahren (Frauen) beziehungsweise 40 Jahren (Männer) Berufstätigkeit locken, lesen wir in der linksliberalen Gazeta Wyborcza. Demnach könnte eine Frau, die mit 20 zu arbeiten beginnt, mit 55 in den Ruhestand gehen, also um 12 Jahre früher, als die so genannte Reform 67 vorgesehen habe und fünf Jahre früher, als jetzt, nach der Senkung des Renteneintrittsalters durch die PiS. Laut dem Experten für Sozialversicherungsfragen dr Łukasz Wacławik wären die Kosten einer solchen Reform für den Staatshaushalt untragbar. Schon heute schätze man, wie Wacławik erinnert, dass dem Staat in den nächsten fünf Jahren 300 Milliarden Złoty für Renten fehlen werden. Weitere 20 Milliarden Złoty jährlich würden die versprochenen 13. und 14. Renten verschlingen. Derzeit nutze die Regierung staatliche Reserven, um die Mittel auszuzahlen, wenn nichts mehr übrig bleibe, werde sie aber die Steuern anheben müssen, so Wacławik. Zudem werden die Frührentner, und das sollte der Präsident seiner Meinung nach auch offen sagen, Mindestrenten in Höhe von umgerechnet etwa 250 Euro erhalten, betont der Wirtschaftsexperte Paweł Kubicki. Daher nehme die Präsidialkanzlei auch eine Variante in Betracht, laut der nur diejenigen früher in Rente gehen könnten, deren gesammeltes Kapital die Auszahlung von 130 Prozent der Mindestrente ermöglichen würde. Das würde die früheren Renten auf relativ vielverdienende Personen beschränken, so Gazeta Wyborcza. 


Autor: Adam de Nisau