Deutsche Redaktion

"Wer will den polnisch-jüdischen Krieg?"

07.07.2021 09:00
Wichtigstes Thema in den Wochenblättern sind die erneuten Spannungen auf der Linie Warschau-Tel Aviv. Der Sejm hatte ungefähr zeitgleich zum Machtwechsel in Israel ein Gesetz verabschiedet, das die Reprivatisierung in Polen regeln soll.
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Zdjęcie ilustracyjneGrand Warszawski/Shutterstock

Wichtigstes Thema in den Wochenblättern sind die erneuten Spannungen auf der Linie Warschau-Tel Aviv. Der Sejm hatte ungefähr zeitgleich zum Machtwechsel in Israel ein Gesetz verabschiedet, das die Reprivatisierung in Polen regeln soll. Das Gesetz, das die Möglichkeit, falsche administrative Entscheidungen anzufechten auf 30 Jahre beschränkt, war vor allem als Schlag gegen so genannte wilde Reprivatisierung gedacht. Zunächst einmal hat es aber für einen erneuten Eklat und Spannungen zwischen Polen und Israel gesorgt . Israels Außenminister Yair Lapid bezeichnete das Gesetz als einen direkten und schmerzhaften Schlag gegen die Rechte von Holocaust-Überlebenden und ihren Nachfahren. Es sei nicht das erste Mal, dass die Polen versuchen, das zu verweigern, was in ihrem Land während des Holocaust getan worden sei, schrieb der Politiker auf Twitter. 

Do Rzeczy: Juden - Polen - weitere Schlacht des ewigen Kriegs

Entsprechend emotional auch die Reaktion mancher Kommentatoren in Polen. Der Publizist des nationalkonservativen Wochenblatts Do Rzeczy, Rafał Ziemkiewicz schreibt in Bezug auf die Kritik und Vorwürfe aus Israel von einer systematischen Lügenkampagne, die Polen die Schuld am Holocaust in die Schuhe schieben soll. Und wirft den israelischen Politikern sowie jüdischen Organisationen in den USA vor, den Holocaust missbrauchen zu wollen, um Profit zu schlagen. Das sich verlängernde rechtliche Chaos um die Reprivatisierung in Polen, so Ziemkiewicz in seinem Kommentar, sei im Interesse vieler amerikanischer Kanzleien, die sich in den letzten Jahren in “wilder Reprivatisierung” auf große, fast, industrielle Skala spezialisiert haben. Dabei, erklärt Ziemkiewicz, würden ausländische Juristen Ansprüche von jemandem mit polnischen Wurzeln kaufen, der ähnlich heißt, wie der Vorkriegseigentümer des sogenannten “erblosen Eigentums”, dessen Tod nie formal bestätigt wurde und realisieren den Anspruch anschließend vor polnischen Gerichten. Es gebe keine offiziellen Schätzungen dazu, wie viele solche Prozesse gewonnen wurden oder aktuell laufen, doch die Skala der Hysterie deute darauf hin, dass die Gewinne beträchtlich sein müssen, so Rafał Ziemkiewicz in Do Rzeczy. 

Sieci: Erbloses Eigentum oder Wiedergeburt des Rassismus

Der Publizist der nationalkonservativen Wochenzeitung Sieci, Bronisław Wildstein spricht in Bezug auf die Forderungen nach einer Entschädigung gar von einer neuen Form des Rassismus. Denn auf welcher Grundlage würde eine Gruppe von amerikanischen Bürgern eigentlich das Recht auf Eigentum von polnischen Bürgern beanspruchen, die vor 80 Jahren, ohne Nachfahren und am anderen Ende der Welt gestorben seien? Hätten sie etwa nur darum, weil sie sich als Juden bezeichnen, das Recht auf Eigentum derjenigen, die einst von Deutschland als Juden gebrandmarkt worden seien? Der Schöpfer der transandischen Bahn Ernest Malinowski, erinnert Wildstein, sei 1899 gestorben, ohne Nachfahren hinterlassen zu haben. Eine Gruppe von Polen habe einen Verband gegründet und fordere von Peru die Rückgabe der Gebiete der alten Baustelle auf der Basis der nationalen Verbindungen mit dem Ingenieur. Irrsinn, fragt Wildstein? Aber der Unterschied zur Idee der Verbände, die in den USA ins Leben gerufen worden seien, um von Polen Entschädigungen dafür zu erhalten, was die durch Deutsche ermordeten Juden besaßen, liege allein in der Tragik des Holocaust, den die amerikanischen Schlaumeier für ihre Geschäfte nutzen wollen. Vor allem dieser Umstand sollte sie kompromittieren, so Wildstein in Sieci. 

Newsweek: Wer will den polnisch-jüdischen Krieg?

Laut den Kritikern der israelischen Ansprüche ist die Sache einfach, beobachtet das linksliberale Wochenblatt Newsweek. Wie Ex-Außenminister Radosław Sikorski bemerke, habe jeder, der Ansprüche geltend machen wollte, dies doch schon getan. Außerdem hätte Polen den jüdischen Gemeinden ihr Eigentum zurückgegeben und 1960 einen Vertrag mit den USA unterzeichnet, auf dessen Grundlage 40 Millionen Dollar ausgezahlt wurden. Die Regierung der USA habe sich im Gegenzug verpflichtet, das Thema in den bilateralen Beziehungen nicht mehr anzusprechen. Amerikanische Bürger können ihre Ansprüche nun an das Auswärtige Amt der USA richten, so Sikorski. 

So einfach, so Newsweek, sei die Sache jedoch nicht. Während des Kriegs, lesen wir, seien drei Millionen polnische Bürger jüdischer Herkunft ums Leben gekommen. Ihre Häuser, Werkstätten, Möbel seien oft von ihren polnischen Nachbarn übernommen worden. “Für die Deutschen Schuld und Verbrechen, für uns Schlüssel und Kohle”, habe das Prozedere in einem bekannten Essay kurz nach dem Krieg Kazimierz Wyka beschrieben. Ein paar Jahrzehnte danach hätten Wissenschaftler des Zentrums für Studien am Holocaust ein Buch unter dem Titel “Schlüssel und Kohle” veröffentlicht, in dem viele Geschichten über geraubtes Gut zu finden gewesen seien. Historiker würden schätzen, dass jüdisches Eigentum 15-20 Prozent der Güter darstellt, die den Vorkriegseigentümern abgenommen worden seien . Wie der Oberste Rabbiner Polens, Michael Szudrich kommentiert: ”Wenn jemand mein Fahrrad vor 80 Jahren gestohlen hat, dann ist es weiterhin mein Fahrrad”. Derweil sei die polnische Regierung nicht bereit, dies zu verstehen, oder wenigstens Dialog zu führen, so Newsweek.

Sieci: Absolute, wenn auch traurige Notwendigkeit

Das Timing der Verabschiedung des Gesetzes sei in der Tat denkbar unglücklich gewesen, beobachtet in seinem Kommentar für das Wochenblatt Sieci der Publizist und ehemalige Chef des Ministerrats in der Regierung Tusk, Jan Rokita. Wenn jemand im polnischen Parlament auch nur einen Moment nachgedacht hätte, so der Autor, dann hätte er die Verabschiedung des Dokuments sicherlich hinausgezögert. Wenigstens, um einen Moment für Konsultationen hinter den Kulissen zu reservieren und diplomatische Initiativen einzuleiten, dank denen die Stimmung rund um das Gesetz im Vorfeld entschärft werden könnte. Versuche, dem für seine anti-polnischen Äußerungen bekannten israelischen Außenminister Lapid oder Premierminister Bennett post factum etwas zu erklären, wenn diese schon emotional reagiert und die schwersten Geschütze ausgefahren hätten, so Rokita, seien verspätet. Jetzt bleibe der Regierung nur, die Welle zu überdauern und den israelischen Politikern Zugeständnisse zu gewähren, die sie ihren Wählern als Erfolge präsentieren können.

Eine andere Sache sei aber, so der Autor weiter, dass der endgültige Schlussstrich unter der Reprivativisierungsfrage eine absolute, wenn auch traurige Notwendigkeit gewesen sei. Denn eine weitere Zustimmung für das Prozedere der wilden Reprivatisierung wäre ein Zeichen der Ohnmacht des Staates. Gleichzeitig, lesen wir weiter, sei es auch eine traurige Notwendigkeit. Denn sie resultiere direkt aus der Unfähigkeit des Staates, Fragen rund um den Raub von Eigentum zu kommunistischen Zeiten, rechtzeitig, gerecht und geordnet zu beantworten und zu regeln. 

Nun müsse man nach Wegen suchen, die Gemüter zu besänftigen und Waffenstillstand mit Israel zu schließen. Zum Beispiel, indem der Senat gewisse Korrekturen zum Gesetz vorschlägt, die die neue israelische Regierung als Erfolg verbuchen könnte. Doch auch, wenn solche Korrekturen keinen Frieden garantieren sollten, sei es für den polnischen Staat von kardinaler Bedeutung, dass der polnisch-israelische Konflikt nicht für innenpolitische Zwecke missbraucht werde. Nur so könne man die heute gefährdeten polnischen Interessen und die Staatsräson schützen, so Rokita in seinem Kommentar für Sieci

Autor: Adam de Nisau