Die zuletzt auf polnischem Staatsgebiet gefundene russische Rakete bleibt ein wichtiges Thema in der polnischen Presse. Zur Erinnerung: Ende April war bei Bydgoszcz ein Militärobjekt gefunden worden, bei dem es sich offenbar um einen unbewaffneten russischen Marschflugkörper handelt, der im Dezember vergangenen Jahres in den polnischen Luftraum eingedrungen war.
Rzeczpospolita: Zur Schlagkraft einer unbewaffneten Rakete
Wieso hat die Öffentlichkeit erst Ende April darüber erfahren? In Bezug auf diese Frage schieben sich das Verteidigungsministerium und die Streitkräfte gegenseitig die Schuld in die Schuhe, erinnert in der heutigen Ausgabe die konservativ-liberale Rzeczpospolita. Verteidigungsminister Mariusz Błaszczak, so das Blatt, habe öffentlich den Operationellen Befehlshaber der Streitkräfte General Tomasz Piotrowski angeklagt, das Ministerium nicht über die Verletzung des polnischen Luftraums im Dezember informiert und die Suche nach dem Objekt vernachlässigt zu haben. Staatspräsident Andrzej Duda versuche die Emotionen zu dämpfen. Gehe es nach dem Büro für Nationale Sicherheit gebe es derzeit keinen Grund für personelle Konsequenzen an der Spitze der Streitkräfte. Zudem habe der Präsident darum appelliert, vor dem Hintergrund der Bedrohung aus dem Osten, in Bezug auf das Militär Ruhe zu bewahren und erinnerte daran, dass wir es regelmäßig mit Provokationen zu tun hätten. Just, als sich der Streit zwischen der Armee und dem Verteidigungsministerium zugespitzt habe, habe Belarus am Wochenende zwei Spionageballons in den polnischen Luftraum geschickt, von denen einer nach Dänemark geflogen und der andere bei Rypin abgestürzt sei.
In diesem Fall, schreibt in seiner Stellungnahme der Chefredakteur des Blattes Bogusław Chrabota, habe zweifellos jemand fahrlässig gehandelt, jemand lüge und versuche, die eigene Verantwortung zu verbergen. Ob es nun der sich mit Vorliebe vor dem Hintergrund moderner Ausrüstung oder mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyjj ablichtende Vizepremier Mariusz Błaszczak oder die von ihm beschuldigten Militärs seien, müsse dringend geklärt werden.
Ein wichtiges Signal, so Chrabota, sei das Verhalten des Staatspräsidenten, der sich in dem Konflikt auf die Seite der Generäle stelle. Dies sei einerseits ein Mittel, in einem Schlüsselmoment für die Wehrhaftigkeit Chaos in der Armee zu verhindern. Es sei aber auch ein deutlicher Fingerzeig auf diejenigen, die tatsächlich die Verantwortung tragen. Und zwar nicht der erste. In dieser Frage habe den Präsidenten Premierminister Mateusz Morawiecki überholt, der relativ schnell auf den eigenen Minister gezeigt habe. Im Kontext der anstehenden ukrainischen Gegenoffensive, so Chrabota, sei der ganze Streit an der Staatsspitze extrem gefährlich. Er untergrabe auch die Glaubwürdigkeit des Landes in den Augen der Verbündeten. Aus all diesen Gründen erwarte er eine dringliche Lösung der Situation mit so geringen Verlusten für das polnische Verteidigungssystem, wie möglich, auch wenn dies für das Image der Regierungspartei schmerzhaft sein sollte. Denn es könne nicht sein, dass eine möglicherweise als Testballon abgeschossene und zweifellos unbewaffnete Rakete eine Kraft von Dutzenden Kilotonnen entfalte, auch wenn nur in der polnischen Politik. Wenn Polens Feinde die Bestätigung erhalten, dass dies funktioniere, könnten sie diese Waffe viel häufiger und nicht weniger effektiv nutzen, so Bogusław Chrabota in der Rzeczpospolita.
Dziennik/Gazeta Prawna: Mehr Waffen und Solidarität
Es fallen weitere Tabus bei der westlichen Unsterstützung für Kiew, beobachtet in der aktuellen Ausgabe das Wirtschaftsblatt Dziennik/Gazeta Prawna. So habe die Ukraine, wie das Blatt erinnert, soeben Storm-Shadow-Langstreckenraketen erhalten und sie erstmals für einen Angriff auf russische Stellungen eingesetzt. Wolodymyr Selenskyj, lesen wir, hoffe, dass der nächste Schritt in der Lieferung von westlichen Kampfflugzeugen bestehen werde. “Meine Besuche in europäischen Hauptstädten sind teilweise genau diesem Ziel gewidmet. Ich denke, wir werden Erfolg haben. Ich werde mich heute an die deutsche Seite mit der Bitte wenden, die Ukraine als Teil dieser Koalition zu unterstützen", sagte Selenskyj am Rande seines Besuchs in Berlin am Sonntag. Bundeskanzler Olaf Scholz habe wiederum, im Einklang mit der ukrainischen Position erklärt, dass von Friedensgesprächen keine Rede sein kann, bis Moskau seine Truppen aus den besetzten Gebieten abzieht.
Bisher, so die Tageszeitung, sei die Position Berlins nicht so unmissverständlich gewesen. Westliche Flugzeuge würden die russische Luftüberlegenheit reduzieren, aber es sei zweifelhaft, dass sie schon bei der bevorstehenden Gegenoffensive zum Einsatz kommen. Dafür seien die Storm-Shadow-Raketen schon im Einsatz und würden 300 Kilometer entfernte Ziele in den von russischen Streitkräften kontrollierten Gebieten treffen.
Gazeta Wyborcza: 800 Plus ab nächstem Jahr?
Eine Aufwertung des Familienfördergelds von 500 auf 800 PLN, kostenlose Autobahnen und kostenlose Medikamente für Kinder bis zum 18. Lebensjahr - die linksliberale Gazeta Wyborcza nimmt in ihrem heutigen Aufmacher die neuesten Wahlkampfversprechen der Regierungspartei PiS unter die Lupe. Darüber, dass die PiS ihr Flaggschiffprojekt 500 Plus auf 800 PLN anheben will, erinnert das Blatt, habe die “Gazeta Wyborcza” schon Mitte März geschrieben. Damals seien die Regierenden unter Beschuss der Opposition gewesen, die darauf hingewiesen habe, dass die Kaufkraft des Fördergelds infolge der Inflation von 500 auf 350 PLN geschrumpft ist. Noch im Juni vergangen Jahres, erinnert Wyborcza, habe PiS-Chef Kaczyński eine Anhebung des Fördergelds auf 700 PLN als einen Irrweg bezeichnet, der die Inflation weiter ankurbeln werde. Nun sei von einer Erhöhung auf 800 PLN die Rede, was einen Anstieg der jährlichen Ausgaben für die Initiative von etwa 40 Milliarden PLN auf rund 64 Milliarden PLN bedeuten würde. Woher das Geld kommen solle, so das Blatt, habe Kaczyński nicht verraten. Wie das Blatt herausgefunden hat, sei der größte Gegner einer Aufwertung des Zuschusses offenbar Premierminister Mateusz Morawiecki gewesen, laut dem sich Polen dies nicht leisten könne. Allein in diesem Jahr
werde das Haushaltsdefizit voraussichtlich über 68 Milliarden PLN betragen. Die tatsächliche Verschuldung sei jedoch viel höher, da über 200 Milliarden aus dem Haushalt in verschiedene Fonds fließen werden. Hinzu kämen die Schuldendienstkosten, die in diesem Jahr möglicherweise sogar 100 Mrd. PLN erreichen können, und die weiterhin blockierten Gelder aus dem EU-Wiederaufbaufonds, so Gazeta Wyborcza.
Autor: Adam de Nisau