Deutsche Redaktion

"Parteichef zur Hilfe"

15.06.2023 10:53
Seit einigen Tagen wird in Polen erneut über eine mögliche Rückkehr von PiS-Chef Jarosław Kaczyński in die Regierungsreihen diskutiert. Wie viel ist dran an den Gerüchten? Wie steht es um die perinatale Betreuung in Polen? Wer wird von den Polen als Oppositionsführer anerkannt? Und: Ist eine weitere Anhebung des Mindestlohns eine gute Idee? Die Einzelheiten in der Presseschau.
W czwartek zbierze się prezydium Komitetu Politycznego PiS
W czwartek zbierze się prezydium Komitetu Politycznego PiS Tomasz Gzell/PAP

Dziennik/Gazeta Prawna: Polen ist kein Land für gebärende Mütter

Der Tod einer Schwangeren in einem Krankenhaus in Nowy Targ hat die öffentliche Debatte über die perinatale Betreuung und Abtreibungsregelungen in Polen erneut ins Rollen gebracht. Wie das Wirtschaftsblatt Dziennik/Gazeta Prawna berichtet, soll morgen im Gesundheitsministerium erstmals ein Team zusammenkommen, das neue Richtlinien für Schwangerschaftsabbrüche erarbeiten soll. Geht es nach dem Blatt seien Schwangerschaftsabbrüche nur eines von vielen Problemen, mit denen sich Schwangere in Polen konfrontiert sehen. Die perinatale Betreuung lasse in vielen Bereichen zu wünschen übrig. So würden landesweit mehr als 50% der Frauen während der Geburt unangenehme Vorfälle erleben, nur 14,3% der werdenden Mütter würden ohne Schmerzen entbinden. Jede 10. Mutter habe die Geburt als traumatisch erlebt. Die Sterblichkeitsrate von Neugeborenen in Polen gehöre zu den höchsten in der Europäischen Union. Und bei der Zahl von Kaiserschnittgeburten habe Polen seinen eigenen Rekord gebrochen. Diese würden mittlerweile 48% aller Entbindungen ausmachen. Die Statistiken zu Geburten ohne Schmerzlinderung und zu den Kaiserschnitten würden aus einem aktuellen Bericht des Nationalen Gesundheitsfonds stammen, über die subjektiven Eindrücke von Müttern berichte die Stiftung Rodzić po ludzku (Menschlich Entbinden) und über die Sterblichkeitsrate von Neugeborenen würden das Hauptstatistikamt GUS und Eurostat informieren, so Dziennik/Gazeta Prawna.

Gazeta Wyborcza: Parteichef zur Hilfe

Seit einigen Tagen wird in Polen erneut über eine mögliche Rückkehr von PiS-Chef Jarosław Kaczyński in die Regierungsreihen diskutiert. Premierminister Mateusz Morawiecki hat angekündigt, dass das Politische Komitee der Regierungspartei am Donnerstag über diese Frage beraten wird, erinnert in ihrem Aufmacher die linksliberale Gazeta Wyborcza. Nach Informationen der Zeitung sollen die Vizepremierminister Mariusz Błaszczak und Jacek Sasin sich beim Parteivorsitzenden der PiS für einen solchen Schritt eingesetzt haben. Ein Regierungsvertreter betont im Gespräch mit dem Blatt, dass Kaczyński in seiner vorherigen Position als Vizepremierminister (von Oktober 2020 bis Juni 2022) eine effiziente und direkte Entscheidungsfindung ermöglichte. “Man konnte alles vor Ort erledigen, statt in die Parteizentrale auf der Nowogrodzka fahren zu müssen. Der Entscheidungsprozess war sehr kurz und effizient”, so der Politiker. Die Chancen für Kaczyńskis erneute Ernennung zum Vizepremier schätze er auf 50 Prozent.

Wie ein anderer Gesprächspartner aus der Regierungspartei erklärt, würde das Ziel einer Rückkehr von Kaczyński darin bestehen, die heute eher schlecht laufende Wahlkampagne besser zu koordinieren und Alleingänge zu unterbinden. Einige Kritiker der aktuellen Wahlkampagne würden hinter vorgehaltener Hand bemängeln, dass die derzeitige Strategie des Wahlkampfteams nur darin bestehe, Donald Tusk anzuprangern, was jedoch nicht den gewünschten Effekt erzielt habe. Es werde zudem gemunkelt, dass die Information über Kaczyńskis Rückkehr von der Umgebung des Premierministers absichtlich gestreut wurde, um den Parteimitgliedern Angst einzujagen und ihre Loyalität zu festigen, so Gazeta Wyborcza.

Rzeczpospolita: Oppositionsführer Tusk

Indes werde Ex-Premier Donald Tusk von der entschiedenen Mehrheit der Polen als Anführer der Opposition wahrgenommen, schreibt die konservativ-liberale Rzeczpospolita unter Berufung eine aktuelle Umfrage des Instituts IBRiS. Demnach werde Donald Tusk von 61% der Befragten als unangefochtener Oppositionsführer angesehen. Andere potenzielle Anwärter wie Rafał Trzaskowski (18%), Szymon Hołownia (4,1%) und Sławomir Mentzen (2,9%) würden deutlich weniger Unterstützung erhalten. Die Vorsitzenden der Partei PSL, Władysław Kosiniak-Kamysz, und der Linken, Włodzimierz Czarzasty, hätten in dieser Zusammstellung keine Untersützer, so Rzeczpospolita.

Rzeczpospolita: Eine Brücke zu weit

Und der Wirtschaftsjournalist der Rzeczpospolita, Krzysztof Adam Kowalczyk, nimmt in seiner heutigen Stellungnahme die von der Regierung angekündigte Anhebung des Mindestlohns ins Visier. Wie der Autor erinnert, habe die Regierung vorgeschlagen, den Mindestlohn im Januar 2024 auf 4.242 PLN anzuheben und nach weiteren sechs Monaten auf 4.300 PLN zu erhöhen. Damit, so Kowalczyk, würden sich die Regierenden jedoch ins eigene Knie schießen. Der Grund: Die polnische Wirtschaft, lesen wir, befinde sich derzeit in einem langsamen Prozess der Inflationsabschwächung. Im Februar habe die Inflationsrate noch 18,4 Prozent betragen. Im Mai lag sie bei 13 Prozent und laut Nationalbankchef Adam Glapiński, könnte sie im September sogar unter 10 Prozent fallen.

Die geplante Anhebung des Mindestlohns um 21,5 Prozent im Vergleich zu Januar 2023 und 19,4 Prozent im Vergleich zu diesem Juli sei in diesem Kontext bedenklich, da ein derartiger Anstieg die übermäßige Inflation erneut anheizen könnte, insbesondere für diejenigen, denen der Mindestlohn helfen sollte.

Der Autor erinnert an die Ereignisse von vor vielen Jahren, als 1989 die Solidarność eine Indexierung der Löhne verhandelte, um die Auswirkungen der damals galoppierenden Hyperinflation auszugleichen. Mit der Zeit habe sich herausgestellt, dass die Indexierung eine Lohn-Preis-Spirale aufrechterhielt und das Inflationsfeuer weiter schürte. Daher, so der Autor, wäre es besser, Mechanismen der Indexierung ganz zu vermeiden, um die Inflation unter Kontrolle zu halten. Die von der vorgeschlagenen Anhebungen des Mindestlohns würden in diesem Kontext definitiv zu weit gehen.

Autor: Adam de Nisau