Deutsche Redaktion

"Sieg der Frankenkreditnehmer"

16.06.2023 11:17
Ein wichtiges Thema in den heutigen Pressekommentaren ist das gestrige Urteil des Europäischen Gerichtshofs, das den Streit zwischen Banken und Kunden, die Kredite in Schweizer Franken aufgenommen haben, zugunsten der Kunden entschieden hatte. Außerdem geht es auch um die Frage, was PiS-Chef Kaczyński mit dem Vorschlag eines Referendums zum Migrationspakt bezweckt. 
Po decyzji TSUE liczba spraw w sądach wzrośnie
Po decyzji TSUE liczba spraw w sądach wzrośnieShutterstock/Karolis Kavolelis

Rzeczpospolita: Sieg der Frankenkreditnehmer

Das Urteil des EuGH stärkt die Position von Kreditnehmern mit Franken-Krediten in ihren Auseinandersetzungen mit den Banken und könnte die Banken etwa 100 Milliarden Zloty kosten, schreibt dazu in ihrem Aufmacher die konservativ-liberale Rzeczpospolita. Der Grund: Laut dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs haben Banken kein Recht, von Verbrauchern eine Vergütung für die Nutzung des Darlehens zu verlangen, wenn der Vertrag für nichtig erklärt wird. Sie müssen lediglich den Darlehensbetrag und die Verzugszinsen zurückerstatten. Diese Vergütung, die oft mehr als die Hälfte des gewährten Kredits ausmacht, so Rzeczpospolita, hatte  in den letzten Jahren eine entscheidende Rolle in den Streitigkeiten rund um die Franken-Kredite gespielt. Die Kreditnehmer hätten solche Forderungen oder Klagen von Seiten der Banken immer häufiger als Druckmittel betrachtet, um eine Anfechtung des Vertrags zu verhindern. “Jetzt ist diese Gefahr weg”, sagt Anwalt Radosław Górski, der einen der Kreditnehmer und gleichzeitig Vorsitzenden der Vereinigung “Stopp der Rechtlosigkeit von Banken” vertritt, den die Anfrage an den Europäischen Gerichtshof betraf.

Unter den Richtern seien die Meinungen zur Nützlichkeit des Urteils gespalten. Die einen würden darin einen Durchbruch sehen. Andere würden die Gerichte dadurch eher mit weiteren Unsicherheiten konfrontiert sehen, da die rechtlichen Grundlagen über den Rahmen der Verbraucherrichtlinie hinausgehen.

Die Kosten, mit denen der Sektor infolge des Urteils des Europäischen Gerichtshofs konfrontiert sein werde, seien indes gigantisch. Die Finanzaufsichtsbehörde habe sie insgesamt auf 100 Milliarden Zloty geschätzt, wovon bereits etwa 35-40 Milliarden Zloty als Rückstellungen für rechtliche Risiken bei Hypothekendarlehen in Fremdwährungen angefallen seien.

Der Vorsitzende der Finanzaufsichtsbehörde Jacek Jastrzębski habe betont, dass der polnische Bankensektor derzeit gut kapitalisiert und liquide ist, was sich auf seine Sicherheit und Stabilität auswirkt. Dennoch werde die Kapitalerosion der Banken einen negativen Einfluss auf ihre Fähigkeit haben, den Wohnungsbedarf der polnischen Haushalte und die gesamte Wirtschaft weiter zu finanzieren, so Jastrzębski. Auch andere Experten weisen auf das Risiko einer geringeren Schockresistenz der polnischen Wirtschaft infolge des Urteils. “Die Rechnung für die Bevorzugung von Franken-Kreditnehmern werden alle bezahlen. Sowohl Bankkunden in Form von höheren Gebühren, als auch Aktionäre, Steuerzahler und die gesamte Wirtschaft”, sagt der Hauptökonom der Stiftung FOR im Gespräch mit der Rzeczpospolita. 

Rzeczpospolita: Auch kostenlose Kredite haben ihren Preis

Genau wie nach der Einführung der Bankensteuer werde die Anhebung der Gebühren durch Banken nicht sofort geschehen, sondern wahrscheinlich in Raten erfolgen, um den Schmerz zu lindern, ergänzt in seiner Stellungnahme der Wirtschaftsjournalist Krzysztof Adam Kowalczyk. Aber eines sei sicher: Es werde nicht billig sein. Die Kosten für kostenlose Kredite für die Franken-Kreditnehmer würden also nicht nur von den Bankinhabern, sondern auch von allen Kunden bezahlt. Und indirekt betreffe dies die gesamte Wirtschaft. Da es jedoch keinen plötzlichen Schock geben werde, würden die Passagiere, also die Bewohner des Landes, möglicherweise die Auswirkungen nicht sofort mit der Ursache in Verbindung bringen, so Krzysztof Adam Kowalczyk. 

Rzeczpospolita: Das Urteil wird die Euroskeptiker aufrütteln

Heute liege die ganze Hoffnung der Banken paradoxerweise in der Langwierigkeit der polnischen Gerichtsbarkeit, denn diese ermöglicht es ihnen, die Verluste über einen längeren Zeitraum zu verteilen, beobachtet der Publizist des Blattes Wojciech Tumidalski. Interessanterweise habe der Europäische Gerichtshof auch bestätigt, dass die "Stabilität der Finanzmärkte" kein Wert ist, der es erlaubt, Verbraucherrechte zu verletzen. Interessanterweise habe das polnische Verfassungsgericht dies nicht so gesehen, als es sich in einer seiner Entscheidungen auf das "Gleichgewicht der öffentlichen Finanzen" als verfassungsrechtlich geschütztes Gut berufen habe. Das Urteil vom Donnerstag enthalte auch eine wichtige Botschaft für die Euroskeptiker in Polen, unter denen es sicherlich auch Franken-Kreditnehmer gebe: Im Streit mit der Bank ist es gut, europäisches Recht auf seiner Seite zu haben. Vielleicht wird dies einigen die Realität vor Augen führen, in der wir leben, so Wojciech Tumidalski.

Gazeta Wyborcza: Die PiS zieht die Immigrantenkarte

Die linksliberale Gazeta Wyborcza nimmt in ihrem Aufmacher die Ankündigung von PiS-Chef Kaczyński ins Visier, den von Polen und Ungarn kritisierten Migrationspakt zum Gegenstand einer Volksabstimmung zu machen. Zur Erinnerung: Gemäß der aktuellen EU-Vereinbarungen sollte Polen jährlich etwa zweitausend Migranten im Rahmen der Zwangssolidarität aufnehmen. Der Geldbetrag für eine eventuelle Nichtaufnahme von Migranten würde sich auf rund 40 Millionen Euro (20.000 Euro pro Person und Jahr) belaufen.

PiS-Chef Jarosław Kaczyński, erinnert das Blatt, habe dies als Hohn gegenüber Polen bezeichnet und erklärt, dass die Entscheidung der EU die polnische Souveränität und die Souveränität anderer europäischer Länder verletzt. Diese Angelegenheit, so Kaczyński, sei Teil eines breiteren Konflikts, der die Zukunft der Europäischen Union und auch unsere Zukunft und Entscheidungen bestimmen werde. Wenn man dieselben Beträge für die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine nehmen würde, von denen über 1,2 Millionen in Polen geblieben seien, würde man auf eine Summe zwischen 26 und 30 Milliarden Euro kommen. Stattdessen habe Polen nur 100 Euro pro Einwohner erhalten. Dies sei eine dreiste Diskriminierung und ein Hohn gegenüber Polen. Aus diesem Grund werde die Regierung dem nicht zustimmen und stattdessen ein Referendum zu dem Thema organisieren. 

Die von Kaczyński angekündigte Volksabstimmung, so Gazeta Wyborcza, werde jedoch keinen Einfluss auf die EU-Entscheidungen zur Umverteilung und die Strafen für die Verweigerung haben. Wozu also das Ganze?

Laut Informationen der Zeitung soll die Volksabstimmung mit den diesjährigen Parlamentswahlen kombiniert werden. Kaczyńskis Partei hoffe, damit Wähler zu mobilisieren, die gegen die Aufnahme von Flüchtlingen seien. Internen Umfragen zufolge, die im Auftrag der regierenden Partei durchgeführt wurden, könnte die PiS dadurch sogar eine Million Stimmen gewinnen.

"Wir haben eine Referendumsvariante mit zwei Fragen getestet: "Stimmen Sie der obligatorischen Aufnahme illegaler Migranten durch Polen zu?" und "Stimmen Sie zu, dass Polen anderen Ländern Geld für die Versorgung der Migranten zahlt, wenn die Aufnahme verweigert wird?", erklärte ein anonymer Informant, der mit einer PR-Agentur zusammenarbeitet, die einen Teil der Umfragen durchgeführt habe. Geht es nach dem Informanten des Blattes, habe die Mehrheit der Befragten auf beide Fragen mit "Nein" geantwortet.

Die Einwanderungspolitik, so der Gesprächspartner der Gazeta Wyborcza, könnte ein beherrschendes Thema in diesem Wahlkampf sein. Die Ergebnisse könnten sogar bedeutender sein als bei der Sonderkommission zu russischen Einflüssen. Im Jahr 2015 habe das Thema der Einwanderung der PiS etwas geholfen. Die Partei hoffe nun auf eine starke Polarisierung des Wählerpublikums. Die Bürgerplattform (PO) werde wie üblich in der Mitte stehen und politische Korrektheit wahren, während sich eine klare Kluft zwischen denjenigen auftut, die dafür, und denen, die dagegen seien. Das Thema lasse sich leicht nutzen. Man könne eine bildliche Kampagne durchführen, Angst vor Vergewaltigungen, zunehmender Kriminalität, brennenden Autos und Stadtvierteln von Migranten aus anderen Ländern schüren, so der Gesprächspartner der Gazeta Wyborcza. 

Autor: Adam de Nisau