Deutsche Redaktion

"Unerklärlicher politischer Schritt"

22.06.2023 09:46
Die plötzliche Rückkehr von PiS-Chef Kaczyński in die Regierung und die gleichzeitige Degradierung aller bisherigen Vize-Premierminister könnte sogar bei PiS-Wählern auf Unverständnis stoßen, meint der Publizist der Rzeczpospolita, Michał Szułdrzyński. Außerdem: Drückt die EU-Kommission bei Vertragsverletzungsverfahren gegenüber den größten EU-Staaten, darunter Deutschland, häufiger ein Auge zu, als bei anderen EU-Mitgliedern? Und: Oppositionsführer Tusk hat die Hoffnung auf eine gemeinsame Oppositionsliste für die Parlamentswahlen offenbar noch nicht aufgegeben. Die Einzelheiten in der Presseschau. 
President Andrzej Duda (left) and the newly appointed Deputy Prime Minister Jarosław Kaczyński (right) during the swearing-in ceremony in Warsaw on Wednesday.
President Andrzej Duda (left) and the newly appointed Deputy Prime Minister Jarosław Kaczyński (right) during the swearing-in ceremony in Warsaw on Wednesday.Photo: PAP/Marcin Obara

RZECZPOSPOLITA: Unerklärlicher politischer Schritt

Die Ernennung von Jarosław Kaczyński zum einzigen stellvertretenden Ministerpräsidenten in der Regierung sei ein reines Wahlkampfspiel. Daran könne man kaum zweifeln, da es für diesen Schritt keine sachliche Begründung gebe, schreibt in seinem Kommentar in der Tageszeitung Rzeczpospolita der Publizist Michał Szułdrzyński. Schließlich habe Jarosław Kaczyński vor genau einem Jahr die Regierung mit der Erklärung verlassen, er habe seine Mission erfüllt und angekündigt, dass er sich im Wahljahr um die Partei kümmern müsse.

Jetzt sei der PiS-Chef von Präsident Andrzej Duda plötzlich doch zum stellvertretenden Ministerpräsidenten ernannt worden. Die bisherigen Vize-Premierminister hätten ihre Stellen in den jeweiligen Ministerien behalten, lesen wir weiter. Wenn Kaczyński heute seine frühere Entscheidung ändere, bedeute das, dass etwas schief gelaufen sei, führt der Publizist fort. Oder es habe sich als unmöglich erwiesen, die Partei aus dem Büro des Parteivorsitzenden effektiv zu leiten. Oder aber beide Szenarien seien wahr.

So oder so gebe sich die PiS nun geschlagen. Und es sei auch ein zusätzlicher PR-Fehler im Spiel. Denn die Entlassung von vier stellvertretenden Ministerpräsidenten könne von der Wählerschaft, statt als ein Weg, Platz für Kaczyński zu schaffen, als Strafe aufgefasst werden. Leute, die gut arbeiten, degradiere man nicht. Dies sei ein rätselhafter Schritt, da Mariusz Błaszczak etwa von der PiS als Superheld beim Wiederaufbau der polnischen Armee vorgestellt und erst vor einem Jahr zum stellvertretenden Ministerpräsidenten befördert worden sei. Habe er etwas falsch gemacht, wenn er heute degradiert werde?

Und Piotr Gliński? Er sei wahrscheinlich der am längsten amtierende stellvertretende Ministerpräsident Polens (sieben Jahre und sieben Monate im Amt) und eine Zeit lang sei er sogar der erste stellvertretende Ministerpräsident gewesen. Sei er nicht geeignet, Vize-Premierminister zu sein, da er gestern seinen Posten verloren habe? Wenn ja, warum habe er das Amt fast acht Jahre lang innegehabt? Und Jacek Sasin? Henryk Kowalczyk? Warum hätten sie ihre Posten verloren? Für einen politischen Beobachter seien diese Entscheidungen unverständlich, und er denke, dass selbst PiS-Wähler Schwierigkeiten haben werden, das ganze Rätsel zu verstehen, schreibt Michał Szułdrzyński in der Tageszeitung Rzeczpospolita.

POLITICO: Doppelmoral

Das Brüsseler Portal Politico beschreibt den Fall des Vertragsverletzungsverfahrens, das die Europäische Kommission 2008 gegen Deutschland wegen Verstößen gegen die Regeln des Gemeinsamen Marktes eingeleitet hatte. Dieses werfe die Frage auf, ob die Verlängerung der Verfahren – die normalerweise im Eiltempo durchgeführt werden – nicht auf eine Doppelmoral hindeute: eine für die größten EU-Länder und eine andere für den Rest, überlegt Politico.

Dies sei ein typischer Fall. Die deutschen Bundesländer sollten ausländische Unternehmen (Ikea und Decathlon) daran gehindert haben, Geschäfte auf ihrem Territorium zu öffnen, was zu einer Untersuchung durch die Kommission geführt habe. Doch während Brüssel in solchen Fällen normalerweise schnell reagiere, sei dieser Fall im System verschwunden und es stelle sich die Frage, ob es für die größten Mitgliedsländer der Union unterschiedliche Regeln gebe.

Ikea habe 2008 erstmals eine Klage gegen Deutschland eingereicht, gefolgt von einer ähnlichen Klage von Decathlon im Jahr 2014, nachdem zwei deutsche Bundesländer die Eröffnung von Hunderten von Geschäften blockiert hätten. Die Unternehmen würden argumentieren, dass Deutschland gegen das in den EU-Verträgen und der Dienstleistungsrichtlinie verankerte Recht auf Niederlassungsfreiheit verstoßen habe. Die Kommission habe zugestimmt und ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Im Jahr 2015 sei ein zweites Aufforderungsschreiben verschickt worden. Und seitdem sei nichts mehr passiert, lesen wir in Politico.

SUPER EXPRESS: Tusk wartet

Donald Tusk verzögert den Prozess der Erstellung von Wählerlisten vor den Herbstwahlen. Der Grund? Er glaube immer noch, dass er mit der Bauernpartei und Polen 2050 ein Abkommen schaffen werde. Dies habe er den Abgeordneten der Bürgerkoalition PO bei einer nichtöffentlichen Clubsitzung mitgeteilt, berichtet die Tageszeitung Super Express.

Władysław Kosiniak-Kamysz und Szymon Hołownia hätten den Start von einer gemeinsamen Wahlliste vor einigen Monaten abgelehnt. Die beiden Politiker hätten beschlossen, ihren eigenen, wie sie es nannten, Dritten Weg zu gehen. Es habe sich jedoch herausgestellt, dass Donald Tusk für seine jüngeren Kollegen eine andere Zukunft plane. Er gehe davon aus, dass gemeinsame Listen immer noch möglich seien. - Tusk erklärte, dass man den Prozess der Erstellung von Parteilisten nicht abschließen sollte, da dies einen Art Türverschluss für potenzielle Koalitionspartner bedeuten würde. Nach dem erfolgreichen PO-Marsch würden sich Kosiniak-Kamysz und Hołownia in einer schwierigen Situation befinden, es würde sich daher lohnen zu warten, denn sie könnten ihre Meinung ändern, urteilt der ehemalige Premierminister.

Autor: Jakub Kukla