Deutsche Redaktion

"Deutscher Politiker will den Polen die Regierung wählen"

27.06.2023 13:21
Der Zusammenhang zwischen einer eventuellen Beschlagnahmung russischer Vermögenswerte und polnischen Reparationsfoderungen an Deutschland sowie die Einstellung deutscher Politiker zur polnischen Regierungspartei - Aussagen deutscher Politiker zu diesen zwei Tehmen schlagen heute besonders hohe Wellen in den polnischen Medien. Die Einzelheiten in der Presseschau.
Manfred Weber szefem Europejskiej Partii Ludowej
Manfred Weber szefem Europejskiej Partii LudowejLCV/Shutterstock

Deutschland und die deutsch-polnischen Beziehungen sind heute wieder einmal mehr in aller Munde. Erstens wegen eines Artikels der “Financial Times” zur eventuellen Freigabe der eingefrorenen Mittel der russischen Nationalbank für den Wiederaufbau der Ukraine. Die Financial Times hatte darin einen deutschen Beamten zitiert, laut dem eine solche Entscheidung der Öffnung der Büchse der Pandora gleichkäme und einen Präzedenzfall schaffen würde, der unter anderem auch Auswirkungen auf die Debatte zu Polens Reparationsforderungen für während des Zweiten Weltkriegs verursachte Schäden hätte.

wPolityce.pl: Deutschland nimmt Polens Reparationsforderung ernst

Regierungsnahe Medien, wie etwa das Portal wPolityce.pl bezeichnen die Aussagen der von Financial Times zitierten Beamten als skandalös. Es, lesen wir auf wPolityce.pl, sei offensichtlich, dass die Möglichkeit von Reparationszahlungen an Polen für den Zweiten Weltkrieg den Deutschen Sorgen bereitet. Dies scheine darauf hinzudeuten, dass sie selbst erkennen, dass dieses Thema nicht abgeschlossen ist, schreibt das Portal und zitiert einige der Reaktionen auf Twitter zu dem Artikel.

“Die Deutschen nehmen die Handlungen von Arkadiusz Mularczyk sehr ernst. Je mehr darüber gesprochen wird, und zwar nicht nur in Deutschland, desto realer werden die Reparationen an Polen für den Zweiten Weltkrieg, noch zu unseren Lebzeiten”, schreibt dazu Eryk Mistewicz.

“BUMM! Deutschland blockiert einen EU-Plan zur Beschlagnahmung russischer Vermögenswerte für Reparationszahlungen an die Ukraine, weil es befürchtet, dass dies ein Vorwand für Polen sein wird, deutsche Vermögenswerte für Reparationszahlungen zu beschlagnahmen. Aber wir brauchen keinen Vorwand, um ihr Vermögen zu beschlagnahmen!”, so ein anderer Kommentator, den wPolityce.pl zu Wort kommen lässt.

RZ: Kampf um eigene Interessen auf Kosten anderer

Ein ganz anderes Licht auf das Thema wirft in seinem Kommentar indes der Publizist der Rzeczpospolita, Michał Szułdrzyński. Es, so der Autor, wäre eine grausame Ironie des Schicksals, wenn der polnisch-deutsche Streit über Reparationen dazu führen würde, dass der Plan der Europäischen Union, Milliarden von Euro, die von Russland zur Unterstützung des Kriegs gegen die Ukraine angehäuft wurden, zu übernehmen, scheitert.

“Will die polnische Regierung die Frage des Wiederaufbaus der Ukraine zur Geisel im Streit um Reparationen machen?”, fragt Szułdrzyński. Das, so der Publizist, wäre genauso schlau, wie der Versuch der Regierung, sich bei der Durchsetzung der Reparationsforderungen von … Israel helfen zu lassen, da die Hälfte der polnischen Opfer des Zweiten Weltkriegs polnische Bürger jüdischer Nationalität gewesen seien. Der entsprechende Vorschlag, erinnert Szułdrzyński, sei ohne vorherige Rücksprache mit Israel öffentlich bekannt gegeben worden und habe auf israelischer Seite Bestürzung ausgelöst, da die Frage der Abrechnung zwischen Israel und der Bundesrepublik Deutschland für den Holocaust äußerst sensibel sei. Sie sei jedoch durch einen Vertrag gelöst worden, und zwar vor 70 Jahren. Die Einbeziehung Israels in den Streit um Reparationen sei umso absurder, da zwischen Polen und Israel immer wieder die Frage der Restitution von Eigentum von Holocaust-Opfern aufkommt.

Falls der Streit um Reparationen nun dazu führe, dass die Bemühungen um die Übernahme der Reichtümer Russlands, die sich in europäischen Banken befinden, und deren Weitergabe an den Wiederaufbaufonds der Ukraine scheitern (obwohl es auch andere rechtliche Argumente "dagegen" gebe), würde Polen seinen ukrainischen Partnern einen Bärendienst erweisen. Wenn die PiS der Meinung sei, dass Polen Anspruch auf Reparationen hat, sollte sie sich besser auf bilaterale Verhandlungen mit Berlin beschränken. Der deutsche Widerstand gegen Gespräche mit Polen in dieser Sache sei eine separate Angelegenheit. Bisher seien die Versuche, die deutsche Regierung zu solchen Gesprächen zu zwingen, gescheitert, erinnert Michał Szułdrzyński in der Rzeczpospolita.

Gazeta Polska Codziennie: Deutscher Politiker will den Polen die Regierung wählen

Die zweite Aussage eines deutschen Politikers, die dieser Tage in den polnischen Medien die Runde macht, ist die neuliche Äußerung von EVP-Chef Manfred Weber zur polnischen Regierungspartei in der FAZ. Weber hatte in dem Gespräch eine pro-europäische, pro-ukrainische und pro-rechtsstaatliche Haltung als Voraussetzung für eine Zusammenarbeit mit den Konservativen genannt und die Notwendigkeit betont, eine „Firewall“ gegen die PiS-Partei aufzubauen. „Wir sind die einzige Kraft, die in der Lage ist, die PiS in Polen abzulösen und das Land wieder an Europa heranzuführen“, so Weber in Hinblick auf die bevorstehenden Parlamentswahlen in Polen. Die Äußerung hat eine Lawine von Artikeln ausgelöst, in denen regierungsnahe Medien das Zitat als Beweis anführen, Deutschland wolle den Polen die Regierung wählen und das Land seiner Souveränität berauben. 

“Deutscher Politiker will den Polen die Regierung wählen”, titelt ihren heutigen Aufmacher etwa die regierungsnahe Gazeta Polska Codziennie. Diese dreiste Einmischung in die inneren Angelegenheiten unseres Landes sei bereits von einem Teil der polnischen politischen Elite scharf kritisiert worden, schreibt das Blatt und zitiert den ehemaligen polnischen Botschafter in Berlin, prof. Andrzej Przyłębski, laut dem  Berlin mit Hilfe der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments einen Plan zur nichtmilitärischen Beherrschung Europas, einschließlich der Ukraine, verwirklichen wolle, den es militärisch nicht durchsetzen konnte. Auch der Politikwissenschaftler Prof. Jacek Reginia-Zacharski betone, so das Blatt, dass Webers Aussage skandalös sei.

Gazeta Polska Codziennie: In den kommenden Wahlen geht es um deutsche Einflüsse

Es gebe keine Zufälle - es gebe nur Zeichen, schreibt im Autorenkommentar zu dem Thema der Publizist der Gazeta Polska Codziennie, Krzysztof Wołodźko. In der polnisch-deutschen Geschichte, lesen wir, würden sich viele dieser Zeichen entweder auf Polens Siege über den germanischen Hochmut beziehen oder vom unvorstellbaren Leiden des polnischen Volkes und der Tragödie des Landes geprägt sein. Heute, so der Autor, sollten wir daher besonders besorgt sein, dass deutsche Politiker offen von einer Einmischung in polnische Angelegenheiten sprechen. Die Worte des obsessiv PiS-feindlichen Manfred Weber würden sich nicht anders interpretieren lassen, überzeugt Wołodźko. Gehe es bei den Aussagen des engen Mitarbeiters von Donald Tusk nur um den überheblichen Hochmut des Deutschen? Um seine grenzenlose Arroganz, die es ihm ermögliche, sich seit Jahren - leider mit Hilfe polnischsprachiger Politiker - in die Rolle eines Schiedsrichters über die Eleganz unserer eigenen Angelegenheiten zu stellen? Es gehe um viel mehr. Die Deutschen würden sehr gut wissen, dass ihnen das sogenannte Mitteleuropa entgleitet. Je länger die PiS in Polen regiere, desto geringer würden auch die Chancen auf den Wiederaufbau und die Stärkung des deutschen Einflusses nicht nur in Polen, sondern auch in der gesamten Region ausfallen. Und auch bei den kommenden Wahlen werde es darum gehen, so Krzysztof Wołodźko in seinem Kommentar für die national-konservative Tageszeitung Gazeta Polska Codziennie.

tvn24: Weber spricht als EPL-Chef nicht als Deutscher

In Reaktion auf die Kommentare von Politikern der Regierungspartei und regierungsnahen Medien auf das FAZ-Interview, macht der oppositionsnahe Sender TVN24 indes auf den breiteren Kontext von Webers Aussage aufmerksam. Aus dem vollständigen Kontext des Interviews, in dem es vor allem um die Zukunft der EVP gehe, lesen wir, gehe deutlich hervor, dass der deutsche Europaabgeordnete nicht von den Deutschen, sondern von der Europäischen Volkspartei (EVP) als der Kraft gesprochen habe, “die die PiS in Polen ersetzen und das Land zurück nach Europa führen kann". Dies sehe man unter anderem daran, dass Weber die Bezeichnung “wir” auch in Bezug auf den Vorsitzenden der slowakischen Partei “Demokraten” benutzt habe, die zur EVP-Fraktion im Europaparlament gehört.

Diese Interpretation der Worte von Manfred Weber habe auf Anfrage des Senders auch der Sprecher des Politikers, Dirk Gotink, bestätigt. "Natürlich hat er das als Vorsitzender der Europäischen Volkspartei gesagt", habe Gotink mitgeteilt. "Die EVP ist die größte politische Familie in Europa, eine Partei, die von Kommunismus befreit und die stärkste Stimme gegen den illegalen Krieg Russlands in der Ukraine ist. Diese EVP-Familie ist in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union vertreten", so Gotink in einer Stellungnahme für TVN24.

Autor: Adam de Nisau