Deutsche Redaktion

"Weber hat zum ersten Mal die Wahrheit gesagt" vs. "Anti-deutscher Wahn der Regierungspartei"

28.06.2023 13:08
Die Aussage von EVP-Chef Manfred Weber für die FAZ, in der der deutsche Politiker die EVP als eine “Firewall” gegen Polens Regierungspartei PiS bezeichnet hat, schlägt weiterhin hohe Wellen in den Medien. Außerdem: Polen hat, laut Experten, das Potenzial zu einem der global führenden Spieler in der KI-Branche zu werden. Die Einzelheiten in der Presseschau.
Manfred Weber
Manfred WeberForum/Reuters/GONZALO FUENTES

Gazeta Polska Codziennie: Weber hat zum ersten Mal die Wahrheit gesagt

Die regierungsnahe Gazeta Polska Codziennie macht ihre Ausgabe zum zweiten Mal in Folge mit Webers Aussage auf und nutzt diese als Mittel, um Oppositionsführer Tusk als einen von Deutschland abhängigen Politiker zu diffamieren und die Wahrnehmung Deutschlands als Gefährdung der polnischen Souveränität unter Sympathikern der Vereinigten Rechten zu vertiefen.

“Manfred Weber hat die Wahrheit gesagt - entweder Polen oder Deutsche werde Polen regieren” titelt das nationalkonservative Blatt seinen heutigen Aufmacher. Die skandalöse Äußerung von Weber, so die Zeitung, habe enorme Emotionen im Regierungslager hervorgerufen. “Es ist eine empörende Aussage”, sagt im Gespräch mit dem Blatt PiS-Senatorin Maria Koc. “Die Tatsache, dass er die Bürgerplattform und Donald Tusk unterstützt und die Daumen dafür drückt, dass sie die Wahlen gewinnen, ist seine Sache. Aber diese Aussage zeigt, dass er und sein Umfeld persönlich in den Wahlprozess in Polen involviert sind. Das ist sehr gefährlich und zeigt, wie sehr Deutschland an der Rückkehr von Donald Tusk in die Regierung interessiert ist. Berlin hat ein Interesse daran. Welches? Das ist die Frage. Das ist ein Warnsignal, dass dies Wahlen um unsere Souveränität sind", so Koc. Laut Vertretern des Juniorkoalitionspartners der PiS, der EU-skeptischen Partei Souveränes Polen von Justizminister Zbigniew Ziobro, habe Weber zum ersten Mal die Wahrheit gesagt und gezeigt, welches Szenario Berlin gegenüber Polen umsetze. Deshalb, so Souveränes Polen, sei Donald Tusk von der Position des Chefs der Europäischen Volkspartei entfernt und durch Manfred Weber ersetzt worden. Damit er sich als Kandidat, der von Berlin unterstützt werde, auf den Wahlkampf konzentrieren und die Bürgerplattform in die Wahlen führen könne. Das sei der Plan Deutschlands. Heute sei die Spaltung deutlich. Die Vereinigte Rechte sei für ein starkes, souveränes Land und ein unabhängiges Polen. Die Opposition, angeführt von der Bürgerplattform, sei für den Plan von Weber, der unter dem Motto "Rückkehr Polens nach Europa" eine Regierung, die Berlin in jeder Hinsicht ergeben sei, in Polen installieren wolle, sagt in einem Gespräch mit Gazeta Polska Codziennie der Abgeordnete dieser Formation und stellvertretende Minister für Landwirtschaft und Dorfentwicklung, Janusz Kowalski. 

Gazeta Wyborcza: Der antideutsche Wahn der PiS

Der Publizist der linksliberalen Gazeta Wyborcza, Bartosz Wieliński, prangert indes die Empörung in den regierungsnahen Medien nach Webers Aussage in seiner Stellungnahme als scheinheiligen antideutschen Wahn an. Ein Interview für die FAZ, so Wieliński, und wohl alle PiS-Politiker hätten sich prompt zu Wort gemeldet. Objektiv gesehen, lesen wir, könne man mit der Beobachtung von Weber, der die Europäische Volkspartei, zu der auch die Bürgerkoalition gehöre, als die einzige Kraft bezeichnete, die “die PiS in Polen ersetzen und das Land zurück nach Europa führen kann", schwer streiten. Aber die PiS-Politiker und ihre treuen Propagandisten würden nur das hören, was sie hören wollen. Sie hätten die Europäische Volkspartei in der Berichterstattung durch “die Deutschen” ersetzt und seien prompt zu dem Schluss gekommen, dass Deutschland die Macht in Polen übernehmen möchte.

Dies, so Wieliński, sei bei Weitem nicht der Höhepunkt des anti-deutschen Wahns der PiS. Je näher die Wahlen rücken würden, desto stärker würden wohl auch die Angriffe auf Deutschland ausfallen. Persönlich warte er darauf, dass die PiS-Anhänger aus Protest gegen die Politik Berlins aufhören, deutsche Autos zu fahren und ihre Hemden mit deutschen Waschmitteln zu waschen, so Wieliński. Dabei, lesen wir weiter, sei es nichts Ungewöhnliches, dass Politiker ihre ausländischen Verbündeten unterstützen. Immerhin habe Premierminister Mateusz Morawiecki im vergangenen Jahr die Kandidatur von Marine Le Pen für das Präsidentenamt in Frankreich unterstützt. Er sei dabei weit über Webers Äußerung hinausgegangen, der über den Aufbau einer "Firewall gegen die PiS" und gegen Populisten gesprochen habe. Morawiecki habe Le Pen in Warschau mit so vielen Ehren empfangen, als wäre sie bereits Präsidentin. Er habe sich mit ihr fotografiert, beraten und Bankette veranstaltet. Und Macron fälschlicherweise der Kollaboration mit Putin und des Wegsehens bei den von Russland begangenen Verbrechen in der Ukraine beschuldigt. "Würden Sie auch mit Hitler verhandeln?" habe er etwa gesagt. 

Für Morawiecki habe es dabei keine Rolle gespielt, dass Le Pen Geld von Putin geliehen, die Annexion der Krim unterstützt und die Ukraine als russischen Einflussbereich betrachtet habe. "Wir müssen uns nicht in allem einig sein", so Polens Regierungschef. Als Macron ihn beschuldigte, sich in den französischen Wahlkampf einzumischen, sei die Propaganda der PiS natürlich empört gewesen.

In der Sprache der PiS, so der Autor weiter, könne man sagen, dass Morawiecki nach der Machtübernahme in Frankreich gestrebt habe. “Wie würden wir wohl dastehen, wenn ihm das gelungen wäre und die pro-russische Le Pen die Wahlen in Frankreich gewonnen hätte?”, fragt Wieliński.

Wie würden wir dastehen, fährt der Publizist fort, wenn Donald Trump gewonnen hätte, ein weiterer von der PiS unterstützter Kandidat, der sich darauf vorbereitet habe, die NATO zu verlassen und Putin nach Kriegsausbruch als "klugen Kerl" bezeichnete? Man müsse daran erinnern, dass die von der PiS kontrollierten Medien 2020 die polnische Polonia dazu ermutigt haben, die richtige Wahl zu treffen...

Und da wir schon bei ausländischen Partnern seien - Premierminister Viktor Orbán habe in einem Interview mit der "Bild" erklärt, dass er Putin nicht als Kriegsverbrecher anerkennt und die Souveränität der Ukraine in Frage gestellt. Habe sich Morawiecki bereits über diese skandalösen Worte empört, fragt Bartosz Wieliński rhetorisch in seinem Kommentar für Gazeta Wyborcza.

Rzeczpospolita: KI wächst an der Weichsel

Und noch ein technologisches Thema. Polen habe das Potenzial, zu einem wichtigen globalen Spieler im Bereich der künstlichen Intelligenz zu werden, schreibt in ihrem heutigen Aufmacher die konservativ-liberale Rzeczpospolita. In Polen, so das Blatt, gebe es bereits über 100 Unternehmen, die auf künstlicher Intelligenz basierende Innovationen entwickeln, statt blind Technologien aus dem Ausland zu kopieren. Das zeige eine Karte polnischer Start-ups, die fortschrittliche Algorithmen entwickeln und das Potenzial haben, den globalen Markt durcheinanderzubringen, die soeben veröffentlicht worden sei. "Die Anzahl der KI-Start-ups in Polen nimmt stetig zu. Sie entwickeln insbesondere Lösungen für Marketing, Industrie und Gesundheitswesen", sagt Przemysław Chojecki, der Ersteller der Karte, Mathematikdoktor und Dozent an der Oxford University, eine der bekanntesten Persönlichkeiten in der KI-Branche.

Solche Personen gebe es an der Weichsel zur Genüge. Polen sei bekannt für talentierte Softwareingenieure und exzellente technische Ausbildung. Ingenieure polnischer Herkunft seien in fast jedem größeren Softwareunternehmen in Silicon Valley zu finden, und im Falle der KI-Branche könne man von einer gewissen Überrepräsentation sprechen. Zu den Schlüsselfiguren bei Marktführernj würden unter anderem: Jack Krawczyk (Chef von Google Bard), Szymon Sidor, Wojciech Zaremba, Łukasz Kaiser und Jakub Pachocki (alle von OpenAI), Tomasz Czajka (SpaceX) und Filip Wolski (derzeit für Investmentfonds in den USA tätig) gehören.

Aber es gebe immer noch wenige polnische KI-Unternehmen, die internationale Märkte erobern. Das bekannteste Start-up sei ElevenLabs, das sich mit dem Klonen und Generieren menschlicher Stimmen beschäftige (kürzlich hätten Investoren 19 Millionen Dollar investiert). Nennenswert sei auch Polens Unicorn-Kandidat CosmoseAI, das Bewegungsanalyse-Systeme für stationäre Geschäfte entwickele.

Warum spiele Polen nur in der "zweiten Liga" im KI-Bereich? Laut Chojecki, gehe es ums Geld. Es fehle an großen Investoren und an Kapital für solche innovativen Unternehmungen. Ein weiteres Problem sei die geringe Nachfrage nach diesen Technologien in polnischen Unternehmen. Dies führe zur Auswanderung von Talenten, ebenso wie die höheren Gehälter im Ausland. "Die zahlreichen Vorschriften von der DSGVO bis zum sogenannten AI Act helfen den Start-ups auch nicht. Diese übermäßige Regulierung ist ein Problem für die gesamte EU", betont Chojecki im Gespräch mit der Rzeczpospolita.

Autor: Adam de Nisau