Deutsche Redaktion

"Irrelevantes Referendum"

01.09.2023 12:01
In einer aktuellen Umfrage landen die im Referendum angesprochenen Themen auf den hintersten Plätzen. Trotzdem kann die Volksabstimmung der Opposition gefährlich werden, schreibt die Rzeczpospolita. Und: Hinter der Entscheidung der Regierungspartei, nur die Spitzenplätze auf den Wahllisten bekanntzugeben, steckt politisches Kalkül. Mehr zu diesen Themen in der Presseschau.
Marek Ast powiedział, że pytania referendalne są celnie sformułowane
Marek Ast powiedział, że pytania referendalne są celnie sformułowaneSchutterstock/Alexandru Nika

Rzeczpospolita: Irrelevantes Referendum

Die Regierungspartei PiS wirbt für das Referendum, das zusammen mit den Parlamentswahlen stattfinden soll, als Beweis dafür, dass sie den Bürgern in den wichtigsten Fragen Gehör schenken will. In Wirklichkeit will die Regierung die Wähler jednoch nicht um aktuelle und für sie wichtige Probleme fragen, da sie mit ihnen nicht zurechtgekommen ist, schreibt die konservativ-liberale Rzeczpospolita in ihrem Aufmacher unter Berufung auf eine aktuelle repräsentative Umfrage, deren Teilnehmer die für sie drängendsten Probleme benennen sollten. 

Die Idee für das Referendum, das zusammen mit den Parlamentswahlen durchgeführt werden soll, erinnert die Zeitung, sei in der Regierungskoalition entstanden, als die Europäische Kommission einen Mechanismus zur Umsiedlung von Flüchtlingen vorstellte. Die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) betrachtete die Vorschläge als "zwanghaft" und als von "EU-Bürokraten" aufgezwungen. In der Umfrage des Meinungsforschungsinstituts IBRiS für "Rzeczpospolita", sei das Flüchtlingsproblem in Bezug auf die Wichtigkeit von den 12 zur Auswahl stehenden sozialen Problemen, an letzter Stelle gelandet - 21,5 Prozent der Befragten hätten es genannt. Ähnlich sei es auch anderen in den Referendumsfragen enthaltenen Probleme ergangen: dem Rentenalter (25,5 Prozent) und dem Verkauf von nationalem Eigentum an ausländische Einheiten (26,2 Prozent). Als die wichtigsten Probleme hätten die Befragten das Gesundheitssystem (77,8 Prozent), die Inflation (62,7 Prozent) und die Sicherheit im Kontext des Kriegs in der Ukraine (62 Prozent) genannt. 

Es gehe also vor allem um die Mobilisierung der eigenen Wählerschaft, urteilt der Politikwissenschaftler, Prof. Rafał Chwedoruk. "In Anbetracht dessen, dass diese Amtszeit für die PiS nicht gelungen ist und die Umfragewerte dieser Partei niedriger sind als bei den letzten Wahlen, sieht man, dass Fragen zu aktuellen Problemen ein enormes Risiko für die Regierenden darstellen würden", analysiert Prof. Chwedoruk. "Der Zweck ist daher die Mobilisierung und nicht das Referendum selbst, was dessen Sinn widerspricht. Es handelt sich um eine einfache Instrumentalisierung, und das Ausmaß der Entfremdung der Regierung von aktuellen Problemen ist bemerkenswert", so der Politikwissenschaftler. 

Rzeczpospolita: Die PiS hört nicht auf das Volk

Die Tatsache, dass drei der Referendumsfragen auf den letzten drei Plätzen der Zusammenstellung rangieren und die Frage zur Grenzbarriere auf Platz sechs, während sich die Polen vor allem um den Zugang zum Gesundheitswesen, Sicherheit im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine und Rechtsstaatlichkeit sorgen, zeige deutlich, dass das Hauptziel des Referendums darin bestehe, den Wahlkampf auf Oppositionsführer Donald Tusk zu konzentrieren und nicht darauf, was für die Polen wirklich wichtig ist, schreibt in seiner Stellungnahme zur Umfrage der Publizist der Rzeczpospolita, Michał Szułdrzyński.  

Es, so der Autor, sei bemerkenswert, wie unterschiedlich die Prioritäten der Regierungsanhänger und der Oppositionsunterstützer sind, mit Ausnahme der Bedeutung des Gesundheitswesens. Dies zeige die Polarisation, die von den beiden größten Parteien geschürt werde. Interessant sei auch, dass das Thema der Umsiedlung von Migranten, welches die PiS zur Idee eines Referendums inspiriert habe, das geringste Interesse unter den vorgestellten Themen weckt. Selbst die PiS-Wähler würden es als am wenigsten wichtig ansehen. Dies zeige, wie riskant diese Idee gewesen sei. Die Hinzufügung von drei weiteren Fragen, so der Autor, sollte die PiS vor einem Gesichtsverlust bewahren. Ebenso wie die Einberufung des sogenannten "Lex Tusk"-Ausschusses in der letzten Sitzung des Sejm, nur um den Wählern nicht zu verraten, dass man diesen unklugen Vorschlag nicht umsetzen möchte.

Trotzdem sei das Referendum eine Falle für die Opposition. Denn auch wenn diese Themen nicht am wichtigsten seien, wolle die Mehrheit der Polen nicht, dass das Rentenalter erhöht oder dass das nationale Vermögen verkauft wird. Der Hauptzweck der Referendums-Kampagne werde es sein, die Polen mit einem Sieg von Tusk zu erschrecken. Das Ziel sei klar: die Wahl zu beeinflussen, die am selben Tag wie das Referendum stattfinden werde, so Michał Szułdrzyński in der Rzeczpospolita. 

Gazeta Wyborcza: Wieso hat die PiS nur die Spitzenkandidaten bekanntgegeben?

Gestern hat die Regierungspartei PiS die Spitzenkandidaten ihrer Wahllisten bekanntgegeben. Aber wieso eigentlich nur die Spitzenkandidaten und nicht die ganzen Listen? Die Veröffentlichung der vollständigen Listen hätte in der Vereinigten Rechten Unzufriedenheit auslösen können, schreibt die Publizistin der linksliberalen Gazeta Wyborcza, Dominika Wielowieyska. Kaczyński, so die Autorin, habe sich mit der Bekanntgabe der vollständigen Kandidatenliste zurückgehalten, bis die Abstimmungen im Sejm am 30. August abgeschlossen gewesen seien. Denn hätte er sie früher preisgegeben, hätte er die Mehrheit verlieren können, da viele ausgeschlossene Abgeordnete oder jene, die aussichtslose Plätze erhalten hätten, rebellieren könnten. Nach dem 6. September, dem letzten Tag für die endgültige Registrierung der Listen, fährt die Autorin fort, seien keine Umzüge zu anderen Wahlkomitees mehr möglich. Kaczyński werde dann versuchen, die Verärgerten im Regierungslager zu besänftigen - selbst wenn sie nicht im Sejm landen würden, werde die Partei sicherstellen, dass sie bei den Kommunalwahlen im nächsten Jahr einen Platz finden. Es sei ein komplexes Spiel, aber der PiS-Vorsitzende habe gewusst, dass enttäuschte Mitglieder den Wahlkampf in den Regionen torpedieren könnten. Die Stimmung müsse also beruhigt und alle zur Arbeit in den Wahlbezirken mobilisiert werden.

Aber Kaczyński, so die Publizistin, habe noch einen Trumpf im Ärmel behalten. Bis Mitternacht am 6. September könne sich niemand seines Platzes sicher sein, da die Parteiführung angekündigt habe, dass der PiS-Vorsitzende das Recht behalte, eigenständig Änderungen an den Listen vorzunehmen, selbst in letzter Minute. Solche Fälle seien in der Vergangenheit bereits vorgekommen, erinnert Dominika Wielowieyska in der Gazeta Wyborcza. 

Autor: Adam de Nisau