Deutsche Redaktion

"Trotz acht Jahren an der Macht keine adäquate Migrationsstrategie"

20.09.2023 14:06
Bei der Migrationspolitik würden einige Länder ihre Grenzen weitgehend öffnen, während andere metaphorische Festungen errichten. Doch die rechtskonservative Regierungspartei habe die ungünstigsten Aspekte beider Modelle übernommen, und das ohne konkreten Plan, schreibt Dziennik/Gazeta Prawna. Außerdem: Im Getreidekonflikt gehen Warschau und Kiew auf Konfrontationskurs. Und: Die Lebenshaltungskosten für Studenten sind drastisch gestiegen. Die Einzelheiten in der Presseschau.
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Bild:shutterstock.com/Tolga Sezgin

Dziennik/Gazeta Prawna: Potenziell jahrzehntelange Folgen der unverantwortlichen polnischen Migrationspolitik

Die Visa-Affäre, die einen Monat vor den Wahlen völlig unerwartet zum Wahlkampfthema Nummer eins geworden sei, sei nur Teil eines größeren Bildes, schreibt Michał Potocki im Wirtschaftsblatt Dziennik/Gazeta Prawna. Weltweit, so der Autor, würden unterschiedliche Ansätze zur Migrationspolitik existieren: während einige Länder ihre Grenzen weitgehend öffnen würden, würden andere metaphorische Festungen errichten. Der Autor ist der Ansicht, dass die rechtskonservative Regierungspartei die ungünstigsten Aspekte beider Modelle übernommen hat, und das ohne konkreten Plan.

Trotz acht Jahren an der Macht, lesen wir weiter, scheine die Regierung keine adäquate Migrationsstrategie für ein Land festgelegt zu haben, das seit Jahren die meisten Aufenthaltsgenehmigungen in der Europäischen Union erteile. Potocki warnt, dass diese rücksichtslose Haltung Polen möglicherweise für Jahrzehnte belasten könnte.

Polen, so der Autor weiter, habe immer noch keine klare Vision davon, welche Migranten es anlocken möchte und unter welchen Bedingungen. Obwohl das Land als Zufluchtsort für Ukrainer, die vor Kriegen fliehen, und Weißrussen, die der Repression und wirtschaftlichen Instabilität entkommen wollen, diene, würden seine Legalisierungsgesetze die liberalsten in Europa bleiben. Darüber hinaus locke Polen Migranten aus anderen Weltregionen durch große Unternehmen an, ohne jedoch klare Integrationspläne zu haben, einschließlich Sprachunterricht und Bildungspläne für ihre Kinder, merkt Potocki an.

Die Unsicherheit erstrecke sich auch darauf, ob diese Migranten beabsichtigen, in Polen dauerhaft zu bleiben, Familien zu gründen oder nach Vertragserfüllung in ihre Heimatländer zurückzukehren. Zusätzlich kompliziert werde die Lage durch die Tatsache, dass man polnische Visa offenbar kaufen konnte. Diejenigen, die sich so den Zugang zur EU erkauft hätten, hätten das begrüßt, während andere, die die Mittelsmänner von Alexander Lukaschenko bezahlt hätten, seien in den weißrussischen Sumpf zurückgedrängt worden.

Welche Meinung die polnischen Grenzschutzbeamten, die an der belarussischen Grenze dienen, zu dieser gesamten Angelegenheit wohl hätten? Schließlich habe die Regierung ihnen einen kontinuierlichen Ausnahmezustand serviert, ohne offiziell einen auszurufen.

Geht es nach dem Autor, stehe die herrschende PiS-Partei vor einem Wertekonflikt zwischen der Sicherheit des Landes und der Einhaltung internationaler Gesetze. Leider tendiere die Partei dazu, rechtliche Bedenken zu ignorieren und stattdessen moralischen Druck auszuüben. In der PiS-Narrative wird jeder, der den Grenzschutz in Frage stellt, als Freund von Putin und Lukaschenko angesehen, so Potocki in Dziennik/Gazeta Prawna.


Wprost: Getreidekonflikt - Ukraine und Polen auf Konfrontationskurs

Die Flitterwochen in den polnisch-ukrainischen Beziehungen seien ebenso vorbei wie die große Freundschaft zwischen Polens Präsident Andrzej Duda und Ukraines Wolodymyr Selenskyj, schreibt indes Jakub Mielnik für das Nachrichtenportal des Wochenblatts Wprost. Die Ukrainer befürchten, dass, sollte die regierende Partei Recht und Gerechtigkeit an der Macht bleiben, sie stärker mit den anti-ukrainischen Hardlinern der extremen Rechten rechnen müsste. Ein Sieg der Opposition könnte in den Augen Kiews eine Hinwendung Polens zur deutschen Russlandpolitik signalisieren, so Mielnik.

Laut dem Autor wurde die Nachricht, dass die Ukraine Polen wegen der Blockade ihres Getreides bei der Welthandelsorganisation (WTO) verklagen will, in Polen fast als Kriegserklärung wahrgenommen. Kritik mische sich mit dem zufriedenen Schnaufen prorussischer Trolle und Nationalisten, die gebenüber allem, was ukrainisch sei, feindlich eingestellt seien.

Trotz der erhitzten Rhetorik, so der Autor weiter, bleibe der tatsächliche Handlungsspielraum Polens begrenzt. Die Ukraine habe sich an die WTO gewandt, weil sie glaube, gute Chancen auf einen Sieg zu haben, da die Handelspolitik der EU von der Europäischen Kommission und nicht von den einzelnen Mitgliedstaaten bestimmt werde. Mielnik hält es für unwahrscheinlich, dass Polen als Vergeltung den Fluss von Militärgütern in die Ukraine einschränken wird, obwohl einige Hardliner dies vorschlagen. Eine solche Entscheidung wäre nach seiner Einschätzung töricht und katastrophal. Dennoch, inmitten des Wahlkampfs, bei dem offenbar alle Mittel erlaubt seien, könne ein solches Szenario nicht völlig ausgeschlossen werden, so Jakub Mielnik in Wprost.

Forsal: Drastischer Anstieg der Lebenshaltungskosten für Studenten

Im kommenden Studienjahr werden polnische Studenten voraussichtlich fast 866 EUR monatlich für ihren Lebensunterhalt benötigen, ein Betrag, der doppelt so hoch ist wie noch vor fünf Jahren, wie Forsal unter Berufung auf den „Studentenportfolio 2023“-Bericht der Polnischen Bankenvereinigung berichtet. Eine überwiegende Mehrheit der Studenten fühle sich nun gezwungen, zusätzliche Einkommensquellen zu finden; dabei bewerten 43 Prozent ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt als schlecht oder sehr schlecht.

Studiengebühren, Mieten und Lebensmittel, lesen wir, seien erheblich teurer geworden. Studenten würden sich mit Rekord-Mieten und Gebühren für Wohnheime konfrontiert sehen, was selbst Vollzeitstudenten dazu veranlasse, Nebenjobs anzunehmen. Viele würden gelegentliche Beschäftigungen suchen, während andere festangestellte Positionen für Nachmittage und Wochenenden in Erwägung ziehen. Angesichts dieser Entwicklung werde die traditionelle Suche nach Wohnheimplätzen im September von einer Jobmesse für Studenten begleitet, auch wenn die Anzahl der verfügbaren Stellen durch die anhaltende Rezession in den letzten zwei Quartalen stark zurückgegangen sei.

Gemäß dem Bericht habe fast jeder fünfte befragte Student zugegeben, einen Studienabbruch aus finanziellen Gründen in Betracht gezogen zu haben. Elf Prozent würden darüber nachdenken, ihr Studium gänzlich zu beenden, während weitere fünf Prozent eine temporäre Beurlaubung erwägen. Forsal merkt an, dass der Anstieg der Lebenshaltungskosten für Studenten in diesem Jahr sogar die dynamische Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns in Polen übertreffen könnte.

Zur Stabilisierung der studentischen Situation und zur Eindämmung der steigenden Kosten könnten verschiedene Maßnahmen beitragen. Dazu gehören ein Rückgang der ukrainischen Bevölkerung in Polen, entweder durch Rückkehr in ihr Heimatland oder durch Abwanderung in den Westen, sowie die Implementierung eines geplanten Regierungsgesetzes zur Förderung sicherer Wohnkredite. Eine Verschärfung der demografischen Krise könnte ebenfalls helfen, wie Forsal abschließend bemerkt, da eine erhöhte Anzahl von Todesfällen gegenüber Geburten die Zahl der leerstehenden Wohnungen erhöhen und somit die Wohnkosten senken könnte.

Autor: Piotr Siemiński