Deutsche Redaktion

Oppositionsmarsch und PiS-Parteitag - Zwei Ereignisse, die polarisieren

03.10.2023 15:20
Nach einem politisch ereignisreichen Wochenende wird noch immer heftig über die Wirkungskraft der beiden Großereignisse gesprochen. Inwieweit können sie die Wählerschaft beeinflussen? Und welches Ereignis wiegt mehr? Der PiS-Parteitag in Katowice oder der "Marsch der Millionen Herzen" der Opposition? Einen vergleichenden Überblick gibt die heutige Presseschau. 
Der von der Brgerkoalition organisierte Marsch der Millionen Herzen
Der von der Bürgerkoalition organisierte "Marsch der Millionen Herzen"Fot. PAP/Paweł Supernak

DO RZECZY: Politisches Panorama 

Ein politisch heißes Wochenende liegt hinter uns. Einerseits waren die Polen Zeugen eines von der Bürgerkoalition organisierten Marsches und andererseits eines großen PiS-Parteitags in Katowice. Welche Auswirkungen können diese Ereignisse haben und welches dieser Ereignisse könnten sich als wirksamer erweisen, fragt die Wochenzeitschrift Do Rzeczy den Politikwissenschaftler, Professor Rafał Chwedoruk. Seine Antwort: Alle politischen Ereignisse würden sich zwei bis drei Wochen nach ihrem Auftreten in den Umfragen widerspiegeln. Kurz gesagt: man werde die Auswirkungen entweder nicht sehen, oder man werde sie in den Wahlergebnissen selbst sehen. Hinzu komme die Situation, dass in Polen ein sehr stabiles Parteiensystem herrsche, eines der stabilsten in Europa, wenn es um Mehrparteiensysteme gehe. Tatsächlich werde das Wahlspiel für eine eher kleine Gruppe von Wählern gespielt und hänge eher mit dem Mobilisierungspotenzial der großen Parteien und der Möglichkeit zusammen, dieses zu nutzen. In den letzten etwa zwölf Tagen habe sich die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit sehr deutlich auf den internen Kontexten konzentriert, um die Kernwählerschaft zu mobilisieren, weshalb sozioökonomische Themen in den Hintergrund gerückt seien. 

Im Fall der Bürgerplattform könne man von einem leicht umgekehrten Prozess sprechen, führt der Politikwissenschaftler fort. Man sehe einen eher milden Ton der Reden, den unangekündigten Auftritt von Künstlern und den konfliktfreien Kontakt mit der Linken. Dies zeige, dass die PO diejenigen Wähler ins Visier genommen habe, die der Opposition nahe stehen und noch nicht ausreichend mobilisiert seien. Zuallererst die Jugend, aber auch ein Teil der Frauen, vor allem im jungen und mittleren Alter, die weniger mit der Politik zu tun hätten. Dies sei ein klarer Unterschied. 

Wie würden sich andere Formationen in den letzten Wochen schlagen, fragt das Blatt weiter. Man habe den Eindruck, dass sie in den letzten Wochen durch das PO-PiS-Duopol an den Rand gedrängt worden seien. Dies sei ein permanentes Bild polnischer Wahlkämpfe seit 2005. Die Linke wirke dabei am stabilsten, und ihre programmatische Abgrenzung zur PO erwies sich zumindest in den letzten Wochen des Wahlkampfs als recht effektiv. 

Der größte Verlierer der letzten Wochen sei die Konföderation, ihr Ergebnis werde ein Rätsel bleiben, bis die meisten Wahlprotokolle vorliegen werden. Die Verschärfung der Rhetorik durch die Regierungspartei habe der erzkonservativen Gruppierung wohl nicht gedient, sagt Professor Rafał Chwedoruk in Do Rzeczy. 

 

SUPER EXPERSS: Marsch effizienter als Parteitag? 

Donald Tusk habe nicht nur den Marsch am Sonntag geleitet, sondern auch zum Publikum gesprochen. Zeitgleich mit dem Eine-Million-Herzen-Marsch habe in Katowice ein PiS-Kongress stattgefunden. Der Soziologe und Direktor des Instituts für Philosophie und Soziologie der Polnischen Akademie der Wissenschaften, Prof. Andrzej Rychard verglich in der Tageszeitung Super Express beide Veranstaltungen.

Wenn es darum gehe, Emotionen zu wecken und sich auf Unentschlossene zu richten, habe ein Marsch möglicherweise eine größere Reichweite. Es sei ein Marsch mit viel mehr Hoffnung gewesen - ein Versuch, neue Menschen anzulocken. Da sei viel gelächelt worden. Der PiS-Parteitag sei wiederum wie gewohnt verlaufen, mit einer effizienten Rede des Vorsitzenden, aber es habe viel weniger Spontaneität gegeben. Zusammenfassend passe der oppositionelle Marsch besser in die Logik dieser Wahlkampfperiode, sagte der Soziologe im Blatt Super Express. 

 

DZIENNIK/GAZETA PRAWNA: Der Westen verstehe Putin nicht 

In einem ausführlichen Bericht analysierte die Washingtoner Denkfabrik die Ereignisse von 2014 bis 2021, also von der Annexion der Krim durch Russland und der Anstiftung zum Aufstand im Donbas durch den Kreml bis zu dem „Ultimatum“, das dem Westen kurz vor der Invasion auf die Ukraine vorgelegt wurde. ISW betonte, dass Moskau das Vorgehen der Behörden in Kiew nie als Bedrohung seiner eigenen Sicherheit empfunden habe und alle derartigen Aussagen lediglich propagandistische Rechtfertigungen für künftige Aggressionen seien, lesen wir in der Tageszeitung Dziennik/Gazeta Prawna.

Nach Angaben des Zentrums wollte Putin mit der Entscheidung, das Nachbarland anzugreifen, zwei Ziele erreichen: die tatsächliche Kontrolle über die Ukraine zu erlangen sowie interne Spaltungen in der NATO und sogar den Zusammenbruch dieser Organisation herbeizuführen. Die Berechnungen des Kremls über die Schwäche des Westens und seine Unfähigkeit, Kiew nennenswert zu unterstützen, hätten sich jedoch als völlig falsch erwiesen. 

Die von einigen westlichen Beobachtern wiederholten Behauptungen, die Gegenoffensive der Ukrainer befinde sich in einer Sackgasse und der Konflikt könne mit diplomatischen Methoden beendet werden, seien zutiefst falsch; Wladimir Putin betrachte jeden Kompromiss als Kapitulation, und die Kapitulation ermutige ihn zu weiterer Aggression, schreibt das Blatt. 

Die Idee, Putin eine Chance zu geben, sein Gesicht zu wahren, ignoriere völlig die Lehren der letzten neun Jahre. Ein dauerhaftes Ende des Krieges erfordere, Putin zu zwingen, eine Niederlage hinzunehmen. Sonst wäre eine mögliche nächste Wiederholung der russischen Aggression gegen die Ukraine ein Krieg noch größeren Ausmaßes, was eine noch größere Bedrohung für Kiew und den Westen darstellen würde, lautet das Fazit in Dziennik/Gazeta Prawna.

Jakub Kukla