Deutsche Redaktion

"Die Angst vor Migranten tötet den Schengen-Raum"

04.10.2023 12:33
Ist der europäische Traum über Reisefreiheit geplatzt? An der Weichsel beginnt die schmutzigste Phase des Wahlkampfs. Und: Ist eine größere EU notwendigerweise auch eine EU mehrerer Geschwindigkeiten? Die Einzelheiten in der Presseschau.
Tysiące migrantów docierają do Europy każdego dnia przez Morze Śródziemne
Tysiące migrantów docierają do Europy każdego dnia przez Morze Śródziemneshutterstock/Melih Cevdet Teksen

Rzeczpospolita: Die Angst vor Migranten tötet den Schengen-Raum

Das Problem der illegalen Migration aus dem Nahen Osten und Afrika nehme in Europa deutlich zu, nicht nur als Treibstoff für den nächsten Wahlkampf, sondern auch in der Realität, schreibt die konservativ-liberale Rzeczpospolita. Die Professionalisierung des Menschenschmuggels, so das Blatt, scheine dabei ein wichtiger Faktor zu sein. Frontex, Europas Grenzschutzbehörde, sei dem nicht gewachsen. Anstelle von Einzellösungen der EU-Länder sei daher eine gemeinsame europäische Politik erforderlich. Dazu, lesen wir, gehöre eine vorübergehende Reduzierung des Schengen-Systems und die Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen der EU-Länder. Polen und Tschechien hätten bereits Kontrollen an der Grenze zur Slowakei eingeführt, um den Menschenschmuggel über die Balkanroute zu verhindern. Auch Deutschland habe sich für stichprobenartige Kontrollen entschieden.

Die große Mehrheit der Polen bewerte die Wiedereinführung von Grenzkontrollen als gut. “Ist dies das Ergebnis von wachsender Panik und Fremdenfeindlichkeit in Europa? Oder im Gegenteil: das Ergebnis einer realistischen Einschätzung der Bedrohungen”, fragt in seinem Kommentar der Chefredakteur des Blatts, Bogusław Chrabota.

Könnte dies das langsame Ende des Systems der offenen europäischen Grenzen sein? Wenn ja, so der Autor, könnte dies für Polen das symbolische Ende des europäischen Traums bedeuten. Denn schließlich sei die Reisefreiheit eine der am meisten geschätzten Errungenschaften der Integration gewesen. Daher hätten ihn persönlich die jüngsten Umfrageergebnisse in Bezug auf Grenzkontrollen auch überrascht.

Eines sei sicher. Die Angst vor Migranten gebe Populisten den besten Treibstoff für den Kampf um die Macht. Diese Maschine sei schwer zu stoppen. Sie rase in eine Richtung und hinterlasse Opfer in ihrem Kielwasser. Deshalb sollte man den Politikern zurufen, vorsichtig mit ihren Worten und noch vorsichtiger mit ihren Taten zu sein. Auch wenn die Chancen, dass sie zuhören, nur sehr gering seien, so Bogusław Chrabota Fazit in der Rzeczpospolita.

Dziennik/Gazeta Prawna: Die schmutzigste Etappe des Wahlkampfs

Das Finale des Wahlkampfs in Polen werde wahrscheinlich keine neuen Programmvorschläge bringen. Polen trete jetzt in die schmutzigste Phase des Wahlkampfes ein, in der es um die unentschlossenen und nicht mobilisierten Wähler gehen werde, urteilt Dziennik/Gazeta Prawna. Der Beweis seien die Ereignisse vom vergangenen Sonntag, als die Opposition durch Warschau marschierte und die Regierungspartei PiS sich zum Parteitag in Kattowitz versammelte. Bei beiden Veranstaltungen habe es keinen Hauch von Frische gegeben, lesen wir. Um Programme habe sich kaum jemand gekümmert. Denn jetzt gehe es nur noch darum, an der Botschaft der Parteien an ihre Wähler zu feilen und ihre Emotionen zu steuern.

Nach dem politischen Superwochenende nehme auch die Zahl der unentschlossenen Wähler ab. Gleichzeitig steige die Unterstützung für fast alle Gruppierungen. Laut der neuesten Umfrage für das Blatt, bleibe die Bürgerkoalition der Regierungspartei PiS dicht auf den Fersen. Auch die Wahlbeteiligung dürfte ein Rekordhoch erreichen. Der Grund: Für viele Wähler könnte dies die letzte Wahl vor dem vollständigen Zusammenbruch eines Systems sein, das man als demokratisch bezeichnen könnte, so das Blatt. Danach werde das System wahrscheinlich so umgestaltet, dass die faktische Wahlbeteiligung unter den Anhängern verschiedener Parteien künftig so gering wie möglich ausfällt. Auch auf Seiten der Regierenden gebe es eine spürbare Mobilisierung. Denn wenn die PiS verliere, werde dies eine starke Korrektur einer bestimmten Vorstellung der Beziehung zwischen Politik und Gesellschaft nach sich ziehen, so Dziennik Gazeta Prawna.


Dziennik/Gazeta Prawna: Berlin und Paris diskutieren über die Reform und Teilung der EU

Während Kiew versuche, die Brüsseler Richtlinien umzusetzen, die für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen notwendig seien, beginne die EU, allgemeine Reformen zu diskutieren, lesen wir ebenfalls in Dziennik/Gazeta Prawna. Diese sollten nach Ansicht der größten Akteure der EU die Aufnahme weiterer Länder erleichtern. Auch wenn es sich erst um die Anfangsphase dieser Diskussion handle, so das Blatt, würden die von Paris und Berlin vorgeschlagenen Lösungen bereits die wichtigsten Ziele zeigen.

Vor allem gehe es darum, den Entscheidungsprozess zu beschleunigen. Aber auch die Idee einer Union der verschiedenen Geschwindigkeiten, die angesichts der russischen Aggression begraben schien, werde wieder ernsthaft diskutiert, beobachtet das Blatt. Die Ukraine habe indes deutlich gemacht, dass sie sich nicht mit einer Mitgliedschaft zweiter Klasse begnügen werde. Kiew wolle ein Vollmitglied werden.

Geht es nach dem Blatt, würden Deutschland und Frankreich, die der Aufnahme neuer Länder in die EU zunächst skeptisch gegenüberstanden, die aktuellen geopolitischen Umstände nutzen, um die Debatte über die Abschaffung des Vetorechts und die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit zu beschleunigen. Eine weitere Idee sei, dass ein Beitrittskandidat schneller EU-Gelder erhält, aber nicht unbedingt die Mitgliedschaft selbst.

Diese vorgefertigten Reformvorschläge von Berlin und Paris könnten zwar tatsächlich die Erweiterung der EU beschleunigen, die Gemeinschaft aber gleichzeitig in eine Union mehrerer Geschwindigkeiten aufteilen, so Dziennik/Gazeta Prawna.

Autor: Piotr Siemiński