Deutsche Redaktion

PiS vs. PO: "Kollision zweier fundamental unterschiedlicher Visionen Polens"

06.10.2023 14:25
Marek Tejchmann beklagt in einer ausführlichen Analyse die "Leere" und Ineffektivität der Politik der Regierungspartei. Die nationalkonservative Gazeta Polska Codziennie setzt ihre Charge gegen PO-Chef Donald Tusk fort. Der Europaabgeordnete der PiS Zdzisław Krasnodębski sieht hinter Polarisierung eine Kollision zweier fundamental unterschiedlicher Visionen Polens. Und Sicherheitsexperte Witold Sokała warnt vor einem Modell der Souveränität aus dem 19. Jahrhundert. Die Einzelheiten in der Presseschau.
Jarosław Kaczyński i Donald Tusk
Jarosław Kaczyński i Donald Tusk Fotophoto/Shutterstock.com; Twitter.com/@KlubyGP

Dziennik/Gazeta Prawna: Die Leere der PiS-Politik 

Im Leitartikel zur Wochenendausgabe des Wirtschaftsblatts Dziennik/Gazeta Prawna übt Publizist Marek Tejchmann scharfe Kritik an der anti-deutschen und anti-EU-Politik der Regierungspartei PiS. Wir, so der Autor, hätten nun acht Jahre Gerede hinter uns, dass Deutschland schlecht ist, dass es seine Gefolgsleute bei uns installieren will, dass Brüssel tanzt, wie Berlin es will. In dieser Erzählung der Regierenden seien wir von den Deutschen umzingelt, die auf der einen Seite hinterhältig und auf der anderen Seite erbärmlich seien. Die EU und Deutschland, so der Tenor, hätten sich gegen uns verschworen, könnten aber gleichzeitig ihre eigenen Probleme nicht lösen.

Und im Hintergrund dieses politischen Theaters, lesen wir weiter, sei die Realität. Diese sehe so aus, dass wir in einer wirtschaftlichen Symbiose mit Deutschland leben, einem Giganten, den einige Experten wieder als den "kranken Mann Europas" bezeichnen. Der Wandel der Globalisierung, der Krieg im Osten und die technologische Revolution würden bedeuten, dass das deutsche und das europäische Entwicklungsmodell in Frage gestellt werden. Dies führe auch zu Diskussionen darüber, wie der zukünftige Mechanismus des Wirtschaftswachstums auf dem Kontinent aussehen sollte. Und das sei auch für Polen eine Diskussion von kardinaler Bedeutung, denn in naher Zukunft gebe es keine Alternative für die Wirtschaftsbeziehungen mit Deutschland und der EU. 

Und sie ziehe schwierige Entscheidungen nach sich, wie zum Beispiel die Festlegung unserer Haltung zu Wettbewerbsregeln und staatlichen Beihilfen. Wollen wir zustimmen, dass paneuropäische Champions entstehen, die weltweit konkurrieren, aber gleichzeitig den Kontinent dominieren? Wollen wir unsere Produzenten schützen und höhere Preise für Verbraucher in Kauf nehmen? Werden wir die Entwicklung bestimmter Arten erneuerbarer Energien einschränken und andere fördern, auch wenn nur die polnische Landschaft davon profitiert, aber die Wirtschaft als ganzes verliert? Auf was wollen wir unseren Export stützen und welche Bildungs- und Migrationspolitiken wollen wir verfolgen? “Wir”, so der Autor, “können nicht alle Ziele gleichzeitig erreichen und nicht alle alleine verfolgen. Wir wollen ein modernes, effizientes und reiches Land sein, aber die Wahl des Weges wird definieren, welche Gruppen in Polen profitieren werden. Sie wird auch definieren, wer, wo und in welchem Ausmaß unser Verbündeter ist. Deutschland und Europa sind gleichzeitig unser Partner, Freund, Rivale, Konkurrent und Feind. Unsere Beziehungen sind und bleiben komplex, schwierig und vielschichtig”, betont Tejchmann. Und über unsere Souveränität würden nicht theatralische Gesten, sondern konkrete Taten entscheiden.

Klar, Deutschland versuche, seine Interessen in Bezug auf uns und andere EU-Länder durchzusetzen. Berlin wolle gute Arbeitsplätze und die Gewinne internationaler Konzerne. Deutschland wolle Macht, Geld und Erfolg – und es strebe danach. Anstatt unsere Kleider zu zerreißen, sollten wir dasselbe tun, anstatt unsere Partner zu ideologisieren und mythologisieren. Die gleichen Grünen, die uns in Bezug auf Russland verbinden, würden Feinde im Bereich der Kernenergie sein. Die gleichen christdemokratischen Parteien könnten die gleichen EU-Subventionen wie wir wollen, aber eine andere Migrationspolitik verfolgen.

Die letzten acht Jahre Streit, Gerede, Klagen, so der Autor weiter, hätten uns nichts gebracht. Wir seien nicht in der Lage, Verbündete zu organisieren. Oder das Embargo gegen ukrainisches Getreide aufrechtzuerhalten. Wir können kein Geld aus dem Nationalen Wiederaufbauplan bekommen. Wir sind nicht einmal in der Lage, EU-Mittel ohne Abzug von Strafen zu nutzen. Die Macht der PiS erinnere an den Sozialismus aus einem PRL-Witz: Sie löse mühsam Probleme, die sie selbst geschaffen habe.

Am Anfang der ersten Amtszeit, im Jahr 2016, habe Jarosław Kaczyński in einem Interview mit „Rzeczpospolita“ Arbeiten an den EU-Verträgen angekündigt, die dazu beitragen sollten, die Interessen Polens besser zu schützen und der EU einen Neuanfang zu ermöglichen. Damals schien es, als ob dies eine auf Ergebnisse ausgerichtete politische Ankündigung sei. Es stellte sich jedoch heraus, dass dies leere Worte waren und keine greifbaren Ergebnisse erbracht haben. Genau wie die gesamte Politik der PiS in Europa in den folgenden Jahren, so Marek Tejchmann in Dziennik/Gazeta Prawna.

Gazeta Polska Codziennie: Bürgerplattform-Chef Tusk lügt in Bezug auf polnisch-russische Zusammenarbeit

Die nationalkonservative Gazeta Polska Codziennie setzt in ihrem heutigen Aufmacher den Angriff auf Bürgerplattformchef Donald Tusk fort und wirft dem Ex-Premierminister vor, in Bezug auf die Zusammenarbeit des polnischen und russischen Geheimdienstes 2013 zu lügen. In der letzten Folge des TV-Dokus “Reset” hatten die Autoren der Serie der Regierung PO-PSL vorgeworfen, 2013 die Zusammenarbeit des polnischen Militärgeheimdienstes und des russischen FSB abgesegnet und damit gegen NATO-Verträge verstoßen zu haben. Wie das Blatt schreibt, sei die polnische Seite laut dem Abkommen verpflichtet gewesen, die Russen über ihre NATO-Verbündeten zu informieren. Die Behauptung Tusks, dass Präsident Lech Kaczyński 2008 ein "identisches Dokument" ratifiziert habe sei eine Lüge, lesen wir. Das Abkommen von 2008 habe ganz andere Angelegenheiten betroffen und sei eine Vereinbarung zwischen den Regierungen, nicht den Geheimdiensten gewesen.

"Donald Tusk lügt einfach, er erfindet verschiedene Dinge. Er sagte kürzlich, er habe das Dokument unterzeichnet, um den polnischen Truppen in Afghanistan die Möglichkeit zu geben, sich über das Territorium der Russischen Föderation zurückzuziehen. Das Abkommen zwischen SKW und FSB war de facto eine Unterordnung der polnischen Dienste unter die russischen Dienste. Dies hätte zu einer Krise der Präsenz Polens in der NATO führen können. Die Folgen wären tragisch gewesen, da die Möglichkeit der Präsenz amerikanischer und NATO-Truppen in unserem Land blockiert worden wäre. Das wären die realen Konsequenzen dieser Aktionen gewesen", sagt im Interview mit dem Blatt der ehemalige Verteidigungsminister und PiS-Politiker Antoni Macierewicz. "Dieses Dokument setzte direkt die Abhängigkeit Polens von Russland fort, genau wie damals, als Polen vom Sowjetunion abhängig war. Die Russen haben das nicht einmal versteckt. Die Menschen, die für diesen Zustand verantwortlich sind, sollten vor Gericht gestellt und bestraft werden", fügt Macierewicz hinzu. Es sei ein Skandal, dass die Gerichte seine Klage bei der Staatsanwaltschaft in Bezug auf den Vertrag von 2017 bis heute nicht bearbeitet haben, so der ehemalige Verteidigungsminister.

Dziennik/Gazeta Prawna: Wir müssen uns nicht von anderen abhängig machen

Der öffentliche Diskurs sei tatsächlich degradiert. Er sei kein Optimist, dass sich die Situation verbessere. Aber gleichzeitig sei in den Ausrufen bei politischen Kundgebungen und den Angriffen auf Donald Tusk ein wichtiger Inhalt enthalten, sagt im Interview mit Dziennik/Gazeta Prawna der Europaabgeordnete der Regierungspartei PiS, Zdzisław Krasnodębski. Das Problem mit Donald Tusk, so Krasnodębski, sei, dass er ein Politiker bleibe, der der deutschen Denkweise sehr nahe stehe. Keiner der polnischen Premierminister nach 1989, einschließlich der postkommunistischen, sei so offensichtlich ein Anhänger der deutschen Vision von Mittel- und Osteuropa gewesen. Die Politik der Bürgerplattform (PO) habe darin bestanden, "am Tisch zu sitzen", während sie die Überlegenheit derjenigen anerkannt habe, die uns zu diesem "Tisch" zugelassen haben. Die PO-Abgeordneten unterstützen alle strategischen Ziele der Europäischen Volkspartei, einschließlich der derzeit vorbereiteten Resolution zur Einberufung eines Konvents und zur Änderung der Verträge, die für uns äußerst nachteilig sei. Das ist die Politik eines Satellitenstaates, so der PiS-Politiker.

Das Wichtigste sei jedoch, dass jetzt zwei Visionen von Polen aufeinanderprallen. In der Vision des PO-Vorsitzenden sei die Entwicklung dank der Freundlichkeit der Bundesrepublik Deutschland möglich, und wir sollten diese Freundlichkeit mit Dankbarkeit erwidern. Dies sei die Vision von Polen als einem Land, das von der benachbarten Großmacht abhängig sei, die die richtige Ordnung in Polen garantiere. In der entgegengesetzten, sicherlich schwierigeren Vision würden wir uns auf die Erste und Zweite Republik beziehen, auf die Tradition eines unabhängigen Staates, der seine Existenz auf seiner eigenen Stärke begründe und seine Ziele nicht aufgrund dieser "Dankbarkeit" gegenüber supranationalen politischen Projekten einschränke, obwohl er natürlich Allianzen bilde. “Wir lehnen die Angst derer ab, die sich nur an die polnischen Niederlagen erinnern und defätistisch sind, derer, die sagen: "Das können wir uns nicht leisten"”, so Krasnodębski. Dieser Konflikt sei real. Er werde oft in der Rhetorik von Kundgebungen, sogar Beleidigungen, ausgedrückt und nur manchmal auf eine intellektuell befriedigendere Weise. Aber es sei eine fundamentale, ernsthafte und grundlegende Wahl, so Zdzisław Krasnodębski im Gespräch mit Dziennik/Gazeta Prawna. 

Dziennik/Gazeta Prawna: Keine einfachen Antworten

In den Prozessen der europäischen Integration ist es sinnvoll, nicht auf konjunkturabhängige Antworten zu setzen und nach solchen zu suchen, die frei von parteipolitischen Sympathien sind, appelliert schließlich in einem Gastbeitrag für Dziennik/Gazeta Prawna der Publizist Witold Sokała. Es sei etwas schade, dass die Logik des Wahlkampfs uns eher dazu dränge, in dieser Diskussion Keulen statt Skalpell und Mikroskop zu verwenden. Es bleibe zu hoffen, dass, wenn der Staub sich lege, Möglichkeiten für mehr Sachlichkeit entstehen. Und für die kreative Suche nach Instrumenten, die es unserem erschöpften Land endlich ermöglichen, die Chancen, die sich aus der weiteren Integration ergeben, maximal zu nutzen - bei gleichzeitiger Minimierung des Risikos, das unweigerlich mit der Neudefinition des Begriffs der Souveränität verbunden ist. Denn diesen Prozess müssen wir so oder so durchlaufen, das Modell aus dem 19. Jahrhundert sei längst erschöpft (auch wenn Jarosław Kaczyński das nicht sehen wolle oder könne). Entwicklungschancen werden im aktuellen Jahrhundert durch Kooperation, nicht durch Autarkie aufgebaut, so Witold Sokała in Dziennik/Gazeta Prawna. 

Autor: Adam de Nisau