Deutsche Redaktion

Die Gewinner und Verlierer der TV-Debatte

10.10.2023 12:00
In Polens Medien dreht sich heute alles hauptsächlich um die gestrige Fernsehdebatte im öffentlich-rechtlichen Fernsehsender TVP. Für die einen habe das Regierungslager in diesem Zusammenprall klar gesiegt. Für die anderen das größte Oppositionslager des ehemaligen Ministerpräsidenten und EU-Ratspräsidenten. Noch andere Stimmen heben die wachsende Rolle neuer Gesichter in Polens Politik hervor.
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Bild:Shutterstock/Elnur

Rzeczpospolita: Kleinere Parteien gewinnen TV-Debatte 

In der einzigen Wahldebatte im öffentlich-rechtlichen Fernsehen seien die Fragen so formuliert worden, dass sie Premierminister Mateusz Morawiecki die Gelegenheit boten, Oppositionsführer Donald Tusk ständig in die Zange zu nehmen. Die größten Gewinner dieser Debatte könnten jedoch die Anführer der kleineren Parteien in den anstehenden Wahlen sein, schreibt die konservativ-liberale Rzeczpospolita.

Nicht die Inflation, die gescheiterte Justizreform, die die Auszahlung von EU-Mitteln blockiere, oder die komplexe, internationale Politik, sondern die Privatisierung der Wälder, die Reform des Rentenalters, die niemand plane, oder die Verteidigungspläne Polens aus dem Jahr 2011 - das waren die Themen der einzigen Debatte in diesem Wahlkampf, an der Vertreter aller landesweiten Wahlausschüsse teilnahmen. Die Fragen seien von den Moderatoren so formuliert worden, dass alles, was die Vorgänger-Regierung gemacht habe, falsch gewesen sei. Die gegenwärtige PiS-Regierung indes mache alles richtig, so das Blatt.

Aber auch Donald Tusk habe sich in erster Linie darauf konzentriert, Nadeln in Morawiecki, Parteiführer Kaczyński und die Regierungspartei im Allgemeinen zu stecken. Den falschen Eindruck hätten auch seine Bemerkungen über Morawieckis angebliche Aggressivität erweckt. In Wirklichkeit hätten sie Tusk selbst aggressiv aussehen lassen. Die Debatte zwischen Morawiecki und Tusk sei deshalb vor allem ein Schlagabtausch und keine inhaltliche Diskussion gewesen, schreibt das Blatt.

Wer habe also von der Debatte profitiert? Geht es nach der Tageszeitung habe der zentristische Kandidat Szymon Hołownia der Partei Dritter Weg am meisten hinzugewonnen. Auch er habe zwar Morawiecki angegriffen, aber gleichzeitig auch seine Vision Polens übermittelt. Diese könnte vielen Wählern der oppositionellen Bürgerplattform gefallen. Mit seinem Auftritt habe er somit wahrscheinlich sogar ein paar Stimmen der PO (Bürgerplattform) gewonnen, heißt es.

Auch Krzysztof Maj und seine Parteilosen Selbstverwalter konnten zulegen. Er habe kostenlosen Stadt- und Regionalverkehr oder freiwillige Sozialversicherungen für Unternehmer betont. Vor allem aber habe er sich sowohl von der PiS als auch von der PO distanziert. Mit seinem Auftritt könnte Maj Wähler mit einer generellen Abneigung gegen Politik (und damit einen großen Teil der Unentschlossenen) für sich gewonnen haben.

Joanna Scheuring-Wielgus von der Linken und Krzysztof Bosak von der nationalistischen Konföderation hätten sich ebenfalls auf ihre Wahlprogramme konzentriert, um zu punkten. Die eine habe ihre Botschaft den linken Wählern vermittelt, Bosak den EU-skeptischen Wählern und allen, die mit der übermäßigen Großzügigkeit Polens gegenüber der Ukraine unzufrieden seien.

In einer Debatte, die eigentlich zugunsten von Mateusz Morawiecki oder Donald Tusk ausgehen sollte, hätten somit tatsächlich alle außer ihnen gewonnen, lautet das Fazit in der Rzeczpospolita zu der TVP-Fernsehdebatte. 

Gazeta Polska Codziennie: Die PiS ist mit den Füßen im Ring geblieben 

Deutlich angespannt, aus dem Takt geraten, ständig über Jarosław Kaczyński sprechend, unvorbereitet - geht es nach der regierungsnahen Tageszeitung Gazeta Polska Codziennie sei Donald Tusks Auftritt in der TVP-Debatte katastrophal gewesen. Obwohl die Debatte wahrscheinlich nichts an der Entscheidung der Wähler der jeweiligen Parteien ändern werde, habe der ehemalige Premierminister seine Chance verpasst, um eine Alternative zur Herrschaft der Vereinigten Rechten zu präsentieren.

Aus Hochmut sei Tusk unvorbereitet zu der Debatte gekommen, heißt es. Er habe nur mit Schlagzeilen aus der Presse um sich geworfen. Premierminister Morawiecki indes habe an einer solchen Veranstaltung, bei der Rhetorik, Tricks und Auftreten zählten, zum ersten Mal teilgenommen. Tusk hätte bereits 2005, 2007 und 2011 im Fernsehen debattiert. Aber dies sei bereits 13 Jahre her. Geht es nach dem Blatt, sei Tusk seitdem kein Schwergewicht in Debatten mehr. Wer also sei der „Tusk“ von heute? Für die GPC habe Szymon Hołownia einen guten Auftritt vor der Kamera gezeigt. Der Anführer des Dritten Wegs  sei locker und gut vorbereitet gewesen.

Auch Krzysztof Bosak von der radikalen Konföderation hätte unter den Oppositionspolitikern nicht schlecht abgeschnitten. Obwohl er die Regierungspartei kritisierte, habe er zusammen mit Krzysztof Maj von den Parteilosen Selbstverwaltern inhaltlich gut argumentiert. Die linke Joanna Scheuring-Wielgus habe als einzige die Verkehrssicherheit erwähnt. Ihre eindeutig einwanderungsfreundliche Einstellung würde ihr aber unter polnischen Wählern nicht weiterhelfen.

Die Eindrücke? Es wurde kein Blut vergossen, schreibt GPC. Obwohl es kein Feuer und Überraschungsmomente gab, sei es eine gute und keineswegs leere Debatte gewesen. Sie werde allerdings die Wahlergebnisse nicht dramatisch verändern. Schließlich hätte sie im Jahr 2019 vor den Wahlen zum Sejm und Senat und im Präsidentschaftswahlkampf 2020 nichts verändert. Die Regierungspartei habe durch die Debatte nicht verloren, und das sei die beste Nachricht für Morawiecki und die gesamte PiS, heißt es am Schluss. Und Tusk? Geht es nach dem regierungsnahen Blatt hätte er jemanden als Ersatz schicken können.

Gazeta Wyborcza: Tusk hat gezeigt, dass er nicht der Teufel ist

Die links-liberale GW bewertet indes Szymon Hołownia und Joanna Scheuring-Wielgus am Besten. Für den Autor Paweł Wroński sei auch klar, dass Premierminister Morawiecki mit seinen angeblich falschen Aussagen und seiner Besessenheit von Oppositionsführer Tusk die Debatte am Montag verloren habe.

Werde die Debatte das Ergebnis der Wahl 2023 beeinflussen? Es sei zweifelhaft, ob sie die bereits überzeugten Wähler zu etwas Neuem verlockt habe. Zweifellos könne sie jedoch die Entscheidung einer unentschlossenen Wählerschaft beeinflussen. Wenn auch nur einer die eine solche Pseudo-Debatte im vom Steuerzahler bezahlten Fernsehen nie wieder sehen möchte.


Dziennik/Gazeta Prawna: Debatten wecken die Hoffnung, dass Worte die Realität verändern

Wir lieben Debatten, weil sie die Politik dem Sport am nächsten bringen, schreibt Jakub Dymek in der Tageszeitung DGP. Politikfans könnten sich in ihren Sesseln zurücklehnen, die Daumen drücken und die Punkte in einem Spiel zählen, das auf klaren Regeln beruhe. Debatten würden hin und wieder auch die Hoffnung wiederbeleben, dass Worte die Realität verändern und dass der freie Markt der Ideen zumindest manchmal mehr sei als ein Slogan, lesen wir.

Das letzte Jahrzehnt, heißt es weiter, habe eine revolutionäre Entwicklung der Online-Kommunikation und eine noch nie dagewesene Demokratisierung der Diskussionsbeteiligung mit sich gebracht. Trotzdem habe sie uns aber keine wirklich bedeutsame Debatte zwischen Politikern beschert. Digitale Plattformen würden ihre Leser in Blasen ihrer eigenen Ansichten einschließen. Kulturkriege würden es nicht nur ermöglichen, dass sich die verschiedenen Seiten einer politischen Auseinandersetzung gegenseitig zerstören. Sie würden auch den Pluralismus töten. Die Massenkultur lehre uns, dass andere Ansichten nicht debattiert werden können, sondern dass man vor ihnen davonlaufen, sie kriminalisieren oder zensieren müsse, so der Autor.

Der Siegeszug der kürzesten Kommunikationsformen - Tweets, Rolls, Shorts oder Tiktoks - erschwere die Entwicklung von Argumenten und schließe Zwischentöne aus. Sei es damit wirklich überraschend, dass es unter diesen Bedingungen schwierig sei, ernsthafte und anregende Debatten zu führen, fragt Dymek abschließend im Tagesblatt.


Autor: Piotr Siemiński