Deutsche Redaktion

"Schneller mit dieser Regierung"

25.10.2023 13:18
Ein Auftrag zur Regierungsbildung für die PiS werde nicht nur ein paar Wochen Verzögerung bei der Regierungsbildung bedeuten, sondern auch die Freigabe der EU-Mittel für Polen deutlich erschweren, alarmiert die Rzeczpospolita. Und der Publizist des Blattes Tomasz Pietryga warnt die Opposition vor der Versuchung, die umstrittene Justizreform zu schnell umkehren zu wollen. Außerdem: Wie können die Behauptung über Abhöraktionen gegen die Opposition und die Feststellung des Geheimdienstsprechers, laut dem alles im Einklang mit den Vorschriften geschehen sei, beide gleichzeitig stimmen? Und: Während ein Teil der nationalkonservativen Publizisten die Schmutzkampagne gegen die Opposition fortsetzt, üben andere harte Kritik am Regierungslager und raten zu mehr Selbstreflexion. Die Einzelheiten in der Presseschau.
Polska na chwilę obecną nie spełnia kryteriów wejścia do strefy euro
Polska na chwilę obecną nie spełnia kryteriów wejścia do strefy euroShutterstock/Shootov

Rzeczpospolita: Schneller mit dieser Regierung

Nach den gestrigen Gesprächen mit der Recht und Gerechtigkeit (PiS) und der Bürgerkoalition, wird Staatspräsident Andrzej Duda heute Konsultationen mit dem Dritten Weg und den Neuen Linken führen. Handelt es sich dabei um echte Gespräche oder nur um Scheinkonsultationen, nach denen das Staatsoberhaupt, unabhängig von ihrem Ausgang und den tatsächlichen Chancen auf eine parlamentarische Mehrheit, das eigene politische Lager mit der Regierungsbildung beauftragen wird? Diese Frage stellen sich dieser Tage viele Beobachter des politischen Geschehens. Und von der Antwort hängen nicht nur der Termin der Regierungsbildung ab, aber auch die Chancen der Bürgerkoalition, die Blockade der EU-Mittel für Polen relativ zeitnah aufzuheben, schreibt in ihrem heutigen Aufmacher die konservativ-liberale Rzeczpospolita.

Bürgerplattformchef Donald Tusk sei, wie das Blatt erinnert, heute nach Brüssel aufgebrochen, wo er mit EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und dem Chef des Europäischen Parlaments Roberta Metsola sprechen werde. Vorstellen müsse er sich dort sicherlich nicht. Denn aus seiner Zeit als Premierminister und später aus der fünfjährigen Amtszeit als Vorsitzender des Europäischen Rates kenne er alle Entscheidungsträger in Brüssel persönlich. Wie das Blatt erfahren habe, habe die Opposition auch bereits einige Ideen, wie der Fluss von 57 Milliarden Euro aus dem Wiederaufbauplan freigeschaltet werden könnte.

Der Opposition laufe jedoch in dieser Frage die Zeit davon. Denn falls der Staatspräsident als erstes einen Politiker der PiS mit der Regierungsbildung beauftragen sollte, würde dies zur Überschreitung wichtiger Fristen im Entscheidungsprozess der Europäischen Kommission führen und die Freischaltung der Mittel drastisch erschweren. Der Grund: Eine potentielle Änderung der für die Freigabe der Gelder notwendigen Meilensteine sei theoretisch möglich, wenn der Wiederaufbauplan aktualisiert werde. Dies, so die Zeitung, geschehe bereits, da die PiS-Regierung um zusätzliche EU-Kredite gebeten habe. Die Kommission müsse eine Erhöhung des Nationalen Wiederaufbauplans empfehlen, und bei dieser Gelegenheit könnte die neue Regierung - die derzeitige werde dies sicherlich nicht tun - um eine Änderung der "Meilensteinen" bitten. All dies müsse jedoch bis zum 21. November geschehen. Bis zu diesem Tag könne die Europäische Kommission eine Empfehlung für eine Erweiterung des Darlehensprogramms abgeben. Danach werden Änderungen wesentlich schwieriger und zeitaufwändiger sein, so Rzeczpospolita.

Man könne nun völlig zynisch fragen, welches Interesse Staatspräsident Andrzej Duda habe, der Opposition dabei zu helfen, gleich zu Beginn ihrer Amtszeit erfolgreich zu sein, beobachtet der Publizist des Blattes Michał Szułdrzyński. Das Einzige, worauf wir hoffen können, so der Autor, sei die Annahme, dass der Präsident nicht nur im Interesse seines politischen Lagers handeln werde, sondern auch im Interesse des Staates, so Michał Szułdrzyński in der Rzeczpospolita.

Rzeczpospolita: Revolutionärer Eifer wird schaden

Einer der wichtigsten Gründe für die Blockade der Mittel aus dem Wiederaufbauplan durch Brüssel waren die umstrittenen Reformen der Vereinigten Rechten im Justizwesen. Doch Tomasz Pietryga warnt die Oppositionsparteien, ebenfalls in der Rzeczpospolita, vor der Versuchung, diese Reformen nun auf revolutionäre Weise wieder umzukehren. Die von einigen Experten postulierte Abschaffung des aktuellen Nationalen Justizrats, dessen Berufung juristisch umstritten sei, würde, wie der Autor schreibt, die Pforten zur Hölle öffnen und das Land ins Chaos stürzen. Der Grund: Falls die Feststellung der Ungültigkeit der Ernennung einiger Richter, wie es einige Oppositionspolitiker wollen, zur Rechtswidrigkeit ihrer Urteile führe, würde dies den Weg dazu ebnen, solche Urteile anzufechten. Mittlerweile hätten jedoch fast 3.000 Richter die Verfahren des neuen Justizrats durchlaufen. Wenn wir sie plötzlich vom Urteilen ausschließen, so Pietryga, fehlen uns fast 30 Prozent der Richterschaft. Das bedeute, dass viele Gerichte, insbesondere die lokalen, einfach aufhören würden zu funktionieren. Darüber hinaus seien in den letzten sechs Jahren Millionen von Urteilen gefällt worden. Selbst wenn nur ein Teil der Betroffenen Bedenken gegenüber den bisherigen Urteilen äußern würde, werden die Tore zur Hölle geöffnet. Auf dieser Grundlage könnten verurteilte Kriminelle aus dem Gefängnis entlassen, Scheidungen für nichtig erklärt, Vermögensstreitigkeiten, Erbschaftsverfahren sowie Wirtschafts- und Verbraucherstreitigkeiten auf den Kopf gestellt werden. Wenn Donald Tusk einen so radikalen Weg einschlage, könnte er nicht nur seine Regierung in den Abgrund stürzen, sondern auch ein Chaos auslösen, aus dem wir jahrelang nicht herauskommen würden. Daher sei es besser, nach sanfteren Wegen zur Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit zu suchen. In dieser heiklen Angelegenheit sollten wir uns vor allem von Besonnenheit und Ruhe leiten lassen. Wir brauchen keine weiteren Revolutionen, so Tomasz Pietryga in der Rzeczpospolita.

Gazeta Wyborcza: Legales Abhören

Kurz nach den Wahlen seien Gerüchte laut geworden, dass die Regierungspartei PiS eine breit angelegte Abhöraktion gegen Oppositionspolitiker angeordnet haben könnte. Der Sprecher der Geheimdienste, Stanisław Żaryn, betonte daraufhin gegenüber Medien, dass die Geheimdienste in Übereinstimmung mit geltendem Recht gehandelt haben. Wie beides wahr sein könnte, erklärt in ihrem heutigen Aufmacher die linksliberale Gazeta Wyborcza.

Der Clue: “Man macht es so: "Plötzlich" taucht die Information auf, dass in einer Operation, die nicht abgeschlossen wurde, aber die einst "gute Aussichten" hatte, neue Anknüpfungspunkte aufgetaucht sind und die überwachten Personen Aktivitäten zeigen, die dringend untersucht werden müssen. Das reicht aus, um den Fall wieder aufzugreifen und erneut operative Maßnahmen wie Abhöraktionen einzuleiten”, erklärt ein ehemaliger Beamter der Zentralen Antikorruptionsbehörde CBA gegenüber "Wyborcza". Seiner Meinung nach, lesen wir, könnte die CBA auf diese Weise - durch die "Wiederbelebung" eines alten Falls - kurz vor den Wahlen Abhörgeräte am Handy von PSL-Chef Władysław Kosiniak-Kamysz, Waldemar Pawlak, und dem Vize-Chef des Dritten Wegs Michał Kobosko angebracht haben.

Im Fall von Władysław Kosiniak-Kamysz, so die Zeitung weiter, hätten der Vorwand für die Durchführung von Maßnahmen die operativen Aufklärungsangelegenheiten mit den Codenamen "Tower" und "Kinneret" gewesen sein. Die erste, die später in die zweite umgewandelt wurde, sei noch 2012 unter der Regierung der Bürgerplattform (PO) und der Polnischen Volkspartei (PSL) ins Leben gerufen. Die Verdächtigungen gegen den Onkel des heutigen PSL-Chefs seien zwar nicht bestätigt worden, der Fall sei aber nicht abgeschlossen, sondern nur “eingeschläfert” worden, so Gazeta Wyborcza.

Gazeta Polska Codziennie: Putin liquidiert Memorial und Tusk mit Czarzasty das IPN

In der nationalkonservativen Presse sind derzeit zwei sehr unterschiedliche Strömungen zu sehen. Ein Teil der mit dem Regierungslager verbundenen Medien setzt unvermindert die Angriffe und die Schmutzkampagne gegen die Opposition fort. So zieht die Gazeta Polska Codziennie im heutigen Aufmacher etwa eine Parallele zwischen Putin und Tusk sowie Linken-Chef Czarzasty. Putin, so die These, habe die Memorial-Stiftung aufgelöst, die beiden Oppositionspolitiker würden indes, nach einer eventuellen Machtübernahme, dasselbe mit dem Institut für Nationales Gedenken planen. Zuletzt, so das Blatt, habe Czarzasty in einem Interview mit dem Privatsender TVN24 zu einer Abschaffung des Instituts aufgerufen, zuvor habe auch Tusk dasselbe in Aussicht gestellt. “Das geschieht parallel zur letztjährigen Liquidierung von Memorial in Russland… Die Worte von Włodzimierz Czarzasty fügen sich ideal in die Erwartungen des Kremls ein”, kommentierte die Ankündigungen IPN-Chef dr Karol Nawrocki. Beide Institutionen, so das Blatt, würden die Verbrechen des Kommunismus erforschen. “Das sind Ankündigungen einer Rückkehr zur Politik des Resets. Wir haben es mit schleichenden Vorbereitungen darauf zu tun, Polen in einer Vasallen-Rolle in Bezug auf die russisch-deutschen Bestrebungen nach einer Domination in Europa zu positionieren”, sagt im Gespräch mit dem Blatt der Jurist Piotr Łukasz Andrzejewski.

Do Rzeczy: Teuerste missglückte Wahlkampagne der Geschichte

Ein Teil der nationalkonservativen Kommentatoren sieht diese Erzählung und die darauf basierende Wahlstrategie der Vereinigten Rechten indes zunehmend kritisch und rät zur Selbstreflexion. So spricht der Chefredakteur des nationalkonservativen Wochenblatts Do Rzeczy Paweł Lisicki im Leitartikel zur aktuellen Ausgabe von der teuersten misslungenen Kampagne in der Geschichte des demokratischen Polens. Sowohl die USA als auch Europa, so Lisicki, hätten bei diesen Wahlen die Daumen für den Sieg der Opposition gedrückt und alle verfügbaren Mittel eingesetzt, um ihr Ziel zu erreichen. Und es sei nicht einfach, ein solches Bündnis zu besiegen. Aber das bedeute nicht, dass es unmöglich gewesen sei, was etwa das Beispiel von Viktor Orbán zeige, der genau dasselbe Problem gehabt, aber die Wahlen gewonnen habe. Orbán habe gezeigt, dass er an der Spitze einer großen nationalen Bewegung stehe und sich nicht davor scheue, sich mit den stärksten westlichen Mächten anzulegen. In Polen habe eine solche nationale Bewegung sowie das Verständnis dafür gefehlt, dass die Verteidigung der staatlichen Souveränität bedeuten müsse, dass man sich nur von einem leiten lasse, nämlich dem Interesse Polens.

Statt sich darauf zu konzentrieren, hätten wir erstens das massive Kaufen von Unterstützung und zweitens die Verwendung von Propaganda beobachten können. Die Wähler seien nicht überzeugt, sondern buchstäblich bestochen worden, frei nach dem Motto: Wenn Sie kostenloses Geld vom Staat wollen, stimmen Sie für die PiS. Das habe nichts mit den Interessen des Staates oder den Anforderungen der Wirtschaft zu tun gehabt. Zudem habe diese Strategie keine Gruppe von Unterstützern, sondern von Kunden erzeugt, die zur Wahl wie zur Gehaltsabrechnung gegangen seien, ohne große Begeisterung und Engagement.

Das zweite Mittel, mit dem die PiS gewinnen wollte, lesen wir weiter, sei Propaganda gewesen. Die Idee, Donald Tusk zum Hauptziel der Medienangriffe zu machen und ständig vor seiner Regierung vor neun Jahren zu warnen, sei von Anfang an absurd gewesen. Es sei eine Botschaft ausschließlich für die härtesten eigenen Wähler. Genauso wie die gleichzeitige Zuweisung von Tusk als Agenten sowohl von Moskau als auch von Berlin. Die Konzentration der gesamten Feuerkraft auf Tusk habe dazu geführt, dass die PiS die wachsende Unterstützung für den Dritten Weg übersehen habe. Noch wichtiger sei, dass die aggressive Anti-Tusk-Kampagne nichts mit dem zu tun gehabt habe, was man von einer Partei erwarten könne, die seit acht Jahren regiere und sich für die Sicherheit einsetze. Die Schuldzuweisung an den Oppositionsführer für eigene Fehler und die ständige Erinnerung an die Zeit von 2007-2015 hätten die jüngeren Wähler überhaupt nicht erreicht.

Die dritte Eigenschaft der Regierungsbotschaft sei eine ständige Erfolgspropaganda gewesen, die immer unerträglicher und immer operettenhafter geworden sei. Alles, was die Regierung vorbereitet habe, sei groß, großartig, unvergleichlich gewesen: die größte Landarmee in Europa, die größten Rüstungskäufe in der Geschichte, die größten Investitionen in der Geschichte. Es scheine, dass viele PiS-Politiker, angefangen beim Parteivorsitzenden und Ministerpräsidenten, fest an diese Propaganda geglaubt haben, was Arroganz und Überheblichkeit mit sich brachte. Deshalb seien Warnungen ignoriert oder, noch schlimmer, als Verrat angesehen worden.

Und schließlich sei von der früheren PiS, die 2015 an die Macht gekommen sei und nationale Werte verteidigt habe, nur noch die aufgeblasene Rhetorik übrig geblieben. Die Regierung von Morawiecki habe die patriotische Begeisterung von früher effektiv erstickt. Im Zusammenstoß mit der EU habe Premierminister Morawiecki eine Reihe von Niederlagen erlitten. Er habe den schädlichen Mechanismus "Geld für Rechtsstaatlichkeit" unterzeichnet, und das extrem schädliche "Fit for 55" akzeptiert. In den letzten Jahren habe die Regierung, mit einer Ausnahme - der Souveränen Polen, den Kampf gegen die Gender-Ideologie vollständig aufgegeben und dem Druck aus Brüssel und Washington nachgegeben. Während des Krieges in der Ukraine habe sie, zumindest bis September, alles getan, um zu beweisen, dass sie vor allem das ukrainische Interesse verfolge. Sie konnte nicht einmal energisch die Frage der Erinnerung an die polnischen Opfer von Wolhynien stellen.

Auf diese Weise sei das einzige politische Argument, um für die PiS zu stimmen, der Verweis darauf gewesen, dass die Opposition noch schlimmer sein werde. Nun, wie man sieht, habe das nicht ausgereicht, so Paweł Lisicki in Do Rzeczy.

Autor: Adam de Nisau