Natürlich ist die für heute angesetzte Abstimmung über das Vertrauensvotum für die Regierung Morawiecki, die aller Wahrscheinlichkeit nach auch das Ende der sogenannten Zwei-Wochen-Regierung bedeuten wird, ein wichtiges Thema der Pressekommentare.
Gazeta Wyborcza: Morawieckis Ende
Die linksliberale Gazeta Wyborcza schreibt in ihrem heutigen Aufmacher von “Morawieckis Ende”, stellt die wichtigsten nächsten Schritte zur Vereidigung der Koalitionsregierung unter Donald Tusk vor und übt Kritik an den Schritten, die die bisherige Regierungspartei PiS unternommen hat, um loyale Politiker in Staatsinstitutionen unterzubringen und gewisse Hochburgen ihrer Macht vor einer Übernahme durch die neue parlamentarische Mehrheit zu sichern. In einigen Fällen ohne Erfolg, wie Bartosz Wieliński in seinem Kommentar feststellt. Denn die eilig vorbereiteten Satzungsänderungen im öffentlichen Fernsehen, die eine Auswechslung des Vorstands durch die Einsetzung eines kommissarischen Leiters verhindern sollten, seien offenbar auf dem falschen Formular beantragt und daher vom zuständigen Gericht nicht angenommen worden.
Gazeta Polska Codziennie: Entscheidende Rede von Morawiecki
Die nationalkonservative “Gazeta Polska Codziennie” hält in ihrer Titelstory - trotz der parlamentarischen Arithmetik - weiterhin an dem Narrativ fest, dass sich erst heute entscheiden werde, wem Polen gehört. Premierminister Morawiecki, so das Blatt, werde eine entscheidende Rede halten, woraufhin das Parlament über das Vertrauensvotum für sein Kabinett abstimmen werde. Auch wenn Morawiecki scheitern sollte, habe die Vereinigte Rechte in den vergangenen zwei Monaten nach den Wahlen viel erreicht, wenn es darum gehe, der neuen Regierungskoalition politischen Wind aus den Segeln zu nehmen und den Enthusiasmus für das neue Kabinett zu senken, beobachtet der Politologe Dr Andrzej Anusz im Gespräch mit der Zeitung. In politischer Hinsicht hätten die letzten zwei Monate der Vereinigten Rechten viel gegeben, so Anusz.
In einem separaten Artikel auf derselben Seite referiert das Blatt einen Artikel aus der Berliner Zeitung, in dem diese suggeriert, dass an der Weichsel ein unikales Experiment beginnt, bei dem es darum gehe Rechtsstaatlichkeit mit undemokratischen Methoden wiederherzustellen. “Deutsche raten Tusk den Ausnahmezustand auszurufen” heißt es im dazugehörigen Titel. Aus seiner Sicht könne dies einen Anreiz für Tusk darstellen, ebensolche Methoden einzusetzen, warnt im Kommentar für die Gazeta Polska Codziennie der Historiker an der Katholischen Universität Lublin, Prof. Mieczysław Ryba.
Rzeczpospolita: Sicherheit ist eine gemeinschaftliche Anstrengung
Polen ist bereits seit zwei Jahren ein Frontstaat. Doch das Denken der polnischen Bevölkerung über Sicherheitsfragen habe sich in dieser Zeit kaum verändert, schreibt in seinem Feuilleton für die konservativ-liberale Rzeczpospolita der Philosoph und Politologe Marek Cichocki. Bisher, so sein Eindruck, hätten viele angenommen, dass die PiS-Regierung zusammen mit den Amerikanern diese Angelegenheit einfach irgendwie regeln würde, hauptsächlich durch den Erwerb moderner Waffen. Jetzt jedoch, wenn der Moment der Machtübernahme durch eine neue parlamentarische Mehrheit näher rücke, beginne ein Teil ihrer Wähler und Sympathiker sich zu fragen, ob man ein Frontstaat sein könne, während man sich so verhalte, als ob in Sicherheitsfragen nichts Wesentliches geändert werden müsste. Der bekannte Schriftsteller Szczepan Twardoch, lesen wir, habe kürzlich eine Art offenen Brief an die zukünftigen Machthaber veröffentlicht, in dem er klare Erklärungen zu den Maßnahmen gefordert habe, die notwendig seien, um die Polen vor der militärischen Bedrohung durch Russland zu schützen. Echte Unruhe habe auch der Reserve-Major und Militärexperte Michał Fiszer verursacht, der in einem Interview festgestellt habe, was offensichtlich erscheinen sollte. Und zwar, dass wir unsere Sicherheit nicht auf der falschen Annahme aufbauen können, dass Russland sich nicht trauen würde, NATO-Länder anzugreifen und dass Polen an erster Stelle stehen könnte – und das in nur wenigen Jahren.
Wie die Beispiele von Westdeutschland, Israel oder Finnland zeigen, fährt Cichocki fort, bedeute der Status eines Frontstaates nicht nur das Leben im Schatten einer möglichen Katastrophe, sondern auch Aufstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten. Voraussetzung dafür sei jedoch, dass die Rolle des Frontstaates vom gesamten politischen System und der Gesellschaft ernst genommen wird. Während des Kalten Krieges habe die BRD von ihrem Status als Frontstaat profitiert, musste aber gleichzeitig eine 700.000 Mann starke Wehrpflichtarmee aufstellen. Die viel kleineren, modernen Armeen Israels oder Finnlands seien heute auf die schnelle Mobilisierung von sogar Hunderttausenden ausgebildeten Reservisten ausgelegt. Ein Frontstaat zu sein bedeute also nicht nur hohe Rüstungsausgaben, sondern einen systematischen Aufwand und das Engagement der gesamten Gesellschaft, ihrer politischen Eliten und staatlichen Institutionen – es sei eine grundlegende und umfassende Veränderung, die alle auf den Moment einer drohenden Gefahr vorbereite. In der Illusion zu leben, dass andere uns Sicherheit geben und dass die Mitgliedschaft in der NATO und EU uns unantastbar machen, sei ein Rezept für eine weitere nationale Katastrophe in unserer Geschichte, warnt Marek Cichocki in der Rzeczpospolita.
Rzeczpospolita: Es wird kein föderales Europa geben
Die Recht und Gerechtigkeit hat die Warnung vor einer baldigen Föderalisierung Europas und dem damit verbundenen Machtverlust nach den Parlamentswahlen zu einem zentralen Motiv ihre politischen Botschaft gemacht. Doch damit führt die Vereinigte Recht ihre Wähler zynisch in die Irre. Ein föderales Europa wird es nicht geben, sagt im Interview für Rzeczpospolita der Vize-Chef von Polen 2050 und Chef des parlamentarischen Ausschusses für EU-Fragen, Michał Kobosko. In dem Gespräch übt Kobosko harsche Kritik an den Ministern der “Kurzzeit-Regierung” von Morawiecki für ihre Auslandsreisen. Vor allem betreffe das EU-Minister Szymon Szynkowski vel Sęk, der nicht nur auf Europa-Tournee gegangen sei, um vor der Zentralisierung der EU zu warnen, sondern sich auch in Budapest mit dem ungarischen Außenminister getroffen habe, der zu den engsten Verbündeten Putins in Europa gehöre. Die Auslandsreisen der Minister dieser Regierung seien eine offene Missachtung des Wählerwillens und daher eine Fortsetzung der Verschwendung polnischer finanzieller Ressourcen. Und die Ungarn-Reise von Szynkowski vel Sęk sei „beschämend“.
Wenn es um die EU-Verträge gehe, dann werde die Europäische Union sich weder jedoch noch zu unseren Lebzeiten in die Vereinigten Staaten Europas verwandeln. In diesem Bereich führe die PiS die Menschen einfach zynisch und gezielt in die Irre. Gleichzeitig sei klar, dass Änderungen in der EU notwendig seien. Es sei immer ein dynamisches Projekt gewesen. Heute würden wir vor der Aussicht auf eine bedeutende Erweiterung der EU stehen. An Polens Grenze würde ein grausamer Krieg toben und in den USA werde eine Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus immer wahrscheinlicher. All dies müsse berücksichtigt werden. Die PiS male indes das Bild einer EU, die gefährlich sei, als Putins Russland und suggeriere immer offener einen Ausstieg aus der EU. Das dürfe nicht zugelassen werden, es stehe völlig im Widerspruch zur polnischen Staatsräson.
Auf der einen Seite, so Kobosko, würden in dem Streit diejenigen stehen, die den Zerfall des europäischen Projekts und die Rückkehr zur Logik von Nationalstaaten fordern, die nur bilaterale Beziehungen unterhalten, und auf der anderen Seite diejenigen, die glauben, dass Polen nicht in Isolation geraten, das heißt nicht westlich des Ostens und östlich des Westens liegen dürfe, da sich dann unsere tragischen historischen Erfahrungen wiederholen könnten.
Er selbst, so Kobosko, sei als Leiter des polnischen Büros des Atlantic Council bei der Geburt der Drei-Meeres-Initiative dabei gewesen. Er sprach sich für eine stärkere Beteiligung Polens in der europäischen Politik aus, insbesondere im Weimarer Dreieck, um eine effektive Entwicklung in der EU zu fördern. Damals habe es sinnvoll geklungen: eine bessere Verbindung Mitteleuropas entlang der Nord-Süd-Achse durch geplante Energie-, Transport- und Glasfaserverbindungen. Aber seitdem seien acht Jahre vergangen. Es gebe kein Investitionsprojekt, kein Geld, außer den Anfängen eines Fonds, der in der Staatsbankl BGK gebildet werde. Diese Konstruktion, von vielen EU-Ländern als feindlich gegenüber der Union angesehen, habe sich in dieser Form als Fehlschlag erwiesen. Visegrád funktioniere heute auch nicht, da Ungarn den Weg des prorussischen Populismus einschlage und die Slowakei zu einem großen Fragezeichen geworden sei. In den Vordergrund rücke daher tatsächlich das Weimarer Dreieck, zumal Deutschland und Frankreich in vielen Fragen keine Einigung erzielen könnten und einen dritten Partner benötigen würden, um der Union effektive Entwicklungsimpulse zu geben. Er, so Kobosko, sei bereits in Dialog mit seinen Partnern im französischen und deutschen Parlament, wie die Zusammenarbeit in dem Format vertieft werden könnte.
In Bezug auf eine mögliche europäische Armee oder europäische Sicherheitsgarantien äußert sich Kobosko skeptisch. Stattdessen würden wohl noch lange die NATO, eine effiziente polnische Armee und das Bündnis mit den USA die Grundlage für die Sicherheit Polens bleiben. Parallel könnten natürlich Schritte unternommen werden, um den europäischen Beitrag zur Abschreckung im Rahmen der NATO zu stärken. Hinsichtlich der Beziehungen zu Deutschland sehe, so Kobosko, nach acht Jahren Konflikt, die Notwendigkeit für Symbole und greifbare Gesten des guten Willens. Aus seiner Sicht könnte die Beteiligung Berlins am Wiederaufbau des Sächsischen Palastes in Warschau ein wunderbares Symbol der polnisch-deutschen Freundschaft sein, so Michał Kobosko im Gespräch mit Rzeczpospolita.
Autor: Adam de Nisau