Deutsche Redaktion

Änderungen in öffentlichen Medien: "Eklatanter Rechtsbruch" vs. "Korrekte, ja sogar elegante Lösung"

27.12.2023 12:41
Gazeta Polska Codziennie setzt in der aktuellen Ausgabe Vergleiche zum Kriegszustand fort. Jura-Professor Kisilowski prangert Kritiker der vorgenommenen Änderungen als blauäugige Idealisten an, die nicht sehen, in welcher Situation sich der Staat nach acht Jahren schleichender autoritärer Veränderungen befinden. Und bezeichnet die Absetzung der Medienführung als elegante Lösung. Und: Der konservative Publizist Warzecha verurteilt sowohl die Revolution in den Medien, als auch deren Verteidiger. Die Einzelheiten in der Presseschau.
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Bild:Elzbieta Krzysztof / Shutterstock & PAP/EPA/OLIVIER HOSLET

Statt sich zu beruhigen, hat sich der Konflikt um die öffentlichen Medien über Weihnachten noch einmal zugespitzt. Der Grund: Staatspräsident Andrzej Duda hat ein Veto gegen die Haushaltspläne der Regierung eingelegt, offiziell um gegen die im Haushalt geplanten 3 Milliarden Złoty für die öffentlichen Medien zu protestieren, die die neue Regierung laut Duda verfassungswidrig übernehmen will. Zudem hat der von Kulturminister Bartłomiej Sienkiewicz abberufene Aufsichtsrat des öffentlichen Fernsehens TVP, der seine Abberufung nicht akzeptiert hat, einen neuen geschäftsführenden Intendanten ernannt. Und der Rat der Nationalen Medien ist am zweiten Weihnachtstag zu einer Sondersitzung zusammengekommen und hat ebenfalls einen Intendanten von TVP nominiert. Die Regierung Tusk betont, dass beide Ernennungen keine rechtlichen Konsequenzen nach sich ziehen. Parallel zu alledem halten Politiker der PiS Wache im Gebäude des öffentlichen Fernsehens und der polnischen Presseagentur PAP und rufen zu Protesten zur “Verteidigung der Medienfreiheit” auf.

Gazeta Polska Codziennie: Tusk und sein Oberst können nicht auf das Ausland zählen

Die Interpretationen und Kommentare zur Situation rund um die Medien sind heute natürlich ebenso polarisiert und gegensätzlich wie die politische Landschaft im Lande. Eine Zusammenfassung der rhetorischen Linie der Recht und Gerechtigkeit PiS ist wie gewohnt in der nationalkonservativen Gazeta Polska Codziennie zu finden. Im Aufmacher zieht das Blatt Vergleiche zum Kriegszustand. “Oberst Sienkiewicz”, wie das Blatt den Kulturminister nennt, verletze das Recht, sogar Abgeordnete der Regierungskoalition würden dies zugeben. Jeden Tag, lesen wir, würden vielerorts in Polen tausende Menschen gegen das Vorgehen der Regierung protestieren, die die vollständige Kontrolle über die öffentlichen Medien und ihre Botschaft übernehmen wolle. Präsident Andrzej Duda habe sich in den Konflikt eingeschaltet. Und sogar amerikanische Medien würden im Kontext des Konflikts Parallelen zum Kriegszustand ziehen. “Es ist ein schlechter Tag, wenn die Regierung die Staatsmacht zur Schließung der Presse in einem beliebigen Land nutzt”, habe etwa “New York Post” geschrieben. Tusk und sein “Oberst” könnten also nicht auf Unterstützung aus dem Ausland hoffen, urteilt das Blatt. Denn die Übernahme der Medien hätten unter anderem die Internationale Journalistenföderation und die Europäische Journalistenföderation kritisiert.

Gazeta Wyborcza: Kritiker des Kulturministers sind blauäugig

Eine völlig entgegengesetzte Interpretation der Geschehnisse der letzten Tage präsentiert in einem Interview mit der linksliberalen Gazeta Wyborcza der Professor für Jura und Strategie an der Mitteleuropäischen Universität Wien, Maciej Kisilowski. Die Kritiker von Sienkiewicz, so Kisilowski, seien völlig blauäugig. Sie würden nicht sehen, in welcher Situation sich der Staat nach 8 Jahren des autoritären Umsturzes der PiS befinde. Sie würden sich ein Polen voller funktionierender demokratischer Institutionen vorstellen, an die sich, wie sie sagen, die Regierung oder der Kulturminister wenden sollten, bevor sie dem Skandal in den öffentlichen Medien ein Ende bereiten. “Aber”, so der Jurist, “ein solches Polen gibt es heute nicht." 

Manche, fährt Kisilowski fort, würden vorschlagen, dass die Regierung aufzeigen sollte, dass der Chef des Rats der Nationalen Medien nicht einmal die Standards der PiS erfüllt und somit sein Mandat auslöschen. Nur, so der Experte, würde ein solches Vorgehen das auf groteske Weise verfassungswidrige Organ sanktionieren, das der Rat der Nationalen Medien darstelle. Der Rat funktioniere nur, weil ihn der die Verfassung verletzende Staatspräsident und der eine Parodie des in der Verfassung verankerten Organs darstellende Verfassungsgerichtshof am Leben erhalten. Im Verfassungsgericht würden, wie Kisilowski erinnert, nicht nur drei Doppelgänger-Richter sitzen. In einem normal funktionierenden Rechtsstaat würde die Mehrheit der Verfassungsrichter zudem für ihre Manipulationen an den Zusammensetzungen und beschämende politische Aktivität Disziplinarverfahren aufgehalst bekommen und aus dem Gremium ausgeschlossen sein. Auch der Nationale Rat für Rundfunk und Fernsehen (KRRiT) in der aktuellen Zusammensetzung sei jahrelang seinen Kontrollpflichten nicht nachgekommen und habe nicht einmal ein Minimum an journalistischen Standards durchgesetzt. Schließlich sei auch die Idee, die Verantwortlichen vor den Staatsgerichtshof zu stellen problematisch, da die Chefin des Obersten Gerichtshofs, die den Staatsgerichtshof leiten würde, erstens eine fehlerhaft ernannte Neo-Richterin sei und zweitens in einer verfassungswidrigen Prozedur zur Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofs gewählt worden sei. 

Das heutige Polen, so Kisilowski, sei gekennzeichnet durch ein Ökosystem verfassungswidriger und undemokratischer Institutionen, die von der PiS verwüstet wurden. Eine Gruppe von idealistischen Juristen erwarte nun, ja fordere sogar, dass die demokratisch gewählte neue Regierung im Labyrinth dieser offensichtlich böswillig agierenden Pseudo-Institutionen wartet, während sie eklatantes Unrecht akzeptiert. Denn selbst nach den von der PiS erlassenen Gesetzen über Rundfunk und Fernsehen sei das, was das Fernsehen TVP getan habe, eklatant rechtswidrig und mit keinen demokratischen Standards vereinbar.

Wie man mit diesem Problem umgehen solle? Man müsse sich klar machen, dass die polnische Verfassung eine Situation nicht vorgesehen habe, in der eine ganze Reihe von Schlüsselinstitutionen des Staates – das Verfassungsgericht, der Oberste Gerichtshof, der Staatsgerichtshof, der Justizrat, der Nationale Rundfunkrat und viele andere – fehlerhaft besetzt oder im Widerspruch zum Grundgesetz und zu demokratischen Prinzipien tätig seien. Vor allem habe sie keine Situation vorgesehen, in der der Präsident der Republik Polen nicht nur die Verfassung nicht schütze, sondern aktiv an der Untergrabung ihrer Grundlagen teilnehme – und heute den in den Jahren 2015-23 durchgeführten autoritären Umsturz vehement verteidige. 

In den letzten Jahren, so Kisilowski, habe er oft öffentlich die Hoffnung geäußert, dass sich Präsident Duda besinnt und im Interesse des Landes zu einem Element der verfassungsmäßigen Stabilität und des Gesellschaftsvertrags wird. Aber seine letzten Aussagen würden darauf hindeuten, dass er seine Funktion als unbegrenzte, imperiale Macht in Bezug auf die Ernennung von Richtern oder die Anwendung des Gnadengesetzes versteht. Aus den von ihm verwendeten Argumenten könne man schließen, dass er den berühmten Kater des Vorsitzenden Kaczyński zum Richter ernennen könnte, und niemand könnte diese Entscheidung anfechten, und der Kater müsste zum Urteilen zugelassen werden. Die Ansichten des Präsidenten seien extrem und würden von keiner polnischen oder internationalen juristischen Denkweise in demokratischen Ländern akzeptiert. 

Damit bestätige der Präsident, dass angesichts seiner aktuellen Ansichten über den Staat und das Recht auch ein weiterer Kritikpunkt an Minister Sienkiewicz sinnlos ist: Die Frage nämlich, warum keine gesetzlichen Änderungen in Kooperation mit dem Staatspräsidenten versucht worden seien. Die aktuelle Situation so zu interpretieren, als ob wir in einer normalen Demokratie leben würden, sei im besten Fall Naivität. Und im schlimmsten Fall das bewusste Torpedieren der vielleicht letzten Chance, die demokratische Ordnung in Polen wiederherzustellen. Der Rat der Nationalen Medien sei verfassungswidrig, es gebe kein unabhängiges, legales Verfassungsgericht – also eines, wie es die Verfassung vorgesehen habe –, an das man sich wenden könnte. Es gebe auch keinen unabhängigen Nationalen Rundfunk- und Fernsehrat, der seine verfassungsmäßigen Funktionen erfülle und gemäß dem Urteil des damals noch legalen Verfassungsgerichts von 2016 an der Wahl der Führung der öffentlich-rechtlichen Medien beteiligt sein sollte. Die Möglichkeiten, den Staatsgerichtshof in Anspruch zu nehmen, seien eingeschränkt. Es gebe keinen Präsidenten, der seine grundlegende Funktion als Hüter der Verfassung erfülle. Daher, wenn all diese Institutionen nicht in der Form existieren, wie sie das Grundgesetz vorsehe, müssten allgemeine Vorschriften angewendet werden, und das habe Minister Sienkiewicz getan. Er habe sich auf die allgemeinen Bestimmungen des Handelsgesetzbuchs berufen. Das sei eine korrekte, er würde sogar sagen, eine elegante Lösung, so Maciej Kisilowski in der Gazeta Wyborcza. 

Rzeczpospolita: Staatsmedien der PiS haben die schlechtmöglichsten Verteidiger

Die Meinungen, inwieweit rechtmäßig das Vorgehen der Regierung in Bezug auf die Medien ist, gehen weit auseinander. Aber auch, wenn wir, wie er persönlich, davon ausgehen, dass die staatlichen Medien durch unrechtmäßige Methoden übernommen wurden und dass Unordnung nicht durch noch mehr Unordnung behoben werden sollte, dann haben diese Medien dennoch die denkbar schlechtesten Verteidiger, schreibt in seinem Kommentar für die Rzeczpospolita der Publizist Łukasz Warzecha. Ich wisse wirklich nicht, wie irgendjemand von außerhalb der harten Kernwähler der PiS durch einen Protest überzeugt werden könnte, an dem Gesichter der vergangenen Propaganda wie Samuel Pereira oder Gesichter der Regierung teilnehmen, die für unorthodoxes Denken Internetportale mit Hilfe von Sonderdiensten aus dem Verkehr gezogen habe. Das sei so, als würde man für die Demokratisierung der Sowjetunion Hand in Hand mit Trotzki kämpfen. Danke, er stehe lieber - abseits, so Łukasz Warzecha in der Rzeczpospolita.

Autor: Adam de Nisau