Rzeczpospolita: Allgemeine Wehrpflicht in einer verweichlichten Gesellschaft
So wie Europa einst das Gespenst des Kommunismus drohte, so schwebe heute die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht über dem Kontinent. Und letztlich werde Europa ohne diese wohl nicht auskommen, schreibt der Militärexperte Marek Budzisz im Wochenendmagazin der Rzeczpospolita “Plus Minus”. Wie der finnische Präsident Alexander Stubb in einem Interview mit der Financial Times vorgeschlagen habe, so Budzisz, sollten die Europäer in Sicherheitsfragen so handeln wie die Finnen - weniger über die Gefahr eines Krieges mit Russland reden und mehr tun, um diese Gefahr zu beseitigen. Vor allem eben durch die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht, die Finnland nie aufgegeben habe. Europäische Länder aber, so der Autor, hätten ein Problem mit dem Ausbau ihrer Streitkräfte. Es gebe nicht genügend Freiwillige. Diejenigen, die sich freiwillig melden, seien oft aufgrund von Übergewicht und vor allem aus psychologischen Gründen nicht in der Lage, in der Armee zu dienen. Einige Experten würden sogar von einer „verweichlichten Gesellschaft“ sprechen. Die kommenden Generationen würden immer weniger in der Lage sein, sich selbst, ihre Familien und ihr Heimatland zu verteidigen.
Nach der russischen Annexion der Krim, lesen wir weiter, hätten Schweden, Litauen und Lettland den allgemeinen Wehrdienst wieder eingeführt. Die dänische Regierung plane auch, Frauen in die Armee einzuberufen. Kroatien plane ähnliche Schritte. Dort werde eine dreimonatige Grundausbildung für 17.000 Männer angestrebt. Zunächst müssten jedoch die vernachlässigten kroatischen Kasernen ausgebaut und modernisiert werden. Damit hätten auch die Deutschen, Dänen und Briten Probleme. Großbritannien verfüge derzeit über die kleinsten Bodentruppen seit den napoleonischen Kriegen. Nach Ansicht des Oberbefehlshabers müsse London sogar mit dem Aufbau einer „Bürgerarmee“ beginnen.
In Polen sehe die Situation ähnlich aus, fährt Budzisz fort. Die Erklärungen der Vorgängerregierung über eine Armee von 250.000 Soldaten plus 50.000 in den Territorialen Verteidigungsstreitkräften (WOT) seien ein schön klingendes, aber rein propagandistisches Versprechen. In Wirklichkeit würden aber viele aus der Armee austreten, es fehle an ausgebildeten Reservisten. Die demografische Prognose für die Beibehaltung des derzeitigen Rekrutierungsniveaus nach 2028 scheine völlig unrealistisch.
Andererseits habe Moskau bereits im vergangenen Herbst die Aufstockung seiner Streitkräfte auf 1,5 Millionen Soldaten und Offiziere angekündigt. Vor dem Krieg in der Ukraine habe Russland nach verschiedenen Angaben rund 800.000 Soldaten gehabt. Damit werde der Kreml das Potenzial seiner Armee in drei bis vier Jahren verdoppeln. Nach dem Krieg in der Ukraine werden diese Streitkräfte durch ihre Kampferfahrung auch besser sein. Wie der Autor feststellt, sei das Problem somit real und ein weiterer Grund, um nach Abwehrmaßnahmen gegen Russland zu suchen. Nicht, weil der Krieg unvermeidlich sei, sondern damit er nicht ausbreche. Um einen geostrategischen Rivalen abzuschrecken, brauche man nämlich nicht nur militärisches Potenzial, sondern auch den klaren Willen, es einzusetzen. Nur das garantiere Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit, lautet die Schlussfolgerung von Marek Budzisz in Plus Minus.
Rzeczpospolita: Andrzej Duda träumt von den Antipoden, Donald Tusk vom Alkoholtester
Die Mai-Feiertage sind ein großes Wahlkampf-Picknick gewesen. Der 20. Jahrestag des polnischen EU-Beitritts, der am 1. Mai gefeiert wurde, habe den Politikern nur dazu gedient, mehr über die Wahlen zum Europäischen Parlament zu reden als über die vergangenen zwei Jahrzehnte der Mitgliedschaft, schreibt Michał Szułdrzyński in der liberal-konservativen Rzeczpospolita.
Bei den Reden (und Tweets) anlässlich des Nationalfeiertags am dritten Mai sei es nicht anders gewesen. Dieser Kampagne habe sich auch Präsident Andrzej Duda eifrig angeschlossen. Bei jeder Gelegenheit habe er die großen Investitionen erwähnt, die Polen angeblich tätigen müsse, um einen zivilisatorischen Sprung zu machen. Er habe den Zentralflughafen, ein Kernkraftwerk, eine starke Armee und die Modernisierung des Staates gefordert. Nach Ansicht des Autors seien dies keine willkürlichen Parolen gewesen, sondern Anspielungen an die oppositionelle Partei Recht und Gerechtigkeit, diese Projekte zum Hauptthema ihres Wahlkampfes für das Europäische Parlament zu machen.
Geht es nach dem Autor, sollten die Regierenden sich vor allem das Argument des Präsidenten zu Herzen nehmen, dass der Zentralflughafen CPK gebaut werden sollte, um ohne Umsteigen nach Neuseeland oder Australien fliegen zu können. Zumal die Regierungskoalition Andrzej Duda als großes Hindernis für ihre Politik sehe, könnte sie der Bau des Zentralflughafens vielleicht doch interessieren. Sie könnte damit das Staatsoberhaupt ans Ende der Welt bringen. Donald Tusk und Andrzej Duda würden sich dann nicht nur politisch, sondern auch geografisch an den Antipoden wiederfinden, scherzt Szułdrzyński.
Und die Polen? Wenn sie nicht am Mai-Wochenende in Verkehrsunfälle verwickelt gewesen seien, hätten sie dem Geschehen mit einem Ohr zugehört, Steaks gegrillt und Bier getrunken, lesen wir. Diese Stimmung habe sogar einige Minister erreicht. Wie den Chef des Innenministeriums. Dieser habe bei einer Staatsfeier gesprochen, als wäre er gerade vom Grillen aufgestanden, heißt es im Blatt. Ministerpräsident Donald Tusk erklärte daraufhin, der Minister habe einen Alkoholtest gemacht. Glücklicherweise für den Minister, sei das Ergebnis für ihn günstig ausgefallen. All das könne man wahrlich schwer ernst nehmen, auch wenn es bis zu den Wahlen noch genau fünf Wochen seien, so Michał Szułdrzyński in der Rzeczpospolita.
Wprost: NATO definiert „rote Linien“
Die Anführer europäischer Länder verfolgen die Entwicklung der russischen Offensive im Donbass mit großer Sorge. Das Szenario eines militärischen Zusammenbruchs von Selenskyjs Truppen sei nicht mehr ausgeschlossen, schreibt indes das Wochenblatt Wprost. Für den Westen werde es somit immer wichtiger, Wladimir Putin eine klare Botschaft zu übermitteln. Es sei eine Sache, tief in die östlichen Gebiete der Ukraine einzudringen, aber eine ganz andere, die Hauptstadt einzunehmen oder Drittländer in den Krieg hineinzuziehen, heißt es im Blatt. Die NATO wisse, dass die Ukraine nicht verlieren dürfe. Das Bündnis sei deshalb bereit, direkt einzugreifen, um den Zusammenbruch des Landes zu verhindern, lesen wir.
Wie Journalisten der italienischen Zeitung La Repubblica erfahren haben, berichtet das Blatt, sollen die Länder des Nordatlantischen Bündnisses „in vertraulicher Form und ohne offizielle Mitteilungen“ mindestens zwei „rote Linien“ gezogen haben. Ihre Überschreitung durch Russland könnte ein direktes Eingreifen der NATO in den Krieg in der Ukraine bedeuten. Die erste „rote Linie“ betreffe demnach die Situation, in der es Russland gelänge, die Verteidigungslinie der Ukraine im Nordwesten zu durchbrechen und Weißrussland in den Konflikt einzumischen. Wie die italienische Zeitung feststellt, sei die russisch-ukrainische Grenze „sehr lang und verwundbar“. Selenskyjs Truppen seien nicht mehr in der Lage, sie vollständig zu kontrollieren.
Die zweite „rote Linie“ würde eine militärische Provokation Russlands gegen die baltischen Staaten, Polen oder Moldawien sein. Dies könnte von Militärschlägen, um die Reaktion des Westens zu testen, bis hin zu einer nicht unbedingt vollständigen Invasion dieser Länder reichen. Die Wahlperiode in Europa und den USA könnte den Kreml nämlich den Eindruck geben, die NATO sei abgelenkt. Die Allianz würde jedoch keine Aggression seitens Moskau tolerieren, schrieb La Repubblica. Die NATO verfüge an der Ostgrenze Europas bereits über mehr als 100.000 Soldaten, die sowohl bereits im Einsatz sind als auch in wenigen Tagen im Rahmen der rapiden NATO Response Force (NRF) mobilisiert werden könnten. Der Zeitung zufolge habe die NATO jedoch keine operativen Pläne, Truppen in die Kampfzone zu entsenden. Die NATO würde aber zum ersten Mal seit Beginn des Krieges in der Ukraine solche „roten Linien“ ziehen, heißt es in Wprost.
Autor: Piotr Siemiński