Seit einigen Tagen schlägt hierzulande eine Affäre rund um den Justizfonds und die Partei Souveränes Polen hohe Wellen.
Rzeczpospolita: Die Affäre, die die PiS versenken könnte
Nach den Kommunalwahlen sah es so aus, als ob es keinen Grund gibt, warum die Recht und Gerechtigkeit die Europawahlen verlieren sollte. Die Unterstützung für Jarosław Kaczyńskis Partei war trotz zahlreicher Turbulenzen, interner Auseinandersetzungen und trotz des Verlusts des Einflusses auf die öffentlichen Medien stabil, und nichts deutete darauf hin, dass es zwischen April und Juni zu ernsthaften Veränderungen kommen könnte. Aber dann führte Roman Giertych den schwersten Schlag gegen die Partei seit dem 15. Oktober aus, schreibt dazu Michał Szułdrzyński in der heutigen Ausgabe der konservativ-liberalen Rzeczpospolita. Es, so der Autor, sei ein Schlag, der in der Politik viel verändern könnte. Er könne nicht nur zu einem Platztausch zwischen der Bürgerkoalition und der PiS in den Umfragen führen, sondern auch bei den Wahlen am 9. Juni. Selbst ein kleiner prozentualer Unterschied könnte dazu führen, dass die Partei von Donald Tusk den ersten Sieg über Recht und Gerechtigkeit seit zehn Jahren verkünden könnte.
“Warum ist der von Roman Giertych durchgeführte Schlag so effektiv gewesen?”, fragt Szułdrzyński. Weil die Recht und Gerechtigkeit sich schlichtweg nicht dagegen verteidigen könne. Wie der Autor erinnert, habe Giertych Tomasz Mraz, den ehemaligen Direktor der Abteilung für den Justizfonds im Justizministerium, ins Parlament eingeladen. Dieser habe beschrieben, wie Hunderte Millionen Zloty aus dieser Institution an Organisationen geflossen seien, die Zbigniew Ziobro belohnen wollte, wie zukünftige Begünstigte über speziell für sie organisierte Wettbewerbe informiert worden seien, wie ihnen sogar beim Schreiben der Bewerbungen geholfen worden sei und wie Beamte im Ministerium gezwungen worden seien, Bewerbungen positiv zu bewerten, an denen die politische Führung interessiert gewesen sei. Er habe den gesamten Mechanismus einfach und klar beschrieben. Dazu würden Aufnahmen kommen, die nach dem Auftritt von Mraz begonnen hätten, in die Medien zu sickern und die seine Aussagen bestätigen.
Die PiS, urteilt Szułdrzyński, befinde sich in einer Falle. Kaczyńskis Untergebene würden zwar manchmal erklären, dass sie keinen Einfluss darauf gehabt hätten, was im Justizministerium geschehen sei. Doch Kaczyński trage als Anführer der Vereinigten Rechten die politische Verantwortung für alles, was in den acht Jahren ihrer Regierung geschehen sei. Darüber hinaus würden die Politiker von Zbigniew Ziobros Partei Souveränes Polen auf den Listen von PiS für das Europäische Parlament kandidieren. Der Skandal sei zu offensichtlich, um sich verteidigen zu können.
Selbst wenn die Wähler glauben würden, dass die Aktion politisch motiviert sei oder einen Angriff auf die PiS darstelle, ändere das eigentlich nichts. Die PiS-Wählerschaft könnte demobilisiert werden, wenn sie das Ausmaß der finanziellen Missbräuche in den Jahren 2015–2023 sehe – von der Verschwendung von Millionen für Briefwahlen, über undurchsichtige Transaktionen rund um Orlen, verschiedene Villa+ Projekte, bis hin zum Justizfonds. Die Anschuldigungen, die Zbigniew Ziobro heute gegen die Bürgerplattform erhebe, nämlich dass sie korrupt sei, würden eher beweisen, dass er ihr in acht Jahren als Generalstaatsanwalt nichts habe nachweisen können. Die Frage sei, welcher Faktor sich als stärker erweise: die Verteidigung der Kreuze, die der stellvertretende PO-Vorsitzende Rafał Trzaskowski in Warschau aus dem öffentlichen Leben verbannen wolle, oder die Abscheu vor diesem Skandal? Auf der anderen Seite könnten die Wähler der Regierungskoalition, insbesondere der Bürgerplattform, motiviert sein, die Anstrengung zu unternehmen, wählen zu gehen und die PiS zu bestrafen. Und zu verhindern, dass die PiS die Genugtuung eines weiteren Punktsiegs gegen die Bürgerplattform in Folge habe, so Michał Szułdrzyński in der Rzeczpospolita.
Gazeta Wyborcza: Flüchtender Obajtek
Stichwort Orlen. Der ehemalige Vorstand des Konzerns, Daniel Obajtek, der heute von der Liste der Recht und Gerechtigkeit bei den Europawahlen kandidiert, tut alles, um vor den Europawahlen für die Behörden nicht auffindbar zu sein, schreibt in der heutigen Ausgabe die linksliberale Gazeta Wyborcza. Der Grund: Wenn Obajtek noch vor den Wahlen eine Anklage von der Staatsanwaltschaft erhalten würde, würde ihn keine Immunität schützen.
In Podkarpacie, wo er als Spitzenkandidat der PiS-Liste antritt, lesen wir, erscheine Obajtek bei Veranstaltungen und Treffen mit Wählern. Er prahle damit in seinen sozialen Medien und mache sich über diejenigen lustig, die behaupten, er sei aus Polen geflohen. Die Wahrheit sei jedoch komplizierter. So habe etwa das Team von Polsat am Sonntag eine interessante Erfahrung mit Daniel Obajtek gemacht. Die Journalisten hätten ein Interview mit ihm geführt, aber bis zum Ende nicht gewusst, wohin sie genau fahren und mit wem sie sprechen würden. In letzter Minute hätten sie durch einen Vermittler erfahren, dass sie nach Leszczawa Dolna im Landkreis Przemyśl fahren sollten. Dort sei Obajtek als Gast eines Picknicks zum Muttertag erschienen. Das sei auch für die Einwohner eine Überraschung gewesen. Denn Obajtek sei an diesem Tag auf einem Fest in Górno im Landkreis Rzeszów erwartet worden. Am Dienstag habe der ehemalige Orlen-Präsident vor dem Untersuchungsausschuss zur Visum-Affäre erscheinen sollen. Er habe sich jedoch vor dem Termin gedrückt und erklärt, er habe keine „ordnungsgemäß zugestellte Vorladung“ erhalten und werde nicht die „Zirkusaffe“ des Ausschussvorsitzenden Michał Szczerba (Bürgerkoalition) sein. Wie das Blatt erinnert, habe der Ausschuss zuvor versucht, Obajtek die Vorladung zuzustellen, aber die Polizei habe den Zeugen unter keiner der sieben angegebenen Kontaktadressen gefunden. Es habe sich herausgestellt, dass nicht nur der Ausschuss, sondern auch die Staatsanwaltschaft und die Zentrale Antikorruptionsbehörde CBA den ehemaligen CEO suchen. In einer der drei Ermittlungen zu Unregelmäßigkeiten bei Orlen sei Obajtek für den 3. Juni bei der Staatsanwaltschaft in Warschau vorgeladen worden. Auch dort nehme er die Benachrichtigungen nicht entgegen.
Der Grund sei einfach: Wenn Obajtek Europaabgeordneter werde (und einen Sieg als Spitzenkandidat der PiS-Liste habe er sicher), würde ihn Immunität vor den Anklagen schützen. Aber wenn er die Anklagen vorher erhielte (z.B. nach der Anhörung am 3. Juni), würde die Immunität diese nicht abdecken. Genau deshalb, um ohne Anklagen bis zu den Wahlen zu kommen, vermeide Obajtek nicht nur den Untersuchungsausschuss, sondern auch das Erscheinen vor der Staatsanwaltschaft. Deshalb bleibe der ehemalige Orlen-Chef auch nachts nicht in Polen, sondern übernachte in der Slowakei oder in Ungarn. Er fahre in Begleitung ehemaliger Geheimdienstagenten ein, habe kein Telefon bei sich, um nicht über das Signal geortet werden zu können, und für längere Interviews treffe er sich gerne in Wien, lesen wir in der Gazeta Wyborcza.
Autor: Adam de Nisau