Deutsche Redaktion

Kritik an geplantem EU-Verfahren gegen Polen: "Sicherungen ja, aber flexibler"

24.06.2024 13:30
Unverantwortlich ist nicht die Überschreitung des maximalen zulässigen Haushaltsdefizits durch Polen, sondern das sture Festhalten an numerischen Regeln durch die EU, sagt der Mitvorsitzende des Polnischen Netzwerks für Ökonomie. Sikorski will nicht nach Brüssel, weil er weiß, wo die reale Macht ist. Und: Ein Sieg der Polen gegen Österreich und die Niederlande wäre schön aber unlogisch. Die Einzelheiten zu diesen Themen in der Presseschau.
Rząd: PKB w 2025 r. wzrośnie o 3,7 proc.
Rząd: PKB w 2025 r. wzrośnie o 3,7 proc.Shutterstock/PerlaStudio

Dziennik/Gazeta Prawna: Sicherungen ja, aber flexibler

Das angekündigte EU-Verfahren wegen übermäßigen Defizits gegen Polen bleibt ein wichtiges Thema in der polnischen Presse. Der Mitvorsitzende des Polnischen Netzwerks für Ökonomie und Dozent an der Leon-Koźmiński-Akademie Jan Oleszczuk-Zygmuntowski sieht die Entscheidung der EU-Kommission kritisch. Das ursprüngliche Ziel des Verfahrens und der damit verbundenen numerischen Regeln, so der Experte, sei es gewesen, die unverantwortlichen Handlungen der Regierungen zu begrenzen. Heute scheine es jedoch vor allem unverantwortlich, an eben diesen Regeln stur festzuhalten. Wie Zygmuntowski betont, seien alle numerischen fiskalischen Regeln, die in vielen Ländern, einschließlich der EU, eingeführt werden, willkürlich festgelegt worden. Es gebe keine wissenschaftliche Literatur, die genau 3 Prozent des Defizits als übermäßig rechtfertige. Mehr noch: Seit den letzten Krisen, insbesondere der Pandemie von 2020, bestehe ein neuer Konsens unter Ökonomen, laut dem numerische fiskalische Regeln sinnlos seien. Sie würden uns gerade dann beschränken, wenn erhöhte Ausgaben notwendig seien. Denn in Krisenzeiten, wenn das BIP sinkt, steige die Verschuldung im Verhältnis dazu in der Regel sprunghaft an. Es gebe eigentlich keinen passenderen Moment für eine Intervention als in Zeiten eines Rückgangs des Bruttoinlandsprodukts. Die Pandemie habe gezeigt, dass auf makroökonomischen Aggregaten basierende Regeln zu starr sind. Deshalb  hätten viele Länder auch auf außerbudgetäre Fonds zurückgegriffen. Starre Regeln sollten durch fiskalische Standards oder einen gesellschaftlichen Fiskalrat ersetzt werden. Denn Sicherungen seien notwendig, müssten aber flexibler und kontextsensitiver sein.

Gerade die Tatsache, dass in den vier Jahren seit dem Ausbruch der Pandemie keine numerischen Regeln galten und die EU erhöhten Defiziten zustimmte, so der Experte weiter, zeige die Sinnlosigkeit solcher Regeln. Denn in Situationen, die sie testen, würden sie schnell ausgesetzt werden müssen. Der Ausklang der Pandemie sei eine Gelegenheit gewesen, die Regeln zu überarbeiten und ein neues System des öffentlichen Finanzmanagements zu starten, aber leider ziehe die Kommission es vor, einen Schritt zurück zu machen. Wie viele Ökonomen, so Zygmuntowicz, halte er dies für einen Fehler, der unsere Chancen im Wettbewerb mit den USA, China und bei der Abwehr der russischen Aggression begraben könnte.

Wie der Experte hinzufügt, seien zudem die Militärausgaben der „defizitäre Elefant im Raum“. Übermäßige Ausgaben für das Militär würden fast die Hälfte des gesamten Haushaltsdefizits ausmachen. Polen sollte daher verhandeln und sagen: „Wenn wir ein übermäßiges Defizit haben, das aber aus Militärausgaben resultiert, greift die Verteidigungsklausel und wir tun nichts. Wenn ihr wollt, dass das Defizit sinkt, müsst ihr einen Teil unserer Militärausgaben übernehmen.“ Ein harter Kampf um Sicherheit könnte Europa, insbesondere Deutschland, endlich zum Nachdenken bringen, was den Unsinn starrer Limits angeht, so Jan Oleszczuk-Zygmuntowski im Gespräch mit Dziennik/Gazeta Prawna. 

Rzeczpospolita: Sikorski hat nicht den Fehler von Tusk gemacht

Indem er bekannt gegeben hat, dass er in Warschau bleibt, hat der polnische Außenminister gezeigt, dass er sich nicht nur von den Komplexen gegenüber dem Westen befreit hat, sondern auch, dass er im Gegensatz zu Donald Tusk im Jahr 2014 versteht, wo die reale Macht in der EU liegt, schreibt in seinem Kommentar für die konservativ-liberale Rzeczpospolita der Publizist Jędrzej Bielecki.

Unter den drei Präsidenten des Europäischen Rates, die die Gemeinschaft bisher gehabt habe, erinnert Bielecki, seien zwei Belgier gewesen: Herman Van Rompuy und Charles Michel. Aber nicht etwa, weil das kleine Königreich eine außergewöhnliche Talentschmiede sei, sondern weil es sich um eine Position handele, die für die Anführer großer Länder nicht attraktiv sei. Eine Ausnahme sei Donald Tusk gewesen. Auf Anraten von Angela Merkel sei der Premierminister für fünf Jahre nach Brüssel gegangen. In der Absicht der Kanzlerin habe dies eine Anerkennung der Rolle der neuen Mitgliedstaaten in der Union sein sollen. Der Preis für Polen habe sich jedoch als außerordentlich hoch erwiesen. Ohne einen Bürgerplattform-Chef von Tusks Format habe die PiS für acht lange Jahre die Macht im Lande übernommen.

Anstatt ein Star der erweiterten Gemeinschaft zu werden, so Bielecki, habe sich unser Land neben Ungarn zur Hauptquelle von Konflikten in der Union entwickelt und die Grundlagen der Integration - Rechtsstaatlichkeit und Demokratie -  in Frage gestellt. Das Experiment habe sich auch für Deutschland als kostspielig erwiesen: Seit dem Fall des Kommunismus seien die Beziehungen zwischen Warschau und Berlin nie so schlecht gewesen wie unter der Regierung von Jarosław Kaczyński.

Tusk habe zwar nie offen zugegeben, einen Fehler gemacht zu haben, indem er nach Brüssel gegangen sei. Aber er habe daraus gelernt. Er sei in das Land zurückgekehrt und habe die PiS von der Macht entfernt. Er habe auch verstanden, dass es sich nicht lohnt, seinen wichtigsten Minister für eine mehr oder weniger bedeutende Funktion in der europäischen Zentrale aufzugeben.

Aber nicht nur der Premierminister habe öffentlich gesagt, dass er Radosław Sikorski nicht in Brüssel sieht. Auch der Minister selbst habe erklärt, warum er nicht nach Belgien gehen wolle. Der wichtigste Grund sei die Antwort auf die Frage, wo die reale Macht liege: in der belgischen Hauptstadt oder in den Hauptstädten der wichtigsten Nationalstaaten? Nach der Niederlage von Emmanuel Macron und Olaf Scholz bei den Europawahlen am 9. Juni sei klar, dass die EU in den kommenden fünf Jahren keine wesentliche institutionelle Reform durchführen werde: Es gebe niemanden, der dies tun könne. Der Posten des Kommissars für Verteidigung, für den Sikorski vorgesehen gewesen sei, sei eine Funktion, deren Name schön klinge. Einige könnten vielleicht vom „Verteidigungsminister“ der Union sprechen, so wie man manchmal von Josep Borrell als „Außenminister“ der Gemeinschaft spreche. Aber das seien nur nette Formulierungen. Denn die Europäische Union habe keine gemeinsame Politik, weder in der Verteidigung noch in der Außenpolitik. Diese werde in jedem der 27 Länder der Gemeinschaft geschmiedet. Auch in Warschau, wo Radosław Sikorski bleiben wird, schreibt Jędrzej Bielecki in der Rzeczpospolita.

Gazeta Wyborcza: Wer hat uns den Fußball verdorben?

Und noch ein kurzer Kommentar zum Ausscheiden der polnischen Nationalelf aus der Euro 2024. Wenn Polens Fußballspieler die Niederlande und Österreich besiegt hätten, wäre das sehr erfreulich, aber auch völlig unlogisch gewesen, schreibt Dariusz Wołowski in der linksliberalen Gazeta Wyborcza. Die Mannschaft von Nationaltrainer Michał Probierz, so der Autor, sei die letzte gewesen, die sich für die Euro 2024 qualifiziert habe, und sie sei auch der natürliche Kandidat gewesen, das Turnier als erste zu verlassen. Und genau das sei passiert.

Natürlich funktioniere diese Logik nicht immer. Die Mannschaft von Jerzy Engel etwa sei die erste gewesen, die sich für die Weltmeisterschaft in Korea und Japan 2002 qualifiziert habe. Aber sie sei auch schon nach zwei Spielen ausgeschieden. Damals hätten die polnischen Fußballfans gelernt, dass die polnischen Fußballspieler bei großen Turnieren in der Regel ein Schlüsselspiel, ein Alles-oder-nichts-Spiel und ein Spiel um die Ehre bestreiten. Am Dienstag würden sie nun auch bei diesem Turnier um die Ehre gegen die Franzosen – die Vizeweltmeister und einen der Favoriten der Euro 2024 – spielen. Und es sei sehr wahrscheinlich, dass das Aufeinandertreffen mit der dritten Niederlage enden werde.

Es, so der Autor, sei zudem auch logisch, dass der polnische Fußball schwach sei. Man müsse nur einen Blick auf den polnischen Fußballverband PZPN werfen, der von einem Mann geführt werde, der einen Skandal nach dem anderen auslöse. Die Funktionäre würden in ihrer eigenen Welt leben – vom Fußball, aber nicht für ihn. Vor einem Jahr habe der Kapitän der Nationalmannschaft, Robert Lewandowski, deutlich gemacht, dass in den Flugzeugen, die die Funktionäre zu den Spielen brächten, ein Alkoholtester nützlich wäre. Und was sei passiert? Niemandem im PZPN sei etwas geschehen. Präsident Cezary Kulesza müsste sich schließlich selbst entlassen. Er denke, Kuleszas Liebe zum polnischen Fußball gehe nicht so weit, schreibt Dariusz Wołowski in der Gazeta Wyborcza. 

Autor: Adam de Nisau


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