Deutsche Redaktion

Scholz in Warschau: Nichts Neues

03.07.2024 11:00
Während einige Kritik an den vagen Versprechen Scholz' üben, betonen andere die Notwendigkeit konkreter Maßnahmen. Ein Experte für Körpersprache analysiert zudem das politische Verhältnis der beiden Staatsmänner nach der Visite in Warschau.
Die Hauptthemen der Scholz-Visite in Warschau waren die Strkung der stlichen Grenzen sowie Entschdigungszahlungen fr polnische NS-Opfer.
Die Hauptthemen der Scholz-Visite in Warschau waren die Stärkung der östlichen Grenzen sowie Entschädigungszahlungen für polnische NS-Opfer.PAP/Marcin Obara

RZECZPOSPOLITA: Viel Zeit gibt es nicht

Während der Pressekonferenz des polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk und des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz, die das erste zwischenstaatliche Treffen seit vielen Jahren zusammenfasste, hörte man allzu oft: „Wir beginnen, über Details zu sprechen, wir diskutieren, wir bereiten uns vor, wir starten mit Schwung“. Das klinge nicht besonders gut, wenn es um das Thema der Aufarbeitung der Verbrechen des Dritten Reiches gehe, schreibt Jerzy Haszczyński in seinem Kommentar in der Tageszeitung Rzeczpospolita.

Die Partei Recht und Gerechtigkeit habe zwei Legislaturperioden lang für Billionen-Reparationen gekämpft. Die neue polnische Regierung fordere keine Reparationen. Vielmehr möchte sie, wie der Chef des Außenministeriums Radosław Sikorski vor einigen Monaten zum Ausdruck gebracht habe, dass die deutsche Regierung in der Frage der Reparationen für Polen und die Polen Kreativität zeige.

Leider habe sie diese Kreativität nicht gezeigt. Und es bleibe nicht mehr viel Zeit, in einem Jahr seien Wahlen in Deutschland, bei denen die Partei des Bundeskanzlers und ihre Koalitionspartner nicht zu den Favoriten gehören würden. Die schwache Regierung von Olaf Scholz, die sich immerhin - wie die Pressekonferenz zeigte - der Bedeutung der Zusammenarbeit mit Polen in der wichtigsten Frage, nämlich der Sicherheit und dem Krieg in der Ukraine, bewusst sei, hätte viel mehr Kreativität oder überhaupt Kreativität zeigen müssen.

Aber es habe an Fantasie für etwas Neues gefehlt, wie wir am Dienstag von Bundeskanzler Scholz nachdrücklich hörten. Es habe nur die Idee der finanziellen Unterstützung für die noch lebenden Opfer deutscher Verbrechen und der Errichtung einer Gedenk- und Bildungsstätte in Berlin, des Deutsch-Polnischen Hauses, gegeben.

Im Übrigen handelt es sich dabei um Ideen ohne Details wie die Höhe der Unterstützung oder den Eröffnungstermin des Deutsch-Polnischen Hauses. Beides sei bereits während der Regierung von Recht und Gerechtigkeit bekannt gewesen. Berlin gebe zu, dass die deutsche Öffentlichkeit zu wenig über das Ausmaß der deutschen Verbrechen im besetzten Polen wisse. Wann werde sie mehr erfahren? – fragt der Publizist.

Acht Jahrzehnte seien seit dem Zweiten Weltkrieg vergangen. Die letzte Kriegsgeneration in Polen sterbe langsam aus. Wenn es keine Großeltern mehr gibt, die ihren Enkeln von ihren tragischen Erlebnissen erzählen, werde der Zweite Weltkrieg so abstrakt wie der Erste Krieg oder der Januaraufstand. Man steuere in eine andere Dimension der Geschichtspolitik. Und das in Zeiten, in denen ein anderer großer Krieg mit Verbrechen und Besatzung direkt vor der Tür stehe, schreibt Jerzy Haszczyński in der Rzeczpospolita. 

WIRTUALNA POLSKA: Wo bleiben konkrete Zahlen? 

Auf einer gemeinsamen Konferenz mit Ministerpräsident Donald Tusk sagte Bundeskanzler Olaf Scholz, Deutschland sei sich seiner großen Schuld und Verantwortung für die eine Million Opfer der deutschen Besatzung bewusst und werde versuchen, Unterstützung für die Überlebenden zu leisten. Die Einzelheiten dieser Unterstützung und die Zahl der Empfänger sind jedoch unbekannt, informiert das Portal Wirtualna Polska. Die Pressekonferenz habe in Polen hohe Wellen geschlagen.

Zbigniew Bogucki von der Partei Recht und Gerechtigkeit meint, dass es eine Unverschämtheit sei, 79 Jahre nach Kriegsende solche Erklärungen abzugeben. Er erinnert daran, dass es nur noch wenige Überlebende der deutschen Besatzung gebe. Wiedergutmachung und Entschädigung sei die Pflicht Deutschlands, die es gegenüber Polen und den polnischen Bürgern nie in ausreichendem Maße erfüllt habe, und nicht sein guter Wille, meint der konservative Abgeordnete.

Anna Maria Żukowska von der Linken warf Scholz vor, in der Frage der Reparationen eine unverständliche Sprache zu verwenden. Auch an Bösartigkeit habe es nicht gemangelt. Er habe nicht einmal gesagt, dass die Deutschen die Opfer unterstützen würden, sondern dass sie sich bemühen würden. Und es gehe nur um diejenigen, die es geschafft hätten, die Besatzung zu überleben. Wie solle die Hilfe denn aussehen? Würden Blumen zur Beerdigung geschickt? ärgert sich die Abgeordnete. Ihrer Meinung nach hätte Donald Tusk, der neben Scholz stand, stärker reagieren müssen, als er solche Worte hörte.

Ein Kanzler Deutschlands, der größten Volkswirtschaft Europas und einer der größten Volkswirtschaften der Welt, der sage, dass sein Land versuchen werde, Unterstützung für die Überlebenden der deutschen Besatzung Polens zu leisten, sei ein Kanzler, der deutlich mache, dass Deutschland sich dieser Verantwortung nicht stelle, sagte indes der Journalist Jakub Wiech. Er betonte, dass eine Versöhnung, bei der die Seite, die den Schaden verursacht hat, die geschädigte Seite nicht ernst nehme, keine Versöhnung sei. 

FAKT: Was zeigt der Körper 

Łukasz Kaca, Experte für Körpersprache, bewertet im Interview mit der Tageszeitung Fakt das Verhältnis zwischen Donald Tusk und Olaf Scholz nach ihrer gemeinsamen Pressekonferenz.

Politische Zuneigung sei durchaus zu spüren gewesen, nicht unbedingt eine kollegiale, aber auf jeden Fall eine politische. Man habe gemerkt, dass die Herren in diesem Gespräch nicht gegeneinander stehen wollten, sondern dass es verbindend sein sollte, was auch gerade in der Botschaft deutlich wurde, wo die Herren direkt betont haben, dass es um den Aufbau der polnisch-deutschen Freundschaft gehe, sagt der Experte.

Olaf Scholz habe vermittelt, dass sich Deutschland um die Unterstützung der Überlebenden der Besatzung bemühen werde und dass eine Gedenkstätte für die polnischen Opfer geschaffen werden solle. Łukasz Kaca wies darauf hin, dass dieses Thema dem deutschen Bundeskanzler nicht sehr gelegen komme.

Die Wiedergutmachung sei bekanntlich ein problematisches Thema, und es sei offensichtlich gewesen, dass der Bundeskanzler das Thema recht schnell abschloss. Er habe sogar erklärt, dass er die Frage eines Journalisten nicht ganz verstanden habe, und es sei ein klassisches Ausweichmanöver gewesen, um sich einen Moment Zeit zum Nachdenken zu verschaffen. Dann sei alles wieder seinen gewohnten Gang gegangen, und die Herren schweiften sanft vom Thema ab. Die Atmosphäre sei nicht aufgeheizt gewesen. Sie hätten beide auf ein Ziel hingearbeitet, erklärt der Körpersprache-Experte in der Zeitung Fakt.


Autor: Jakub Kukla

 

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