Deutsche Redaktion

"Wir brauchen einen Klimaschutzschild"

17.09.2024 11:37
In den heutigen Ausgaben der Tagesblätter mehren sich die Appelle um eine langfristige Strategie in Bezug auf den Hochwasserschutz, die den Klimawandel ernst nimmt. Und: Wird die Zusammensetzung der neuen EU-Kommission den ambitionierten Zielen gerecht, von denen noch vor einigen Monaten die Rede war? Die Einzelheiten in der Presseschau. 
Kłodzko, 15.09.2024. Dynamische Hochwasserlage. Der Fluss Nysa Kłodzka berflutet Kłodzko. Das Genueser Tief, das am Donnerstag, den 12. September, ber Polen hinwegzog, ist fr den derzeitigen Wetterumschwung und die starken Regenflle vor allem in Niederschlesien verantwortlich. (aldg) PAPMaciej Kulczyński
Kłodzko, 15.09.2024. Dynamische Hochwasserlage. Der Fluss Nysa Kłodzka überflutet Kłodzko. Das Genueser Tief, das am Donnerstag, den 12. September, über Polen hinwegzog, ist für den derzeitigen Wetterumschwung und die starken Regenfälle vor allem in Niederschlesien verantwortlich. (aldg) PAP/Maciej KulczyńskiPAP/Maciej Kulczyński

Rzeczpospolita: Wir brauchen einen Klimaschutzschild

Um uns angesichts des fortschreitenden Klimawandels vor Hochwasser zu schützen, müssen wir in Zukunft viel langfristiger denken, mahnt der Publizist Cezary Szymanek in der konservativ-liberalen Rzeczpospolita. Wie der Publizist betont, sei in den letzten Jahren ein sprunghafter Anstieg der Zerstörungskosten durch Regen, Überschwemmungen, Hurrikane, Hitzewellen, Dürren und Brände zu beobachten gewesen. Wenn die Politik weiterhin nur darauf ausgerichtet sein werde, bis zu den nächsten Wahlen zu überleben, werde sich die Situation noch weiter verschlimmern.

Japanische Ökonomen, lesen wir, hätten errechtet, dass ohne politische Veränderungen jetzt, wenn wir also so handeln, als ob es keine Klimakrise gäbe, die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen von Überschwemmungen in Japan bis 2100 um das 5,4-Fache im Vergleich zu 2000 steigen werden. Wenn wir indes versuchen, eine Null-Emissions-Wirtschaft bis 2050 anzustreben, würde dieser Einfluss "nur" um das 1,4-Fache zunehmen.

In den letzten paar Tagen würden wir in Polen leider wieder eine politische Lizitation darüber beobachten, wer mehr für den Hochwasserschutz getan habe. Stattdessen sollte unter den politischen Parteien Einigkeit herrschen, dass der Kampf gegen die Klimakrise – so pathetisch es klingen möge – unsere Staatsräson ist. So wie sich die Polen unter der Flagge vereinen und den "Schutzschild Ost" (militärische Verteidigung) unterstützen können, sollten wir uns für einen "Klimaschutzschild" zusammenfinden, appelliert Szymanek.

Die letzten Tage hätten deutlich gezeigt, dass der Green Deal der EU eine Chance und keine Bedrohung sei. Junge Menschen von der Bewegung "Letzte Generation" würden lediglich fordern, dass die heute Entscheidenden berücksichtigen, dass sie die Welt gestalten, in der die Jugend leben müsse. Und es werde nicht besser werden. So habe etwa die Organisation C40 Cities, die die 100 größten Städte der Welt vereint, in einem Bericht prognostiziert, dass bis 2050 das Gesamtvolumen der Überschwemmungen in diesen Städten 10,5 Millionen Kubikmeter jährlich betragen werde - das sei so, als ob man die große Pyramide in Gisa umkehren und mit Wasser füllen würde - nicht ein- sondern 4,5 Mal, so Cezary Szymanek in der Rzeczpospolita.

Dziennik/Gazeta Prawna: Extrem viel zu verlieren

Zu ähnlichen Schlüssen kommt Marceli Sommer, der im Wirtschaftsblatt Dziennik/Gazeta Prawna die finanziellen Risiken und Kosten analysiert, die Polen durch extreme Wetterereignisse drohen. Zwar, so der Autor, seien eine Milliarde Złoty in der Haushaltsreserve für die Bedürfnisse von Orten und Menschen, die von Überschwemmungen betroffen sind, vorgesehen, doch in der langen Perspektive werde dies nur ein Bruchteil der zu erwartenden Verluste sein.

Sommer verweist auf historische Daten, wonach die größten Überschwemmungen in den letzten Jahrzehnten in Polen Schäden in Höhe von entsprechend 22 und 13,6 Milliarden Złoty verursacht haben (zu Preisen von 2020). Selbst bei deutlich milderen Überschwemmungen, wie etwa im Jahr 2001, hätten sich die Verluste auf 4,5 Milliarden Złoty belaufen.

Nach den Erfahrungen aus der Vergangenheit, so Sommer, habe man in Polen milliardenschwere Investitionen in Hochwasserschutzinfrastruktur getätigt, zu denen unter anderem der Bau des Reservoirs in Racibórz gehört, das im Falle einer ähnlichen Katastrophe wie 1997 die Verluste um über 2 Milliarden Złoty reduzieren sollte. Doch sogar solche Nutzen würden im Vergleich zu den potenziellen Schäden verblassen. Analysen des Gemeinsamen Forschungszentrums der Europäischen Kommission würden zeigen, dass Polen innerhalb der EU zu den Ländern gehört, die am stärksten von Überschwemmungen bedroht sind. Laut einem Bericht von 2020 würden Flutkatastrophen bereits unter den derzeitigen Klimabedingungen hierzulande Verluste von mehr als 0,5 Milliarden Euro pro Jahr verursachen. Dies entspreche etwa 0,14 Prozent des BIP, was mehr als doppelt so hoch sei wie die diesbezüglichen Durchschnittskosten der EU-Volkswirtschaften

Und in den kommenden Jahren würden die erwarteten Belastungen aufgrund des Klimawandels weiter steigen. Sollte das Ziel des Pariser Abkommens verfehlt werden und die Erwärmung bis 2100 auf 3 Grad Celsius ansteigen, könnte das Risiko für die polnische Wirtschaft um etwa 50 Prozent zunehmen, auf fast 0,3 Prozent des BIP jährlich – bis zu dreimal höher als für eine typische EU-Wirtschaft, schreibt Marceli Sommer in Dziennik/Gazeta Prawna. 

Rzeczpospolita: Eine Kommission ohne politische Macht

Und noch ein Kommentar zur für heute geplanten Vorstellung der Zusammensetzung der neuen EU-Kommission. Angesichts des Kriegs in der Ukraine und der Gefahr, dass Donald Trump in den USA an die Macht zurückkehrt, sollte Brüssel eigentlich neue Befugnisse erhalten. Das ist nicht geschehen. Dies ist sicherlich nicht die Vision der ehrgeizigen EU, von der vor nicht allzu langer Zeit die Rede war, schreibt dazu in einer aktuellen Stellungnahme der Publizist der Rzeczpospolita Jędrzej Bielecki. 

Die Präsentation der neuen Europäischen Kommission durch Ursula von der Leyen, beobachtet der Autor, falle mit dem Vorschlag der niederländischen Regierung zusammen, Grenzkontrollen wieder einzuführen. Damit würde sich nach Deutschland ein weiterer Gründerstaat der EU vorbereiten, dem Schengen-Abkommen, neben dem Euro einem der sichtbarsten Symbole der europäischen Integration, einen schmerzhaften Schlag zu versetzen. Beide Entscheidungen würden dasselbe beunruhigende Phänomen signalisieren: die Schwäche der Europäischen Gemeinschaft. 

Nach der russischen Invasion in der Ukraine habe man viel über die Notwendigkeit gesprochen, die EU-Kommission zumindest in zwei Bereichen zu stärken: der Außen- und der Verteidigungspolitik. Insbesondere angesichts der wachsenden Wahrscheinlichkeit einer Wiederwahl Trumps, der mehrfach signalisiert habe, die USA aus der NATO zurückziehen zu wollen. 

Vor einigen Monaten hätten sich führende EU-Länder, darunter Frankreich und Polen, daher noch dafür eingesetzt, dass die Europäische Kommission einen Verteidigungskommissar einsetzen sollte. Es habe sogar Spekulationen gegeben, dass Radosław Sikorski seine Position als polnischer Außenminister aufgeben könnte, um in Brüssel diese Rolle zu übernehmen. Doch diese Pläne seien nun Geschichte. Kein großes EU-Land strebe derzeit an, die Verantwortung für Verteidigungsangelegenheiten in Brüssel zu übernehmen. Dieses Feld werde nun wahrscheinlich einem kleineren Mitgliedsstaat überlassen.

Wichtige Entscheidungen und große Finanzmittel für die Verteidigung würden heute nicht in Brüssel, sondern in den Hauptstädten der Mitgliedsstaaten verteilt. Ein Beispiel dafür sei das von Deutschland geführte Raketenabwehrprojekt "Sky Shield", das mit Beteiligung der USA und Israels umgesetzt werde und kein EU-Projekt sei. Auch die Position des Hohen Vertreters für die Außen- und Sicherheitspolitik werde von Kaja Kallas, der ehemaligen Premierministerin Estlands, einem Land mit der Bevölkerungsgröße der Woiwodschaft Podlachien, übernommen.

Die Europäische Kommission sei nur so stark, wie ihre Mitgliedstaaten, vor allem die wichtigsten. Frankreich und Deutschland seien heute mit sich selbst und innenpolitischen Krisen beschäftigt, in Italien und den Niederlanden würden bereits die extremen Rechten regieren. In dieser Situation kehre die Europäische Kommission zu ihrer traditionellen Rolle zurück: der eines Sekretariats im Dienste der Mitgliedstaaten.

Auch Polen ziehe daraus seine Schlüsse und entsende zwar einen fähigen Beamten, Piotr Serafin, nach Brüssel, jedoch keinen Spitzenpolitiker aus der ersten Liga, wie Radosław Sikorski. Serafin werde sich mit der Vorbereitung des Budgets für die Jahre 2028-2035 befassen - einem Zeitrahmen in dem Polen zu einem Nettozahler werden könnte, was für die Gesellschaft schwer zu akzeptieren sein werde. Inwiefern Polen im buchhalterischen Sinne seine Interessen verteidigen könne, werde damit der Maßstab des Erfolgs sein. Dies sei jedoch sicherlich nicht die Vision eines ehrgeizigen Europas, von der vor nicht allzu langer Zeit noch die Rede war.

Autor: Adam de Nisau


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