Deutsche Redaktion

Bereitet sich der Kreml auf ein neues Jalta vor?

13.01.2025 12:20
Der designierte US-Präsident Donald Trump hat am Donnerstag Vorbereitungen für ein Treffen mit Wladimir Putin angekündigt. Auch der Kreml habe die Möglichkeit eines solchen Treffens bestätigt. Geht es Putin nur um einen Waffenstillstand in der Ukraine? Wie Ruslan Schoschin in der Rzeczpospolita schreibt, habe Putin nicht deshalb den größten bewaffneten Konflikt in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg ausgelöst.
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Bild:twitter.com/Defence of Ukraine

Wie wir lesen, gehe es dem Kreml nicht nur um die Besetzung von 20 Prozent des ukrainischen Territoriums. So viel würden russische Truppen derzeit im Osten der Ukraine kontrollieren. Der russische Diktator werde eher um jeden Preis versuchen, ein Abkommen abzuschließen, das keine substanziellen Sicherheitsgarantien für die Ukraine, die Aussicht auf eine NATO-Mitgliedschaft und sicherlich die Anwesenheit von Truppen aus nuklear bewaffneten Staaten beinhalten würde.

Schoschin nach wisse Putin sehr wohl, dass ein eingefrorener Krieg (wie in den Jahren 2014-2022) westliche Investoren vom Wiederaufbau der Ukraine abhalten würde. Die Aussicht auf eine Mitgliedschaft in der EU wäre auch nicht möglich. Auch die Probleme der ukrainischen Regierung würden schon am Tag nach dem Waffenstillstand deutlich zunehmen. Die Wirtschaft sei durch russische Raketen zerstört worden. Fast die Hälfte des Staatshaushalts stamme aus vor allem amerikanischen Krediten, lesen wir.

Jüngste Umfragen würden auch eine immer schwierigere Lage des ukrainischen Präsidenten zeigen, fährt der Autor fort. Immer mehr Ukrainer sollen demnach Wolodymyr Selenskyj nicht mehr vertrauen. Vor zwei Jahren hätte ihm noch 90 Prozent der Ukrainer geglaubt. Unklar bleiben zudem nicht nur die Bedingungen eines Waffenstillstands, aber auch die Reaktion des Militärs darauf.

Putin indes gehe es vor allem darum, dass seine Vereinbarung mit Trump für Selenskyj so kompromittierend wie möglich ausfalle. So würde er einen weiteren Krieg entfesseln. Diesmal aber einen zwischen den Ukrainern selbst, heißt es.


Vielen russischen Kommentatoren nach werde es bei den Gesprächen Putins mit Trump nicht nur um die Zukunft der Ukraine gehen. In Moskau sehe man darin eher den Auftakt zu einem neuen Jalta, zu einer neuen Weltordnung. Putin werde dem US-Präsidenten wahrscheinlich eine Liste seiner imperialen Ambitionen vorlegen. Sicherlich werde es um Belarus gehen, wo er seine Atomwaffen stationiere. Er dürfe nicht zulassen, dass pro-westliche Kräfte in Minsk die Macht übernehmen, wenn Lukaschenko nicht mehr da wäre.

Auch Georgien oder Armenien könnten ein Thema sein. Unabhängig davon, wer dort an der Macht sei, dürften beide Staaten Moskau nach niemals Teil der NATO oder der EU werden. Deshalb könnte auch dort der Krieg jederzeit aufflammen, schreibt Ruslan Schoschin für die Rzeczpospolita. 

DoRzeczy: Ukrainer wollen nicht mehr kämpfen 

Wie indes das Wochenblatt DoRzeczy schreibt, überwiege in der Ukraine die Kriegsmüdigkeit allmählich den Willen, den Aggressor zu bekämpfen. Immer mehr Soldaten würden dort desertieren. Auch prorussische Politiker würden aus dem Schatten treten und auf ihre „fünf Minuten“ warten. Die Ukrainer sollen sich langsam an den Gedanken von Frieden und Zugeständnissen an Russland gewöhnen, lesen wir.

Als Beispiel nennt das Blatt die angebliche Desertion von 1.700 Soldaten der neu gebildeten 155. mechanisierten Brigade noch vor der Feuertaufe. Unmittelbar nach der ersten Schlacht habe der Kommandeur seinen Posten verloren. Ein anderer soll an einem Herzinfarkt gestorben sein. Dies habe am Silvesterabend der bekannte ukrainische investigative Journalist Juri Butusow berichtet. Die Brigade soll im vergangenen Jahr teilweise in Frankreich aus 4.500 Soldaten gebildet worden sein. Schon bei ihrer Aufstellung im Ausland sollen 50 Personen ausgetreten sein. Manche sollen die Einheit deshalb sogar eine „Zombie-Brigade“ nennen. Die Deserteure selbst sollen gegenüber den Medien erklärt haben, dass sich die Gefängnistür eines Tages wieder öffnen müsse. Ein Sarg aber bleibe für immer geschlossen.

Einem der Deserteure zufolge sei die militärische Ausbildung der Brigade selbst in Frankreich absolut unzureichend gewesen. Trotzdem soll er dann zum Kommandeur einer Einheit ernannt worden sein. Allein im November 2024 wurden in der Ukraine 19.000 neue Strafverfahren wegen Desertion eingeleitet, lesen wir. Im Vergleich dazu seien es im Oktober ca. 9.500 und im Januar 3.500 solcher Fälle gewesen. Seit dem Einmarsch der Russen habe man bis zum 1. Dezember letzten Jahres insgesamt 115.000 Fälle der Flucht aus dem Militär registriert.

Desertionen sollen sogar außerhalb der Ukraine stattfinden. Wie die Financial Times Ende letzten Jahres berichtet hat, sollen jeden Monat 12 ukrainische Soldaten während der Übungen in Polen fliehen. Dies sei schließlich eine perfekte Gelegenheit für diejenigen, die nicht an der Front sterben wollen, heißt es am Schluss in DoRzeczy. So müssten sie keine Bestechungsgelder an ihre Grenzsoldaten zahlen oder ihr Leben beim Überqueren der Theiß riskieren.


 

Gazeta Wyborcza: Russlands Eliten wollen ein Ende des Krieges 

In Russland sieht die Kriegslaune ebenfalls nicht so rosig aus. Die russischen Eliten sollen mit den Folgen des Krieges in der Ukraine unzufrieden sein. Einige Beamte seien mit Putins Haltung nicht einverstanden. Viele hätten Angst vor der Zukunft, schreibt das Portal der Tageszeitung. mit Bezug auf Berichte des unabhängigen russischen Portls Meduza.io. Auch die russische Bevölkerung wünsche sich ein Ende des Konflikts.

Viele sollen es sogar satt haben, schon allein auf das Ende des Konflikts zu warten. Das Gefühl wachse, dass Russland mit jedem Tag immer tiefer sinke, soll eine Quelle in der russischen Regierung dem Portal Meduza gesagt haben. Gründe für die Unzufriedenheit in Russland gebe es mehrere. Vorrangig seien der Zusammenbruch der russischen Wirtschaft durch westliche Sanktionen und Wladimir Putins Einstellung zum Krieg. Wie es in russischen Regierungskreisen heisse, soll der Präsident gerne kämpfen, weil er es spannend finde. Er wolle auch nicht auf halbem Weg aufhören, wo er noch den endgültigen Druck auf die Ukrainer ausüben könnte. Was der Kreml jedoch derzeit habe, reiche nicht aus.  Notwendig sei eine totale Mobilisierung, ein vollständiger Übergang zur Kriegsphase. Dies geschehe aber immer noch nicht, lesen wir.

Meduza zufolge habe der Wahlsieg von Donald Trump zunächst die Hoffnungen russischer Beamter auf Frieden neu entfacht. Diese schwinden nun jedoch aufgrund der hohen Forderungen Putins und der vagen Bedingungen des designierten US-Präsidenten. Es mangle auch nicht an Sorgen über den „Eintritt in die Nachkriegsrealität“. Umfragen zufolge sei auch eine Mehrheit der Russen für die Aufnahme von Verhandlungen, die Unterzeichnung eines Friedensabkommens und die Beendigung des Krieges mit der Ukraine, schreibt Gazeta Wyborcza.

 


Autor: Piotr Siemiński