Rzeczpospolita: "Europa muss dreimal pragmatischer werden"
In einem Interview mit den Redaktionen von TVN24, Onet, „Krytyka Polityczna“ und „Rzeczpospolita“ äußerte sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zu den Aussichten auf ein Ende des Krieges in der Ukraine sowie zu den geopolitischen Herausforderungen.
Selenskyj betonte, dass es entscheidend sei, alles zu unternehmen, um in diesem Jahr eine Waffenruhe zu erreichen. Allerdings sei dies nur möglich, wenn die Europäische Union dreimal pragmatischer werde und ihre Rüstungsproduktion erheblich erhöhe. „Europa muss produzieren, um der Ukraine zu helfen, aber auch, um sich selbst besser gegen Russland verteidigen zu können“, so Selenskyj. Er hob hervor, dass Europa ohne die Unterstützung der ukrainischen Armee den russischen Streitkräften militärisch unterlegen sei, da Russland sowohl über mehr Truppen als auch über mehr Waffen verfüge. Zudem sei Russland aufgrund seiner Kriegserfahrung und Härte Europa überlegen. Wenn Europa eines immer noch nicht ausreichend über Russland verstehe, sei es, dass Russland, falls die Ukraine verliert, weitergehen wird.
Auch zum möglichen Einfluss des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump äußerte sich Selenskyj. Trump habe öffentlich wie privat erklärt, den Krieg beenden zu wollen, und könne Druck auf Russland ausüben. Selenskyj zeigte sich zuversichtlich, dass Trump diesbezüglich handlungsfähig sei, und hoffte, dass er der Ukraine glaubwürdige Sicherheitsgarantien anbieten würde. Diese seien notwendig, um die Ukraine und Europa vor weiteren Aggressionen Russlands zu schützen.
In Bezug auf die skeptische Haltung des von PiS unterstützten Präsidentschaftskandidaten Karol Nawrocki, der erklärte, dass die Ukraine nicht der EU oder der NATO beitreten könne, solange „offene bilaterale Fragen“ ungelöst seien, reagierte Selenskyj mit klaren Worten. Sollte die Ukraine keine Sicherheitsgarantien erhalten und weder der EU noch der NATO beitreten, würde dies das Risiko eines russischen Angriffs auf Polen erheblich erhöhen. „In diesem Fall müsste Herr Nawrocki womöglich selbst zur Waffe greifen, um sein Land zu verteidigen“, warnte Selenskyj.
„Rzeczpospolita“: Wirklich Dummköpfe und Verräter?
Die polnisch-ukrainischen Beziehungen können nicht allein durch feierliche Erklärungen oder Drohungen vorangebracht werden, schreibt indes in seiner Stellungnahme zum gestrigen Besuch Selenskyjs in Warschau der Publizist der Rzeczpospolita Jerzy Haszczyński. Die wiederholte Forderung, die Ukraine müsse sich mit ihrer historischen Verantwortung auseinandersetzen, insbesondere in Bezug auf das Massaker von Wolhynien, bleibe aktuell, so der Autor.
Haszczyński erinnert daran, dass polnische Politiker unterschiedlicher Lager in der Vergangenheit darauf bestanden haben, dass die Ukraine ohne eine Klärung ihrer Haltung zu Stepan Bandera und den Verbrechen der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) keinen Platz in Europa finden könne. Auch Premierminister Donald Tusk habe kürzlich betont, dass die Ukraine ihre Beziehungen zu Polen auf der Grundlage historischer Wahrheit ordnen müsse. Dies sei vor ein paar Monaten gewesen, die Situation an der Front habe sich nicht bedeutend von der heutigen unterschieden. Außer der Entscheidung über die ersten Exhumierungen habe sich auf ukrainischer Seite aber in Bezug auf die Haltung gegenüber Bandera und dem Wolhynien-Massaker nichts geändert.
Währenddessen habe Kiew aber Zeit gefunden, um in einer kürzlich verabschiedeten Resolution das Massaker an den Tscherkessen durch das Russische Kaiserreich im 18. und 19. Jahrhundert offiziell als Völkermord anzuerkennen und Russland zur Entschuldigung aufzufordern. Es scheine ihm, so Haszczyński, dass die Frage, warum es in Kiew selbst im schwierigsten Moment des Krieges möglich sei, über den tscherkistischen Völkermord nachzudenken, aber nicht über den Völkermord in Wolhynien, nicht als Dummheit oder Verrat bezeichnet werden sollte.
Wir, so der Autor, würden sehr schnell von Drohungen gegenüber der Ukraine, dass sie ohne die Aufarbeitung von Wolhynien nicht in die EU oder NATO aufgenommen wird, in Richtung Drohungen an diejenigen übergehen, die eine konsequentere Aufarbeitung fordern. Drohungen seien keine gute Methode. Sie würden die Frage der ernsthaften Haltung der Ukrainer gegenüber europäischen Werten nicht lösen. Dabei sei das Schlagwort “ernsthaft” der Refrain des Auftritts von Premierminister Tusk bei der gestrigen Pressekonferenz gewesen.
„Dziennik Gazeta Prawna“: Bidens “Silicon-Vorhang” eine Niederlage der polnischen Diplomatie
Neben dem Besuch des ukrainischen Staatspräsidenten schlägt auch die Entscheidung von Joe Biden in Bezug auf Limits für den Kauf von Schlüsseltechnologien zur Entwicklung Künstlicher Intelligenz hohe Wellen in der polnischen Presse. Der Grund: Polen befindet sich unter den Staaten, die begrenzten Zugang zu KI-Technologien haben sollen. Dies sei eine eindeutige Niederlage der polnischen Diplomatie, urteilt in ihrem Kommentar für das Wirtschaftsblatt Dziennik/Gazeta Prawna die Publizistin Anna Wittenberg. Die neue Regelung, so die Autorin, teile die Welt in drei Kategorien ein: Länder mit uneingeschränktem Zugang zu KI-Technologien, solche mit begrenztem Zugang und Staaten, die weitgehend ausgeschlossen werden. Polen gehöre zur zweiten Gruppe, während die Länder der „alten EU“ wie Deutschland oder Frankreich uneingeschränkt profitieren können.
Wittenberg zieht in ihrem Kommentar eine Parallele zu Winstons Churchills Begriff des „Eisernen Vorhangs“, da die neue Technologiepolitik die geopolitischen Grenzen erneut entlang der Oder ziehe. Aktuell schöpfe Polen die festgelegten Importlimits für Hochleistungstechnologie nicht aus. In den nächsten zwei Jahren werde das Land in der Lage sein, maximal 50 Tausend Hochleistungs-GPU-Karten zu kaufen, die für das Training künstlicher Intelligenz entscheidend seien. Nach Schätzungen von Marek Magryś, dem Leiter des Cyfronet an der Wissenschaftlich-Technischen Universität in Krakau (AGH), werde es im Jahr 2025 etwa 10 000 der schnellsten Komponenten in Polen geben - sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor. Und das seien gerade einmal 20 Prozent des von den USA festgelegten Limits.
Doch was werde geschehen, wenn Polen künftig verstärkt in KI investieren wolle?, fragt die Autorin. Experten wie Prof. Piotr Sankowski würden darauf hinweisen, dass die durch KI angetriebene rasante technologische Entwicklung entscheidend für die Zukunft sei und Polen Gefahr laufe, dauerhaft ins Hintertreffen zu geraten.
Wie Dr. hab. Dominik Batorski im Interview mit dem Blatt betont habe, habe Polen eine Menge talentierter Programmierer und Forscher im Land, die allerdings primär für ausländische Unternehmen arbeiten, ohne einen nationalen Mehrwert zu schaffen. Und nun sehe es danach aus, dass sich unser Platz auf der geopolitischen Landkarte nicht bedeutend ändern werde. Das sei die wichtigste Botschaft, die diese Entscheidung nach Polen sende. Und polnische Regierungsvertreter, mit denen das Blatt gesprochen habe, seien von ihr überrascht worden. So habe etwa Vizepremier Krzysztof Gawkowski gegenüber DGP erklärt, er habe sich an Außenminister Sikorski mit der Bitte gewandt, die Situation zu klären.
Die Angelegenheit ist insofern interessant, dass Sikorski sich am 13. Januar mit US-Botschafter Mark Brzeziński getroffen habe. In dem anschließenden Kommunique des Ressorts sei von KI keine Rede gewesen, dafür davon, dass “die polnisch-amerikanischen Beziehungen stärker sind denn je und sich auf gemeinsamen Werten und Vertrauen stützen”. Man hätte dieses Thema als Verhandlungsmasse in die Gespräche über die Einladung an Israels Premierminister nach Auschwitz einbinden können. Stattdessen hätten sich Premierminister Tusk und Staatspräsident Duda völlig umsonst blamiert. Nun müssen die Diplomaten das Thema auf die Agenda der Gespräche mit der Administration von Donald Trump setzen. Zwar wolle Polen, laut Gawkowski, auch die EU-Kommission um Hilfe bitten. Die Regierung sollte jedoch die bittere Lektion lernen - wenn wir davon träumen wollen, uns aus dem “zweiten Umlauf” zu befreien, dann müssen wir uns selbst darum bemühen, so Anna Wittenberg in Dziennik/Gazeta Prawna.
Gazeta Polska Codziennie: Die USA wollen neueste Technologien limitieren, da sie uns nicht trauen
Die nationalkonservative Gazeta Polska Codziennie nimmt das Thema heute auf die Titelseite und schiebt die Schuld für die Limits der Regierungskoalition in die Schuhe. Ihre These: Die USA würden den Geheimdiensten unter Premierminister Tusk nicht trauen, die laut dem Blatt von Personen mit Verbindungen zu Russland dominiert seien. So sieht es jedenfalls der PiS-nahe Sicherheitsexperte Prof. Przemysław Żurawski vel Grajewski, auf dessen Worte sich die Gazeta Polska Codziennie beruft.
“Erstens ist festzustellen, dass die die demokratische US-Administration die Entscheidung getroffen habe, was die These ausschließt, dass diese aus politischem Widerwillen getroffen wurde. Wie wir wissen, wollten die US-Demokraten und der Kreis um Joe Biden linksliberale Kräfte in Polen an der Macht sehen. Die Gründe dafür waren also nicht politischer, sondern inhaltlicher Natur. Meiner Meinung nach haben sie mit der Situation in unseren Diensten zu tun. Die polnischen Dienste werden derzeit von Personen beherrscht, die in Kontakte mit Russland verstrickt sind und den Schutz sensibler Daten nicht gewährleisten", so Prof. Żurawski vel Grajewski. "Der Mangel an Vertrauen in unser Land wird sich nicht so darstellen, dass ein hochrangiger amerikanischer Beamter rauskommt und mitteilt, dass ihm bestimmte Themen nicht gefallen, sondern wir werden einfach von verschiedenen Technologien, Projekten und Informationen abgeschnitten. In den US-Diensten wurde die Frage gestellt, ob der Zustand der polnischen Spionageabwehr die Sicherheit der US-Interessen gewährleistet, und die Antwort war offenbar negativ", bewertet Prof. Przemysław Żurawski vel Grajewski im Gespräch mit Gazeta Polska Codziennie.
Autor: Adam de Nisau