Deutsche Redaktion

"Europa hat keine Zeit mehr"

10.03.2025 13:40
Wie gut ist die EU-Abwehr aufgestellt? Putin versucht, die Ukraine in den Zustand vor der Maidan-Revolution 2014 zurückzuversetzen. Russland hat diese Versuchung nicht aufgegeben und plant sogar den nächsten Schritt beim Wiederaufbau seiner Einflusssphäre. Jedoch ohne einen zumindest teilweisen Waffenstillstand in der Ukraine und die Lockerung der Sanktionen droht Russland der wirtschaftliche Zusammenbruch. Lesen Sie mehr in der Presseschau. 
Wojsko Polskie
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Dziennik/Gazeta Prawna: Europa hat keine Zeit mehr

Europa geht die Zeit aus, um sich auf die neue geopolitische Realität vorzubereiten, warnt Zbigniew Parafianowicz in der Wochenendausgabe von Dziennik Gazeta Prawna. Nur ein Land in Europa, so der Autor, produziere neue Panzer. Und zwar Deutschland. Gehe es nach dem Zentrum für Oststudien, könne Deutschland bis zu 30 Stück pro Jahr herstellen. Aber nur in Zusammenarbeit mit Griechenland, das das Werk besitze, in dem die äußere Hülle der Leopards gebaut werde. Es sei die einzige betriebsbereite Anlage dieser Art in der EU. Bei günstigem Wind seien wir als europäischer Verbündeter der Ukraine in der Lage, innerhalb von drei Jahren 90 neue Maschinen an die Front zu liefern. Zum Vergleich: Kiew verfüge derzeit über etwa 1 100 Panzer, während Russland bis zu fünfmal so viele habe und jährlich zehnmal so viele produzieren könne wie ganz Europa.

Vor diesem Hintergrund sei es schwer, keine kognitive Dissonanz zu vespüren, wenn man von den EU-Plänen einer Verteidigungsunion höre. Die Pläne klängen ambitioniert, die geplanten Ausgaben ehrgeizig. Doch Papier sei geduldig. Die Dissonanz vertiefe sich, wenn man die Zeit in Betracht nehme, der Europa für eine Umstellung auf eine Kriegswirtschaft bleibe. Gehe es nach dem ehemaligen NATO-Oberbefehlshaber in Europa, Admiral James Stavridis sei die NATO, wie wir sie kennen, bereits Geschichte. Laut dem Militär sei es höchste Zeit, über eine Sicherheit ohne die USA nachzudenken. Ein Blick auf den amerikanischen Kongress zeige, dass 46 republikanische Senatoren im vergangenen Jahr die Reduzierung der US-Beiträge zur NATO gefordert hätten. Der Admiral zitiere auch den künftigen Bundeskanzler Merz, der betont habe, dass "wir uns darauf einstellen müssen, dass Donald Trump die gegenseitigen Verteidigungsverpflichtungen nicht mehr bedingungslos aufrechterhalten wird".

Die Sicherheit der Ukraine sei in der amerikanischen Wahrnehmung noch weiter im Hintergrund. Interne Quellen in Kiew würden berichten, dass Trump überzeugt ist, die russische Einmischung in die US-Wahlen 2016 sei in Wirklichkeit von der Ukraine und Petro Poroschenko gesteuert worden. Das Ergebnis sei der Versuch eine Impeachments von Trump gewesen. Diese Überzeugung ziehe eine enorme Abneigung des Weißen Hauses gegenüber den ukrainischen Behörden nach sich. Es würde auch die Übernahme der russischen Narrative über die Ukraine durch die USA erklären. In diesem Zusammenhang seien die Äußerungen polnischer Politiker allzu optimistisch. Sie scheinen von dem sich abzeichnenden "Reset" zwischen Russland und den USA zu abstrahieren, der darauf abziele, die Neutralität des Kremls in einem möglichen Zusammenstoß zwischen Washington und Peking zu erreichen. Und Moskaus mögliche Unterstützung bei Gesprächen mit dem geschwächten Iran, der seine Verluste in Syrien, Gaza und im Südlibanon durch die Beschleunigung seines Atomprogramms kompensiere.

Sollte Trump zu diesem Preis eine Kapitulation und Zerschlagung der Ukraine akzeptieren, wäre auch Polen in akuter Gefahr. Putin würde sich früher oder später seinen Einfluss auf die östliche NATO-Flanke zurückholen wollen. Dessen, wie sich die USA dann verhalten werden, können wir nicht sicher sein. Und in Warschau gebe es bislang keine klare Antwort auf diese Bedrohung. Während die transatlantischen Beziehungen bröckeln und die USA ihre strategischen Prioritäten verschieben – mit einem stärkeren Fokus auf den Pazifik und den Nahen Osten – stehe Polen an der Seitenlinie, so Zbigniew Parafianowicz in Dziennik/Gazeta Prawna. 

Dziennik/Gazeta Prawna: Jeden Hauch einer Chance nutzen

Seit der Auseinandersetzung im Oval Office laufe die Zeit gegen Kiew, schreibt in seiner Analyse zur aktuellen geopolitischen Lage, ebenfalls in Dziennik Gazeta Prawna, der Sicherheitsexperte Witold Sokała. Ein endgültiger Stopp der amerikanischen Militär- und insbesondere Geheimdiensthilfe, den die USA als Strafe für die Eigenständigkeit der Ukraine betrachten, könne nicht nur zu höheren Verlusten an der Front führen, sondern im schlimmsten Fall sogar zum Zusammenbruch der Verteidigung. Würde sich die Ukraine jedoch wieder in diplomatische Gespräche mit den USA einbinden lassen, könne die Unterstützung wieder anlaufen und die Zeit würde sich erneut gegen Russland wenden. Denn Donald Trump habe mit seiner Kursänderung den Russen in letzter Minute ein Rettungsseil zugeworfen. Ohne eine wenigstens teilweise Waffenruhe und eine Lockerung der Sanktionen drohe Russland ein wirtschaftlicher Kollaps. Peking könne Russland aufgrund eigener Probleme nicht mehr unbegrenzt helfen, zumal das chinesische Vertrauen in Moskau durch die Diskussionen über eine "umgekehrte Nixon-Strategie" beeinträchtigt worden sei.

Falls Washington jedoch keinen Fortschritt in der Loslösung Russlands von China oder in Putins Rolle bei der Begrenzung des iranischen Atomprogramms erkenne, wäre die Enttäuschung der USA vorprogrammiert. Auch wenn Moskau zu selbstbewusst auf Trumps Friedensvorschläge reagiere, könne es erneut zum Hauptgegner Washingtons werden, was verschärfte Sanktionen und eine verstärkte Militärhilfe für die Ukraine nach sich ziehen würde. Ein Szenario, auf das europäische Hauptstädte gemeinsam mit Kiew seit längerem hingearbeitet hätten. 

Allein die Tatsache eines Wiedereinstiegs der Amerikaner in direkte Gesprächen mit der Ukraine, sowie die Geschwindigkeit und die Umstände dieses Prozesses, lesen wir weiter, werden einen ausgezeichneten Lackmustest dafür liefern, was Trump und seine Entourage wirklich vorhaben. Das Paradox: Unabhängig von seinen persönlichen Motiven sollte der Notfallplan Europas und seiner Verbündeten wie Kanada, Japan oder Australien derselbe sein: massive Erhöhungen der Verteidigungsausgaben, eine verbesserte militärische Kooperation ohne die USA und der Aufbau eigener Geheimdienstkapazitäten. Hinzu kämen gesellschaftliche Widerstandsfähigkeit gegen Desinformation, die nicht nur aus Russland, China oder Nordkorea, sondern auch aus den USA über amerikanische Plattformen verbreitet werde. Zudem müsse Europa seine wissenschaftlichen, bildungspolitischen, energiepolitischen und finanziellen Kapazitäten ausbauen, um nicht noch weiter hinter die USA oder China zurückzufallen. "Ich möchte glauben, dass die USA an unserer Seite bleiben, aber wir müssen bereit sein, falls das nicht der Fall ist", habe Emmanuel Macron in einer Fernsehansprache am Mittwoch gesagt. Diesem Satz könne man sich nur anschließen, so Sokała in Dziennik/Gazeta Prawna. 

Rzeczpospolita: Welchen Preis werden wir für einen Reset der USA mit Russland bezahlen?

Putin strebe an, die Ukraine in einen Zustand vor der Maidan-Revolution von 2014 zurückzuversetzen: mit einer Russland-treuen Regierung, prorussischen Fraktionen im Parlament und einer von russischen Geheimdiensten durchsetzten Staatsstruktur, schreibt Rusłan Szoszyn in seinem Kommentar für die konservativ-liberale Rzeczpospolita.

Laut Szoszyn ermutige Trump mit seinem Verhalten den Kreml, die Liste der Forderungen weiter auszuweiten. Es sei nicht ausgeschlossen, dass Putin nicht nur die Aufhebung der Sanktionen und eine Waffenruhe anstrebe, sondern auch weitergehende geopolitische Zugeständnisse verlange. Bereits vor dem großangelegten Angriff auf die Ukraine 2022 habe der russische Präsident gefordert, dass sich NATO-Truppen aus den Staaten zurückziehen, die nach 1997 dem Bündnis beigetreten sind – darunter Polen.

Aktuell, so der Autor, fühle sich Putin wie bei einem "Black Friday" im Supermarkt. Aber er wisse auch, dass die Promo nur bis Mitternacht laufe und sich morgen alles verändern könne. Sollte sich eine neue Krise in einer anderen Weltregion entfalten, könnte Washingtons Interesse an der Ukraine abrupt schwinden. Deshalb sei zu erwarten, dass der Kreml seine Verhandlungen mit den USA in den kommenden Wochen massiv beschleunige, um die Ukraine aber auch Europa vor vollendete Tatsachen zu stellen, so Rusłan Szoszyn in der Rzeczpospolita. 

Rzeczpospolita: Polen sollte Kollisionskurs mit den USA vermeiden

Polen sollte nicht uneingeschränkt die westliche Sichtweise übernehmen und auf Kollisionskurs mit den USA gehen, meint der ehemalige stellvertretende Generalstabschef der polnischen Armee, General Leon Komornicki. Wie Komornicki betont, werde ein Riss in den Beziehungen zwischen Europa und den USA zu einer Schwächung der NATO führen und folglich Russland ermutigen, Artikel 5 der NATO zu testen. “Dies könnte schon bald geschehen und es wird das europäische Sicherheitsumfeld in ein strategisches Dilemma stürzen. Sie werden die baltischen Länder angreifen. Dies ist eine Versuchung, die Russland nicht aufgegeben, sondern sogar für seinen nächsten Schritt zum Wiederaufbau seiner Einflusssphäre eingeplant hat”, so General Komornicki. Russland könne die baltischen Staaten bereits am Ende des Jahres bedrohen, was ein Dilemma in Bezug auf den nicht beendeten Krieg in der Ukraine schaffen würde, fügte er hinzu. Polen sei besonders gefährdet und sollte deshalb auf EU-Forum lautstark vor der Bedrohung warnen, so General Komornicki im Gespräch mit der Rzeczpospolita.

 

Autor: Adam de Nisau



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