Deutsche Redaktion

Die Gerechten in grausamen Zeiten

24.03.2021 11:30
In keinem anderen der von den Deutschen in der NS-Zeit besetzten Länder wurde die Hilfe für Juden so unerbittlich verfolgt und bestraft wie in Polen. Trotzdem haben tausende Polen ihre jüdischen Nachbarn vor der Schoah gerettet.
Die Liste der polnischen Gerechten in Yad Vashem
Die Liste der polnischen "Gerechten" in Yad VashemWiola Wiaderek/ Shutterstock

»Juden, die das ihnen zugewiesene Wohngebiet unbefugt verlassen, werden mit dem Tode bestraft. Die gleiche Strafe trifft Personen, die solchen Juden wissentlich Unterschlupf gewähren. Anstifter und Gehilfen werden wie der Täter, die versuchte Tat wird wie die vollendete bestraft«, so hieß es im Wortlaut der Verordnung über Aufenthaltsbeschränkung im Generalgouvernement vom 15. Oktober 1941. Auf dem 1939 bis 1945 vom Deutschen Reich militärisch besetzten Gebiet der Zweiten Polnischen Republik unter dem Generalgouverneur und NSDAP-Funktionär Hans Frank wurde dies gnadenlos durchgesetzt. Die Todesstrafe wurde auch beim kleinsten Versuch der Judenrettung verhängt. Die Höchststrafe galt sogar für das Wissen um einen sich versteckenden Juden.

Trotz der Bedrohung durch die Todesstrafe waren viele Polen bereit, Juden zu unterstützen. Die geleistete Hilfe hatte häufig einen individuellen Charakter, nahm aber auch organisierte Strukturen an. Im Dezember 1942 wurde der Hilfsrat für Juden (polnisch Rada Pomocy Żydom „Żegota”) gegründet. In Zusammenarbeit mit dem zivilen Bereich des Polnischen Untergrundstaates gaben sich beide Organisationen Mühe, die Juden mit Medikamenten und Nahrung zu versorgen sowie für sie Unterschlüpfe und gefälschte Urkunden zu beschafften.

Die Zahl der polnischen Judenretter ist schwer zu berechnen. Um ein jüdisches Leben zu retten, mussten laut Schätzungen vieler Historiker über 10 Personen konspirativ zusammenarbeiten. Das bestätigen Zeitzeugenberichte wie etwa der der polnischen Schriftstellerin und Journalistin Hanna Krall, die das Warschauer Ghetto überlebte. In ihrem Text »Das Spiel um mein Leben« (polnisch: »Gra o moje życie«) schreibt sie: »Im Spiel um mein Leben wurden 45 Menschenleben aufs Spiel gesetzt.« Man nimmt an, dass sich insgesamt einige tausend Polen auf unterschiedliche Art und Weise an der Rettung von Juden beteiligten. Ihr Leben riskierten alle Schichten der polnischen Gesellschaft: Akademiker, einfache Arbeiter und Bauern, sowohl Großstädter als auch Dorfbewohner.

Genauso schwer abzuschätzen ist die Zahl der Polen, die infolge der Rettung der Juden ihr Leben lassen mussten. Die jüngsten Untersuchungen dokumentieren ca. 760 Fälle von Personen, die aus diesem Grund von den Deutschen getötet wurden. Viel höher ist dagegen die Zahl derer, die man dafür inhaftiert oder in ein KZ deportiert hat. Eines der tragischsten und symbolischsten Beispiele für die Aufopferung für jüdische Mitbürger ist die Familie Ulma aus dem kleinen Dorf Markowa. Da die Ulmas im Haus acht Juden versteckten, wurden alle Familienmitglieder – Józef Ulma, seine schwangere Frau und ihre sechs Kinder – von den Deutschen ermordet.

Das Heldentum der polnischen Judenhelfer dokumentiert Yad Vashem – »die Gedenkstätte der Märtyrer und Helden des Staates Israel im Holocaust«. Mit der Medaille »Gerechter unter den Völkern«, auf der der signifikante Spruch »Wer auch nur ein Leben rettet, rettet die ganze Welt« eingraviert ist, sind bisher über 6.620 Polen ausgezeichnet worden. Das ist die größte Anzahl von nicht jüdischen Einzelpersonen, die während des Zweiten Weltkrieges ihr Leben einsetzten, um Juden vor der Ermordung zu retten. Die lebendige Erinnerung an die heldenhafte Haltung der Polen sind unzählige Bäume, die in der »Allee der Gerechten unter den Völkern« in Yad Vashem gepflanzt wurden.


PR/jc