Gazeta Wyborcza: An der deutschen Leine
Die von der Regierungspartei PiS angekündigte Resolutiuon, die sich gegen "ausländische Einmischung in die polnischen Wahlen" richten soll, bleibt ein wichtiges Thema der Pressekommentare. Anlass zu dem legislativen Schritt seien die neuerlichen Aussagen von EVP-Chef Manfred Weber über die Regierungspartei gewesen, erinnert in einer Analyse für die linksliberale Gazeta Wyborcza der Publizist Paweł Wroński.
Die PiS, so der Autor, hoffe, dass die oppositionelle Bürgerplattform (PO) gegen die Resolution stimmt und somit einmal mehr "beweist", dass sie tatsächlich eine "deutsche Partei" ist, wie die regierungsnahen Medien seit längerer Zeit behaupten. Dies würde auch die in letzter Zeit immer prominentere Erzähllinie der PiS über eine Verschwörung stützen, die laut den Regierenden darauf abziele, die Europäische Union in einen Superstaat zu verwandeln. Eine Integration von deutschen und polnischen politischen Parteien, so die These, würde den ersten Schritt hin zu diesem Ziel darstellen. Schließlich solle die Resolution auch die Aufmerksamkeit von Vorwürfen ablenken, dass die Recht und Gerechtigkeit den Staatsapparat, die öffentliche Finanzen und Gelder von Staatsunternehmen in den Dienst des eigenen Wahlsiegs stellt.
In der Vergangenheit, erinnert Wroński, habe die Regierungspartei diesen Propagandatrick wiederholt verwendet, indem sie den damaligen Bürgerplattformchef Grzegorz Schetyna nach dessen Besuch im CDU-Hauptquartier beschuldigt habe, die Unterstützung von Angela Merkel vor den Wahlen 2019 zu mobilisieren, oder den Warschauer Stadtpräsidenten Rafał Trzaskowski als Kandidat Brüssels bezeichnete. Derzeit seien die Schlagzeilen der regierungsnahen Medien und Tweets von PiS-Politikern erneut einem "deutschen Angriff auf Polen" gewidmet. "Die Masken sind gefallen: Deutschland will offiziell in den demokratischen Prozess in Polen eingreifen und Tusk unterstützen" habe etwa PiS-Sprecher Rafał Bochenek geschrieben. Und PiS-Senator Jacek Bogucki habe Bilder von Tusk und Hitler gepostet und hinzugefügt: "Zum Glück ist Polen nicht Deutschland und Tusk ist nicht Hitler, obwohl es Ähnlichkeiten gibt".
All dies sei ein klarer Fall von Doppelmoral. Denn die Recht und Gerechtigkeit sowie Premierminister Morawiecki hätten zum Beispiel in diesem Jahr ihrerseits Unterstützung von der amtierenden italienischen Premierministerin Giorgia Meloni erhalten. PiS-Chef Jarosław Kaczyński wiederum habe in den letzten spanischen Wahlen seinerseits in einer persönlichen Botschaft die neofaschistische Partei Vox unterstützt. Und während der französischen Präsidentschaftswahlen habe sich die PiS offen für Marine Le Pen ausgesprochen, erinnert Wroński in der Gazeta Wyborcza.
Dziennik/Gazeta Prawna: Informationschaos gefährdet die Sicherheit
Neben der antideutschen Narration, entwickle sich auch die Beschuldigung der Konkurrenz, sich Russland unterzuordnen oder gar Kreml-Agenten zu sein, zu einem immer wichtigeren Bestandteil der Wahlkampfstrategie der wichtigsten politischen Kräfte in Polen, beobachtet in einer ausführlichen Analyse für die Wochenendausgabe des Wirtschaftsblatts Dziennik/Gazeta Prawna der Sicherheitsexperte der Stiftungen Po.Int und Nowa Konfederacja sowie Hochschuldozent Witold Sokała. Von der eisernen Wählerschaft der angegriffenen Parteien, so Sokała, würden die Anschuldigungen zwar abperlen. In dem Spiel um die unentschiedenen Wähler, die ihre Loyalität unter dem Einfluss momentaner Emotionen ändern und somit über den Wahlsieg entscheiden können, könne sich das Argument “ad Putinum” jedoch als nützlich erweisen. Zudem könne man sich so vor schwierigen Themen, wie dem Zustand des Geldbeutels der Bürger oder dem miserablen Niveau der öffentlichen Dienstleistungen drücken. Insofern sei die Strategie der Spin-Doktoren nicht überraschend. Gleichzeitig stelle sie ein beträchtliches Sicherheitsrisiko dar. Denn wenn das Ziel eher darin bestehe, sich an der Konkurrenz zu rächen, als das wahre Problem zu lösen, werde das vor allem den Kreml freuen.
Weltweit, so der Autor, würden sich viele Menschen, sogar in der sogenannten politischen Elite, immer noch weigern zu glauben, dass die Einmischung Russlands in die Politik ihrer Länder eine Tatsache ist. Dies liege oft daran, dass ihnen von einem geschickt platzierten Agenten vorgegaukelt wurde, dass das friedliebende Russland für niemanden eine Bedrohung darstellt und dass "solche Dinge nur in Filmen vorkommen". Es sei ein Maß für den Erfolg und die Professionalität des Feindes. Denn wie Charles Baudelaire einst gesagt haben soll, bestehe der größte Erfolg Satans darin, dass die Menschen aufgehört haben, an seine Existenz zu glauben.
Gerade wegen der langjährigen Erfahrung Russlands in diesem Bereich, lesen wir weiter, sei die simple, pauschale Zuschreibung von prorussischen Sympathien zu einem politischen Lager der falsche Weg. Denn es mache uns blind gegenüber Kreml-Sympathikern auf unserem eigenen politischen Hinterhof. Derweil habe die russische Strategie, so Sokała, seit jeher in einer Ausweitung von Einflussnetzwerken in ganz unterschiedlichen Organisationen und Institutionen bestanden, manchmal sogar in deklarativ antirussischen Gruppierungen. Erstens, um Verwirrung zu stiften und von der Eskalation der Emotionen auf Kosten rationaler Debatten und Kompromisse zu profitieren. Und zweitens, um unabhängig von dem einen oder anderen Wahlergebnis Einfluss auf die aktuell regierenden Politiker zu behalten. Selbst dort, wo eine offen prorussische Partei bereits um die höchsten Einsätze spiele - wie das Rassemblement National in Frankreich oder die Alternative für Deutschland in Deutschland - bedeute dies nicht, dass man die operative "Sorge" um andere Gruppierungen aufgebe. Man könne schließlich nicht alle Eier in einen Korb legen.
Zudem, so Sokała, sei es durchaus möglich, dass nicht die Politiker, die auf den Titelseiten der Zeitungen zu finden seien, die Stützen der russischen Agentur in unserem öffentlichen Leben seien. Die Lösung des Rätsels vieler Situationen, in denen die Interessen Polens "versehentlich" gelitten hätten, könnten stattdessen einflussreiche Personen auf den unteren Ebenen der staatlichen Strukturen sein. Stellvertretende Minister und Behördenleiter, Berater, Abteilungsleiter, Experten, Manager und Referenten. Auch Lobbyisten seien in Polen tätig und würden oft in einer Grauzone agieren. Ihr Schutzschild sei die weitgehende Anonymität, sie würden in einer Menge ähnlicher Gesichter und Anzüge untertauchen, sie würden mit ihren Ansichten nicht an die Öffentlichkeit treten, und kein Verräterjäger werde jemals ein Buch über sie schreiben. Auch für eine professionelle und motivierte Spionageabwehr sei es nicht so einfach, ihnen auf die Spur zu kommen. Aber sie seien es, die ein Schlüsseldokument redigieren und zur Unterschrift unterschieben können. Sie würden den Entscheidungsträgern die richtige Botschaft zu Gehör bringen, sie würden die Informationen so auswählen, dass die Staatsmänner nach einiger Zeit überzeugt sind, sie hätten sich selbst etwas einfallen lassen. Sie hätten die Möglichkeit, Personen für eine Anstellung oder Beförderung vorzuschlagen und so ihre eigenen Leute ins Spiel zu bringen. Und wenn sie können, würden sie Entscheidungen auf eigene Faust treffen, und auf ihren eigenen Ebenen vollendete Tatsachen zu Ungunsten Polens schaffen.
In Bezug auf Russland, so der Experte, lohne es sich, aus der Vergangenheit zu lernen. In der Zwischenkriegszeit habe die UdSSR mit Hilfe ihres offensichtlichen Agenten, der Kommunisten, in Polen wenig erreicht - sie seien durch die operativen Aktivitäten unserer Spionageabwehr zerschlagen und unterwandert worden. Es sei den Sowjets auch nicht gelungen, eine bedeutende Lobby unter wichtigen Politikern und Generälen aufzubauen. Dennoch habé die Zweite Republik ihre Informationsschlacht gegen die UDSSR verloren, indem sie den Ribbentrop-Molotow-Pakt und die militärischen Vorbereitungen verpasst habe, die später in einem mörderischen Schlag in den Rücken resultierten. Der Grund: Polen habe Dutzende kleinerer Spione erwischt, aber irgendwie sei es den Geheimdiensten entgangen, dass einer unserer militärischen Geheimdienstoffiziere, der als Kenner der Ostpolitik galt, ein Ritter der wichtigsten Orden, darunter von Virtuti Militari, der auch wichtige Posten im Außenministerium bekleidet und darüber hinaus privaten Zugang zu den wichtigsten Politikern des Staates gehabt habe - Tadeusz Kobylanski - wahrscheinlich viele Jahre lang für Moskau gearbeitet habe. Er habe seinen Lebensabend friedlich im brasilianischen Exil verbracht, und zwei und zwei habe erst viele Jahre später, dank der Offenlegung einiger alter sowjetischer Dokumente, der bedeutende Historiker Professor Paweł Wieczorkiewicz hinzugefügt.
Es bleibe zu hoffen, dass unsere Spionageabwehr dieses Mal schneller auf die Spur der verschiedenen modernen Kobylanskis kommt und dass sich die Politiker nicht zu sehr einmischen. Die Zeit laufe uns davon und es stehe immer mehr auf dem Spiel. Aus einem einfachen Grund: Russland kämpfe nicht mehr um mehr goldene Toiletten in den Palästen der Politiker und Oligarchen, wie es in den vergangenen Jahren der Fall gewesen sei. Russland kämpfe ums Überleben. Und die Fähigkeit zur Infiltration, Manipulation und Ablenkung werde nach einer weitreichenden Kompromittation der militärischen und diplomatischen Instrumente zum einzigen wirksamen Werkzeug, das Moskau noch bleibe. Dies wiederum deute auf eine unvermeidliche Eskalation an der verdeckten Front hin, so Witold Sokała in Dziennik/Gazeta Prawna.
Autor: Adam de Nisau