Deutsche Redaktion

Rüstungsexporte: "PiS verspielt Polens Chance in der Ukraine"

05.10.2023 12:13
Die Streit um Getreideimporte und kurzsichtiges Wahlkalkül der Regierungspartei PiS gefährden ernsthaft die wirtschaftlichen Interessen Polens in der Ukraine, insbesondere die der Rüstungsindustrie, warnt in ihrem heutigen Aufmacher die konservativ-liberale Rzeczpospolita. Und: Paweł Wroński von der linksliberalen Gazeta Wyborcza lässt kein gutes Haar am neuesten Angriff der Autoren der TV-Doku "Reset" auf Ex-Premier und Oppositionsführer Donald Tusk.
W otwarciu nowego centrum montażowo-serwisowego PGZ weźmie udział minister obrony narodowej Mariusz Błaszczak
W otwarciu nowego centrum montażowo-serwisowego PGZ weźmie udział minister obrony narodowej Mariusz BłaszczakPAP/Darek Delmanowicz

Rzeczpospolita: PGZ’s strategischer Fehler

Die Streit um Getreideimporte und kurzsichtiges Wahlkalkül der Regierungspartei PiS gefährden ernsthaft die wirtschaftlichen Interessen Polens in der Ukraine, insbesondere die der Rüstungsindustrie, warnt in ihrem heutigen Aufmacher die konservativ-liberale Rzeczpospolita. Und macht darauf aufmerksam, dass die Polska Grupa Zbrojeniowa (PGZ), die wichtigste polnische Verteidigungsfirma, trotz einer Einladung nach Kiew dem Internationalen Forum der Verteidigungsindustrie in der Ukraine ferngeblieben ist. Diese Abwesenheit, so die Zeitung, markiere einen weiteren Riss in den Beziehungen zwischen Polen und der Ukraine. Die Verteidigungszusammenarbeit, die mit dem Segen der USA unmittelbar nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Jahr 2022 begonnen habe, sei reibungslos verlaufen, bis, metaphorisch gesprochen, im Kontext des polnischen Wahlkampfes ukrainisches Getreide ins Getriebe geraten sei. 

Im September, erinnert die Zeitung, habe der Premierminister in einer Sendung des Privatsenders Polsat entschieden erklärt, dass "wir die Ukraine nicht mehr mit Ausrüstung aufrüsten, weil wir jetzt unsere eigenen Streitkräfte stärken". Obwohl die Behörden anschließend versucht hätten, diese Erklärung abzumildern und versicherten, dass die Umsetzung bilateraler Verteidigungsabkommen nicht gefährdet sei, hätten spätere Aussagen und Aktionen von Warschau und Kiew die Spannungen nur verschärft.

"Wir verschwenden unsere Errungenschaften und schwächen unsere Chancen im Wettbewerb um Militärausrüstungsaufträge und die Teilnahme an zukünftigen lukrativen Investitionen, die ukrainische Waffenfabriken rekonstruieren und entwickeln", zitiert das Blatt Sławomir Kułakowski, den Präsidenten der Polnischen Kammer der Produzenten für Landesverteidigung.

Trotz der aktuellen Spannungen, so die Zeitung,bleibe die Basis für eine zukünftige Zusammenarbeit bestehen. Laut dem neuesten Bericht des polnischen Außenministeriums, habe die Ukraine den Markt für den Export polnischer Waffen im Jahr 2022 uneingeschränkt dominiert. Der offizielle Waffenexport über den Dnipro habe die Ukraine an die Spitze der Empfänger polnischer Waffen gesetzt. Von dem im letzten Jahr realisierten globalen Spezialexport, der auf 1,18 Milliarden Euro geschätzt werde, habe der Waffenverkauf an Kiew 800 Millionen Euro erreicht, so Rzeczpospolita.

Rzeczpospolita: PiS verspielt Polens Chance in der Ukraine

Das absurde Verhalten der Politiker der Regierungskoalition gegenüber der Ukraine habe sich auf die Verteidigungsindustrie übertragen, die die Chance auf lukrative Aufträge im Osten vergeude, schreibt in seinem Kommentar zum Thema der Publizist des Blattes, Paweł Rożyński. Und es gehe um einen hohen wirtschaftlichen Einsatz. Ex-Premierminister Leszek Miller, lesen wir, habe mal gesagt, dass man einen wahren Mann nicht daran erkenne, wie er anfange, sondern wie er ende. Dies betreffe auch die Beziehungen zur Ukraine. Polen habe großartig begonnen, den Solidaritätstest bestanden, viele Waffen und viel zivile Hilfe gesendet. Aber jetzt, wo sich das Schicksal dieses Landes und potenziell großer Aufträge entscheide, mache die polnische Regierung all diese Bemühungen unerwartet zunichte.

Die Launen der PiS-Politiker gegenüber der Ukraine und das demonstrative Theater der Diplomaten, wie zum Beispiel des Außenministers Zbigniew Rau, der beim jüngsten Gipfel in Kiew fehlte, würden unseren wirtschaftlichen Interessen schaden und sich auf das Geschäft auswirken, so Rożyński. Es sei bekannt, dass Hunderte von Milliarden Dollar und Euro in den Wiederaufbau der Ukraine fließen würden. Und nur ein Narr würde nicht wollen, ein Stück von diesem Kuchen abzubekommen.

Es sei lächerlich, dass es keine Kommunikation mit dem Minister Jacek Sasin gegeben habe, der die PGZ beaufsichtige. Er habe die Ukrainer zunächst für das Fehlen einer Einladung getadelt, um sich dann zu entschuldigen, als herauskam, dass die PGZ als eine der ersten Firmen eingeladen worden sei. Dies könne darauf hindeuten, dass die PiS selbst den Überblick verloren habe.

Ein solches Verhalten sei leider selbstzerstörerisch. Wenn man sich das Beispiel der PGZ ansieht, werde es für sie langfristig schwer sein, vom polnischen Markt zu leben, wo die Karten im Großen und Ganzen bereits verteilt seien. Koreanische Haubitzen seien auf dem Weg nach Polen, so dass für die hiesigen Krab-Haubitzen wenig Platz bleiben werde. Denn als die PiS plötzlich im Angesicht des Krieges aufgewacht sei und in Panik angefangen habe, Waffen zu bestellen, habe sich herausstellt, dass wir nur etwa ein Dutzend selbstfahrende Haubitzen pro Jahr herstellen und es keine Chance gebe, die Produktion schnell und radikal zu erhöhen.

Um dies zu ändern, habe die PGZ Magazinhallen von den Chinesen abgekauft. Nur, wenn die polnische Regierung weiterhin ihre Spiele spiele, die auf kurzfristige Wahlinteressen abzielen und ihren "strategischen Partner" ignoriere, könnte es sich herausstellen, dass es niemanden gibt, dem sie diese erhöhte Produktion verkaufen kann. Dies werde das Ergebnis, um noch einmal Ex-Premier Miller zu zitieren, der "rauen Freundschaft" mit der Ukraine sein, so Paweł Rożyński in der Rzeczpospolita. 

Gazeta Wyborcza: Vorwahl-Angriff von Cenckiewicz

Paweł Wroński nimmt in seinem Kommentar für die linksliberale Gazeta Wyborcza indes Stellung zu den neuesten Anschuldigungen, die die Autoren der TV-Doku “Reset” in der aktuellen Folge der Serie gegen die Regierung des heutigen Oppositionsführers Donald Tusk erhoben hatten. Sławomir Cenckiewicz, der Co-Autor des "propagandistischen Films „Reset“", so Wroński, habe nach einer „empirischen Analyse“ behauptet, dass man das von ihm enthüllte Dokument aus dem Jahr 2013 über die Zusammenarbeit zwischen den polnischen und russischen Geheimdiensten „als Verrat an Polen und seinen NATO-Alliierten qualifizieren kann“. Es handele sich, wie der Autor erinnert, um ein Abkommen zwischen dem polnischen Militärgeheimdienst und dem russischen FSB.

Die Autoren der Serie, Sławomir Cenckiewicz und Michał Rachon, ironisiert der Autor, würden in „Reset“ jede Woche den permanenten Verrat Polens durch Donald Tusk und seine Anhänger aufs neue beweisen. Ein Verrat mehr oder weniger dürfte also keinen großen Unterschied machen. Was die Fakten angehe, erinnert Wroński daran, dass Polen an der NATO-Stabilisierungsmission in Afghanistan teilgenommen und seit 2007 daher eine erhöhte Truppenpräsenz in der Region gehabt hat. Im Rahmen des NATO-Russland-Rates habe es  sogar eine Vereinbarung zur Bekämpfung von Terrorismus und zum Austausch von vertraulichen Informationen mit Russland gegeben. Diese Kooperation sei nach dem georgisch-russischen Krieg 2008 eingefroren, aber beim NATO-Gipfel 2010 in Lissabon wiederbelebt worden. Mehr noch, die Alliierten hätten damals konstatiert, dass „die Zusammenarbeit zwischen der NATO und Russland eine strategische Bedeutung hat und zur Schaffung eines gemeinsamen Raums des Friedens, der Stabilität und der Sicherheit beiträgt.“ Es scheine also, dass sich die NATO – durch die Zusammenarbeit mit Russland – seit einiger Zeit selbst verraten hat. Er, so Wroński, sei sich nicht sicher, ob die Autoren der Doku sich bewusst seien, dass Afghanistan nicht am Meer liegt und der Großteil der polnischen Versorgung über russisches Territorium geflogen sei. 2013 habe man sogar die Rückkehr polnischer Soldaten über russisches Staatsgebiet in Betracht gezogen.

Das von Cenckiewicz „enthüllte“ Dokument, lesen wir weiter, sei nicht einmal neu, und die Zusammenarbeit zwischen dem polnischen Militärgeheimdienst und dem FSB sei nach der Annexion der Krim und Teilen des Donbass im Jahr 2014 ausgesetzt worden. Trotzdem habe die Staatsanwaltschaft jahrelang versucht, hochrangige Offiziere und Politiker auf der Grundlage dieses Dokuments wegen Zusammenarbeit mit ausländischen Geheimdiensten oder „diplomatischem Verrat“ anzuklagen – ohne größeren Erfolg. Sogar die Ermittler von Justizminister Ziobro seien zu dem Schluss gekommen, dass dies zu wenig sei, um jemanden vor Gericht anzuklagen. Es sehe danach aus, dass Cenckiewicz in seinem letzten Vorwahl-Angriff auf eine Harke getreten ist, so Paweł Wroński in der Gazeta Wyborcza. 

Autor: Adam de Nisau