Deutsche Redaktion

"Generäle sagen “Nein”"

11.10.2023 12:08
Was steckt hinter dem plötzlichen Wechsel an der Spitze der polnischen Armee? Und wer sind die neuen Befehlshaber? Der gestrige Rücktritt zweier der drei wichtigsten Kommandeure in der polnischen Armee dominiert heute die Titelseiten der Tagesblätter. Es geht aber auch um die Frage, ob und wie die niedrigen Treibstoffpreise das Wahlergebnis der Regierungspartei paradoxerweise gefährden können.
Gen. Rajmund Andrzejczak and Gen. Tomasz Piotrowski.
Gen. Rajmund Andrzejczak and Gen. Tomasz Piotrowski. Photo: PAP/Paweł Supernak

Rzeczpospolita: Generäle sagen “Nein”

Als erste hatte gestern vormittag die konservativ-liberale Rzeczpospolita von den Rücktritten des Generalstabs-Chefs General Rajmund Andrzejczak und des operativen Kommandeurs General Tomasz Piotrowski berichtet. Beide Militärs, so die Zeitung, hätten ihre Demission einige Tage vor den Parlamentswahlen eingereicht,  obwohl ihre Amtszeit in nur wenigen Monaten enden sollte. Dies sei ein weiteres deutliches Signal für eine Krise der zivilen Kontrolle über das Militär, so die Rzeczpospolita. 

Vor allem dürfte der schwelende Konflikt mit Verteidigungsminister Mariusz Błaszczak ein wichtiger Auslöser für die Rücktritte gewesen sein. Dieser habe sich im April verschärft, als Błaszczak General Piotrowski öffentlich beschuldigt habe, den Vorfall vom 16. Dezember 2022 vernachlässigt zu haben, bei dem eine russische Rakete den polnischen Luftraum verletzt habe. Gleichzeitig habe Błaszczak auch die Rolle des operativen Kommandos marginalisiert und einige Entscheidungen ohne den Chef des Generalstabs der polnischen Streitkräfte getroffen. Schließlich könnten die Generäle mit ihrer Entscheidung auch ein Zeichen setzen wollen, dass sie nicht mit der Instrumentalisierung des Militärs in der Wahlkampagne der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) einverstanden sind.  

Błaszczak habe, wie die Zeitung erinnert, unter anderem deklassifizierte Teile des "Plans für den Einsatz der Streitkräfte der Republik Polen Warta - 00101" dazu genutzt, um die Erzählung zu konstruieren, dass "die Tusk-Regierung im Falle eines Krieges bereit gewesen sei, die Hälfte Polens aufzugeben", so Rzeczpospolita in ihrem Aufmacher.

Rzeczpospolita: Wir müssen die polnische Uniform vor der PiS schützen

Tatsächlich sei in letzter Zeit der Eindruck entstanden, dass die Regierung das Militär und seine Ausrüstung nur als Dekoration für politische Propaganda betrachte, schreibt in seinem Kommentar zum Thema der Publizist des Blattes Michał Szułdrzyński. Und dies stehe im Widerspruch zur politischen Neutralität der Armee, wie sie in der Verfassung der Republik Polen festgelegt sei. So habe die Regierungspartei etwa die große Parade am 15. August, den Tag der polnischen Armee und ein Militärpicknick dazu genutzt, um die Opposition für ihre Vernachlässigungen im Sicherheitsbereich anzugreifen. Dazu komme der Konflikt um den Vorfall mit der russischen Rakete bei Bydgoszcz, für den der Verteidigungsminister Mariusz Błaszczak hochrangige Kommandeure verantwortlich gemacht habe, nur um sich selbst zu schützen. Staatspräsident Andrzej Duda habe sich damals auf die Seite der Militärs gestellt, aber die Angelegenheit sei nie vollständig geklärt worden.

Fazit: Trotz ihrer national-patriotischen Rhetorik sei es die PiS, die das Ansehen der polnischen Uniform beschmutzt habe, und nicht ihre Gegner. Für ein wichtiges NATO-Land  sei der Rücktritt der beiden wichtigsten Kommandeure in der aktuellen geopolitischen Siuation ein erhebliches Imageproblem, so Michał Szułdrzyński in der Rzeczpospolita.

Gazeta Wyborcza: Regierung hat General Piotrowski mit Operation “Neon” das Kommando entzogen

Ein direkter Auslöser für die Rücktritte könnte die Entscheidung des Verteidigungsministers Mariusz Błaszczak gewesen sein, dass die Operation „Neon“ - also die Evakuierung der Polen aus Israel - von General Kukuła geleitet werden sollte, der das Vertrauen der PiS genießt, schreibt unter Berufung auf eigene Quellen die linksliberale Gazeta Wyborcza. Im Militär sei dies als Entzug des Kommandos von General Tomasz Piotrowski interpretiert worden, der als operativer Kommandeur der polnischen Streitkräfte eigentlich für solche Aufgaben verantwortlich sein sollte. „Minister Błaszczak hat General Kukuła zum Oberbefehlshaber ernannt“, ironisiert einer der Gesprächspartner des Blatts.

Gazeta Polska Codziennie: Die Schöpfer des Erfolgs der Territorialen Verteidigung an der Spitze der polnischen Armee

Alles halb so wild, meint indes die nationalkonservative Gazeta Polska Codziennie, die auf der Titelseite einen gut gelaunten Staatspräsidenten gemeinsam mit den beiden neuen Befehlshabern, Generalstabschef General Wiesław Kukuła und dem operativen Kommandeur, General Maciej Klisz präsentiert. Bei den beiden Militärs handle es sich, wie wir aus dem Blatt erfahren, um die Schöpfer des Erfolgs der Territorialen Verteidigung (WOT). Die WOT sei noch während der Pandemie und der hybriden Auseinandersetzung mit Weißrussland hochgepriesen worden. Die neuen führenden Figuren der polnischen Armee, die in der Vergangenheit in Kommando- und Spezialeinheiten gedient hätten, hätten keinen Dienst in der kommunistischen Volksarmee geleistet und seien in den Vereinigten Staaten und der NATO ausgebildet worden. 

Das Blatt zitiert in dem Artikel auch den ehemaligen Chef der Spezialeinheit GROM, General Roman Polko, der den Rücktritt der beiden Generäle kurz vor den Wahlen als politische Geste kritisiert. Ob gewollt oder nicht - würde dies die Sicherheit Polens beeinträchtigen und ein Gefühl der Instabilität und Unsicherheit erzeugen.

Dziennik Gazeta Prawna: Zwei Vetraute des Verteidigungsministers

Bei beiden neuen Befehlshabern handle es sich um Vertraute von Verteidigungsminister Mariusz Błaszczak, beobachtet in seiner Analyse der Publizist der Tageszeitung Dziennik Gazeta Prawna, Maciej Miłosz. Kukuła sei seit Jahren einer der engsten Mitarbeiter von Minister Błaszczak. Kontroversen würde die Tatsache wecken, dass er nur sogenannte Wochenend-Offizierskurse absolviert hat und seine ersten drei Sterne erhalten hat, während er die gleiche Position als Kommandeur der WOT innehatte. Er sei derjenige, der derzeit für die Evakuierung der Polen aus Israel verantwortlich sei. General Maciej Klisz sei ein enger Mitarbeiter von Kukuła, der kürzlich die WOT kommandiert habe. In seinem Fall würden die Kontroversen die Tatsache betreffen, dass er erst vor zwei Jahren zum General befördert wurde und dennoch eine der drei wichtigsten Positionen in der polnischen Armee bekleiden soll, so Miłosz.

Gazeta Wyborcza: Bärendienst von Orlen

Und noch ein Kommentar zur Situation auf dem Treibstoffmarkt aus der Gazeta Wyborcza. Der Staatsgigant Orlen könnte die Regierungspartei potenziell mehr Stimmen bei den Wahlen kosten als jeder andere Faktor, urteilt der Publizist des Blatts, Andrzej Kublik. Der Grund: Der Konzern, so der Autor, habe eine Krise auf dem Kraftstoffmarkt ausgelöst und damit die Schwächen der PiS-Regierung offengelegt, aber auch gezeigt, wie es um das Militär bestellt sei. Wie der Autor erinnert, hätten Tankwagen der Armee zuletzt Treibstoff zu den Tankstellen von Orlen transportiert, ohne dass ein echter Notfall vorliege, der eine solche Nutzung des Militärs als Transportunternehmen rechtfertigen würde. Es sei unklar, ob Orlen dem Militär für diesen Dienst bezahlt habe oder ob es sich um illegale staatliche Beihilfen handele, die mit für die Landesverteidigung bestimmten Geldern finanziert würden.

Orlen, erinnert Kublik, sei in die Kritik geraten, als seine Tankstellen im ganzen Land den Verkauf von Treibstoff einstellten und dies mit einem „Ausfall der Verteiler“ begründeten. Das Unternehmen habe später bestätigt, dass es seinen Stationen befohlen habe, diese Nachricht anzuzeigen, wenn ihnen der Kraftstoff ausgehe, anstatt die übliche Botschaft über einen „vorübergehenden (Treibstoff)Mangel“ zu verwenden.

Orlen, erläutert der Autor, habe den Kraftstoffmarkt destabilisiert, indem es die Preise für Benzin und Diesel sowohl im Großhandel als auch im Einzelhandel an den Tankstellen im Vorfeld der Wahlen drastisch gesenkt habe, während die weltweiten Öl- und Kraftstoffpreise gestiegen seien. Dies habe zunächst dazu geführt, dass der Import von Kraftstoffen nach Polen unrentabel geworden sei. Dann hätten Vermittler, die Landwirte und Transportunternehmen versorgten, keinen Kraftstoff mehr gehabt, und schließlich seien auch die Tankstellen ausgetrocknet.

Trotz der niedrigsten Kraftstoffpreise in Europa müssten die polnischen Fahrer heute manchmal nach billigem Kraftstoff suchen, als ob es ein Ausverkauf wäre. Wenn sie ihn fänden, würden sie verständlicherweise auf Vorrat kaufen. Alle Polen würden das sehen und im Hinterkopf behalten. Wenn die PiS bei den Wahlen verliere, werde Orlen dazu beigetragen haben, urteilt Andrzej Kublik in der Gazeta Wyborcza. 

Autor: Adam de Nisau