Deutsche Redaktion

"Die Opposition gewinnt die Wahlen" vs. "PiS erreicht dritten Wahlsieg in Folge"

16.10.2023 11:30
Während die oppositionsnahen Medien von einem klaren Sieg der demokratischen Opposition sprechen, übt sich die nationalkonservative Gazeta Polska Codziennie in Schadensbegrenzung und hofft auf Fehler in den Exit Polls. Ein wichtiges Thema der heutigen Kommentare ist auch die Frage: "Was nun?" Wird der Staatspräsident die Opposition mit der Regierungsbildung beauftragen oder auf Zeit spielen? Wird die Regierungspartei die Macht abgeben oder hat sie noch irgendwelche Tricks in Petto. Und: Welche Hochburgen der Macht wird die Partei von Jarosław Kaczyński, trotz Wahlniederlage, noch über Jahre hinweg behalten? Die Einzelheiten in der Presseschau.
Donald Tusk  PAPTomasz Waszczuk
Donald Tusk / PAP/Tomasz WaszczukPAP/Tomasz Waszczuk

Rzeczpospolita: Die Opposition gewinnt die Wahlen

Die Wähler haben sich für einen politischen Wandel entschieden, und die Regierung befindet sich in der Defensive, trotz des ersten Platzes der PiS, schreibt in ihrem Aufmacher die konservativ-liberale Rzeczpospolita. Wenn sich die Ergebnisse der Exit Polls in den offiziellen Ergebnissen widerspiegeln, die die Staatliche Wahlkommission am Dienstag bekannt geben soll, erinnert die Zeitung, werde die Opposition 248 Mandate, die PiS 200 und die nationalkonservative Konfederacja 12 erhalten. ”Wir haben es geschafft!”, habe sich der Chef der Bürgerplattform Donald Tusk unmittelbar nach Bekanntgabe der Exit-Poll-Ergebnisse im Hauptquartier der Bürgerkoalition gefreut. “Noch vor einem Jahr hat niemand daran geglaubt, dass dies möglich ist, und vor drei Monaten haben mich die Leute gefragt, ob es wirklich klappen wird”, habe Tusk erinnert und seinen Partnern in der Opposition - dem  Dritten Weg und der Neuen Linken - gratuliert. “Wir haben zusammen etwas Großes geschafft, und das wird uns niemand wegnehmen”, versicherte er. “Wir werden wirklich auf jede einzelne Stimme achten. Damit morgen und übermorgen das bestätigt wird, was wir heute haben”, zitiert Rzeczpospolita Tusk.

Das Wahlergebnis, lesen wir, sei sei stark von der Mobilisierung der Oppositionswähler und der rekordhohen Wahlbeteiligung beeinflusst worden, die laut einer Ipsos-Umfrage 72,9 Prozent der Wahlberechtigten erreichte. Dies sei die höchste Wahlbeteiligung bei Parlamentswahlen im demokratischen Polen, betont das Blatt. Die Beteiligung an dem von der Regierung forcierten Referendum habe laut ersten Umfragen bei 40 Prozent gelegen. Sein Ergebnis werde daher nicht verbindlich sein, so Rzeczpospolita.

Gazeta Polska Codziennie: PiS gewinnt - Wir warten auf die offiziellen Ergebnisse

Die nationalkonservative Gazeta Polska Codziennie zeigt auf ihrer Titelseite lächelnde Gesichter vom Wahlstab der Regierungspartei und setzt in ihrem Aufmacher den Akzent auf die Botschaft, die PiS habe die dritten Parlamentswahlen in Folge gewonnen. Zugleich sei jedoch, wie das Blatt zugibt, unklar, ob sie in der Lage sein werde, zu regieren. Denn die Ergebnisse der Exit-Polls würden bedeuten, dass die “Anti-PiS-Koalition” in der Lage sei, eine Regierung ohne die Beteiligung der Konföderation zu bilden. Dies seien jedoch vorläufige Schätzungen. Experten, beruhigt die Zeitung, würden betonen, dass sich in dieser Angelegenheit noch alles ändern könne. Die hohe Wahlbeteiligung habe die Analysten überrascht. Marcin Palade, einer der Umfragenanalysten, schlage daher vor, auf die offiziellen Ergebnisse zu warten. Wie die Gazeta Polska Codziennie erinnert, habe Jarosław Kaczyński erklärt, “es können interessante Ereignisse bevorstehen”. Gleichzeitig habe er jedoch keine Signale an die Opposition gesendet. Donald Tusk habe indes sofort begonnen, eine Koalition zu bilden, indem er den anderen Oppositionsparteien gratuliert habe. “Für alle Wähler der Bürgerkoalition, dieser Parteien haben wir zusammen etwas Großes erreicht - sagte Donald Tusk während der Wahlnacht.” Leider, so Gazeta Polska Codziennie, habe das Referendum wahrscheinlich nicht die erforderliche Beteiligung erreicht. 

Rzeczpospolita: Wird Kaczyński die Macht abgeben?

Was uns in nächster Zeit erwarte? Im schlimmsten Fall etwa zwei Monate Tauziehen, bis eine neue Regierung gebildet ist, meint der Chefredakteur der Rzeczpospolita, Bogusław Chrabota. In dieser Zeit werde das Kabinett von Mateusz Morawiecki noch regieren, jedoch ohne die Möglichkeit, neue Gesetze zu erlassen. Alles deute darauf hin, dass spätestens Anfang Dezember eine neue Oppositionsregierung gebildet sein wird. “Hoffen wir, dass dieser Prozess im Einklang mit verfassungsrechtlichen Regeln und den Grundsätzen der Demokratie verläuft. Heute müssen wir uns mit Geduld wappnen und auf das endgültige Wahlergebnis warten”, so Chrabota. 

Sorge um eine friedliche Machtübergabe äußert auch der Publizist der Rzeczpospolita, Michał Szułdrzyński. Die Opposition, so der Autor, habe gegen einen sehr ernstzunehmenden Gegner gewonnen. In dieser Kampagne habe die PiS den gesamten Staatsapparat mobilisiert, einschließlich der Fonds der Staatsunternehmen, weshalb die Wahlen weder fair noch gleichberechtigt waren. Das mache den Sieg der Opposition umso bedeutsamer, so Szułdrzyński. 

Es würden jedoch immer noch zwei grundlegende Fragen offen bleiben. Erstens, ob der Vorsprung der Opposition in den Ergebnissen, die von den einzelnen Wahlkommissionen eintreffen werden, aufrechterhalten bleibe. Zweitens, wenn die Opposition die Mehrheit habe, werde die PiS dann die Macht abgeben? Die Worte von Jarosław Kaczyński am Wahlabend, dass "es noch interessante Ereignisse geben könnte", würden düster klingen, so Szułdrzyński.

Rzeczpospolita: Tusk wird neuer Premierminister sein

Vieles hängt nun von Staatspräsident Duda ab. In einem ersten Kommentar nach den Wahlen, hat der Minister in der Präsidialkanzlei Andrzej Dera angedeutet, dass es demokratische Tradition sei, dass die siegreiche Partei zuerst den Auftrag der Regierungsbildung erhalte. Für ihn bestehe indes kein Zweifel daran, dass Duda der PiS die Regierungsbildung nicht anvertrauen sollte, meint in einem Interview für das Blatt der Politikwissenschaftler Professor Rafał Chwedoruk. Der Präsident, erinnert Chwedoruk, müsse im Rahmen der Verfassung handeln. Und die Situation im Parlamentssaal werde, wenn sich nichts ändere, alternativlos sein. Die Partei von Jarosław Kaczyński könne nicht auf eine parlamentarische Mehrheit zählen, selbst nicht in einer Koalition, da das Ergebnis der Konföderation katastrophal sei. Andrzej Duda müsse auch an seine politische, oder eher berufliche Zukunft denken, und der Versuch, die Bildung einer neuen Regierung zu blockieren, werde ihm in den Augen der nationalen und internationalen Öffentlichkeit wahrscheinlich nicht helfen. 

Die Beauftragung der PiS mit der Bildung einer neuen Regierung, fährt Chwedoruk fort, wenn bekannt sei, dass diese Partei nicht in der Lage ist, die notwendige Mehrheit zu bilden, wäre unverständlich und sogar schädlich. Er glaube nicht, dass Präsident Duda sich auf solche revolutionäre Maßnahmen einlassen wird. Das Ergebnis der Konföderation habe die Pläne, eine künftige Regierung mit der PiS zu bilden, ein Ende gesetzt. Der Präsident könne mit der PiS nur auf Zeit spielen, aber dies werde ihm schaden. Die Öffentlichkeit würde solche Handlungen der PiS und des Staatsoberhaupts eindeutig beurteilen, und es sei zu beachten, dass eine Reihe von Wahlen bevorstehen, bei denen die PiS durch solche Aktionen noch mehr verlieren könnte. Die Aufgabe, eine Regierung zu bilden, sollte der Bürgerkoalition erteilt werden, einer Partei, die die Möglichkeit hat, eine parlamentarische Mehrheit zu bilden, betont Chwedoruk. Und das Mandat, Premierminister zu werden, stehe Donald Tusk zu. Tusk habe, in seinem eigenen Stil und unter großem Risiko, diese Wahlen zu einem Plebiszit über seine Person gemacht. Die Polen hätten Tusk grünes Licht gegeben. Die Linke habe ihre Ziele erreicht. Der Dritte Weg müsse sich einigen. Die Bürgerkoalition habe sich als der größte Gewinner dieser Wahlen erwiesen. Die neue Regierung werde viele wichtige Entscheidungen treffen müssen, und es werde keine Zeit für Streitigkeiten innerhalb der Koalition der drei Parteien geben. Bis zu den Präsidentschaftswahlen werde daher sicherlich Frieden in der Koalition herrschen, obwohl interne Streitigkeiten nicht ausgeschlossen seien. Diese Koalition müsse einfach in Eintracht bleiben, wenn sie die Präsidentschaftswahlen, Parlamentswahlen und Kommunalwahlen gewinnen wolle. Dies sei erst der Anfang des Wegs zur Macht, wenn die Opposition Polen nach der Herrschaft der PiS wirklich verändern will, so Rafał Chwedoruk im Gespräch mit Rzeczpospolita. 

Gazeta Wyborcza: PiS wird seine Bunker behalten

Jetzt sei es Zeit, zu feiern, aber morgen beginne für alle Demokraten eine Zeit harter Arbeit. Denn auch nach den verlorenen Wahlen werde die PiS ihre Bastionen behalten, bekräftigt auch die linksliberale Gazeta Wyborcza. Die erste davon, so die Zeitung, sei das Amt des Präsidenten. Andrzej Duda habe in diesem Wahlkampf seine Unterstützung für die PiS nicht versteckt, und seine Beamten seien Kandidaten der PiS für das Parlament gewesen.

Die Amtszeit des Präsidenten ende im Sommer 2025, und um sein mögliches Veto zu überwinden, sei die Zustimmung von 276 Abgeordneten notwendig. In der Dritten Polnischen Republik habe noch keine Partei eine so große Mehrheit gehabt.

Die PiS habe auch das Verfassungsgericht unter Julia Przyłębska übernommen, dessen Urteile zur Vereinbarkeit von Gesetzen mit der Verfassung endgültig seien. Die Amtszeit schließlich auch in anderen Verfassungsorganen verankert, wie dem Nationalen Justizrat, dem Nationalen Rundfunk- und Fernsehrat, dem Rat für Währungspolitik und der Position des Präsidenten der Nationalbank Polens, erinnert Gazeta Wyborcza.

Autor: Adam de Nisau