Deutsche Redaktion

"Die Wut ausschreien"

12.01.2024 09:51
Nach der Entscheidung des Staatspräsidenten, ein Begnadigungsverfahren für die PiS-Politiker Kamiński und Wąsik einzuleiten, ist nun die Regierungskoalition am Zug. Außerdem: Wird sich die politische Situation in Polen nach der gestrigen Kundgebung der PiS-Anhänger etwas beruhigen? Und: Welche politischen  Auswirkungen werden die Proteste haben? Die Einzelheiten in der Presseschau.
Nach den Erkenntnissen des Warschauer Rathauses und anhand des stdtischen berwachungssystems nahmen 35.000 Menschen an der Demonstration teil.
Nach den Erkenntnissen des Warschauer Rathauses und anhand des städtischen Überwachungssystems nahmen 35.000 Menschen an der Demonstration teil.PAP/Radek Pietruszka

DO RZECZY: Auf dem Höhepunkt der gesellschaftlichen Spannungen

Präsident Andrzej Duda hat – auf Antrag der Ehefrauen von Mariusz Kamiński und Maciej Wąsik – beschlossen, das Begnadigungsverfahren für beide Politiker einzuleiten. Der Präsident wird beim Generalstaatsanwalt Adam Bodnar zudem beantragen, die Vollstreckung des Urteils gegen Kamiński und Wąsik auszusetzen. Marcin Matczak von der Fakultät für Recht und Verwaltung der Universität Warschau hält die Entscheidung des Staatspräsidenten für eine gute Geste, schreibt das nationalkonservative Portal Do Rzeczy.

Geht es nach Matczak, habe dieses Problem gelöst werden müssen. Es gebe große Spannungen in der Gesellschaft  und der Präsident habe das Recht, das zu tun, was er soeben getan habe, sagt der Jurist.

Seiner Meinung nach sei Polen wirklich auf dem Höhepunkt der sozialen Emotionen. Der Präsident habe einen Schritt zurück gemacht und sein Ego in die Tasche gesteckt. Die Regierungsseite sollte nun darauf reagieren, und zwar auf eine Art und Weise, die eine Wertschätzung dieser Geste signalisieren würde, sagte Matczak.

Die ehemaligen Leiter der Antikorruptionsbehörde CBA, Mariusz Kamiński und Maciej Wąsik, waren am Dienstagabend im Präsidentenpalast festgenommen worden.

SUPER EXPRESS: Die Wut ausschreien

In Polen herrscht seit einem Monat ein andauerndes politisches Erdbeben. Erst der Prozess der Machtübernahme durch die neue Koalition, der am 13. Dezember begonnen habe, schien den PiS-Politikern bewusst zu machen, dass sie nicht mehr regieren und der Staat nicht mehr ihr Spielplatz ist. In der Partei von Jarosław Kaczyński herrsche große Frustration und Ablehnung der Realität, stellt in seinem Kommentar in der Tageszeitung Super Express der Publizist Tomasz Walczak fest.

Daher sei der Prozess der Machtübernahme schwierig und stehe nicht immer – wie im Fall der öffentlichen Medien – im Einklang mit den Regeln des Rechtsstaats. Die Verurteilung von Mariusz Kamiński und Maciej Wąsik zu Gefängnisstrafen und ihre Inhaftierung habe die PiS stark getroffen.

Der zynische Wunsch, aus diesen Ereignissen einen Gründungsmythos der Opposition aufzubauen, vermische sich mit der authentischen Überzeugung, dass die PiS und ihre Politiker Opfer totalitärer Verfolgung geworden sind. Die politischen Spannungen auf beiden Seiten der politischen Barrikaden würden das Gefühl erwecken, dass ein Bürgerkrieg in der Luft hänge. Von diesen hysterischen Tönen sei er zwar weit entfernt, schreibt Walczak, aber die Emotionen, die von Politikern geschürt werden, seien in der Tat groß und die Nerven vieler PiS-Anhänger würden – was in gewisser Weise verständlich ist – blank liegen.

Es ist gut, dass der PiS-Protest gegen die Regierung vor dem Sejm stattgefunden habe, lesen wir weiter. Entgegen den Erwartungen der Politiker von Jarosław Kaczyńskis Partei sei die Beteiligung nicht schockierend hoch gewesen. Sicherlich hätten die hysterischen Töne, die die PiS-Politiker angeschlagen hätten, wenig mit der Realität zu tun. Aber das böse Blut, das sich auf dieser Seite der politischen Szene gesammelt habe, musste irgendwo abgelassen werden.

Die PiS-Demonstration sei der Höhepunkt der in den vorhergehenden Tagen aufgekommenen Spannung, die sich nun etwas auflösen werde. Dafür seien politische Demonstrationen da. Sie würden nicht nur Unterstützer mobilisieren, sondern seien auch eine psychologische Therapie, bei der man seine Wut herausschreien und besänftigen könne, urteilt Tomasz Walczak in Super Express.

DZIENNIK/GAZETA PRAWNA: Demonstration ohne großen Einfluss

Die PiS habe in den letzten 8 Jahren eine sehr gute Zeit gehabt. Die Partei habe sich daran gewöhnt, die Konkurrenz mit öffentlichen Mitteln in den Schmutz zu ziehen. Jetzt könne sie sich damit nicht abfinden, dass diese Zeiten absolut vorbei seien, sagt in einem Kommentar zum so genannten „Protest der Freien Polen“ am Donnerstag für Dziennik/Gazeta Prawna der Politiker der regierenden Koalition Zbigniew Konwiński.

Es sei klar, dass es für die PiS sehr schwierig sei, sich mit dieser Realität auseinanderzusetzen – betonte der Politiker der Bürgerplattform (PO). Die beiden größten Demonstrationen seien jene gewesen, die letztes Jahr von Donald Tusk und der Bürgerplattform organisiert worden seien Es habe sich um Kundgebungen gehandelt, die das Wahlergebnis beeinflusst und Wähler mobilisiert hätten. Im Moment handele es sich eher um eine Demonstration derer, die mit der sich verändernden Realität in Polen nicht klarkommen, es sei keine Demonstration, die den Lauf der Dinge in irgendeiner Weise beeinflussen könne, sagte Konwiński weiter.

Der von der PiS organisierte „Protest der freien Polen“ war nach Angaben der Organisatoren eine Demonstration zur Verteidigung der Meinungs- und Medienfreiheit sowie der Demokratie.

Autor: Jakub Kukla